Die Straße der Pfirsiche
Als Zelda und F. Scott Fitzgerald zu ihrer Reise von Connecticut nach Alabama aufbrechen, und zwar in ihrem alten Automobil, war das auf diese Distanz von rund 600 Meilen zu jener Zeit gerade noch ein Abenteuer. Die Straßen waren meist schlecht, weil nach wie vor auf Pferde und Fußgänger ausgerichtet. Die Reifen der Automobile waren ebenfalls schlecht und weder für diese Straßen noch für solch horrende Tempi wie 30 oder 40 Meilen in der Stunde gemacht, die unterdessen die meisten Automobile erreichten – es handelte sich nach heutigen Maßstäben um simple, nur etwas größere Fahrradreifen. Im Grunde genommen waren solche Fahrten damals durchaus machbar, aber jeder vernünftige Mensch hätte sich für ein anderes Auto entschieden, als es der alte Marmon 34 Expenso war, den die Fitzgeralds besaßen und an dem vor allem er, Scott, sehr hing. Der Marmon 34 Expenso war zwar 1918, in seinem Herstellungsjahr, ein gutes und sogar teures Auto gewesen. Mit 34 PS war sein Motor für jene Zeit ziemlich stark. Nur hatten ihm wahrscheinlich ein Unfall und sonstige schlechte Pflege übel zugesetzt. Nehmen wir hinzu, dass Zelda, ein typisches verwöhntes Weibchen ihrer Zeit, Autos bestenfalls fuhr, sich aber damit nicht auskannte, und Scott – untypisch für männliche Autobesitzer jener Zeit! – sich allenfalls soweit auskannte, dass er einen Reifen wechseln konnte (eine Kenntnis, die er auf dieser Reise sehr oft anwenden musste). Außer einem Wagenheber und einem Schraubenschlüssel führten sie keinerlei weiteres Werkzeug mit sich. Als Karte diente ihnen ein kleiner Werbeprospekt, und Zelda verstand sich offensichtlich nicht aufs Kartenlesen.
Dennoch beschlossen die beiden eines Morgens aus und bei heiterem Himmel, die Koffer zu packen, weil Zelda von der Sehnsucht gepackt worden war nach den ganz speziellen Biscuits mit Pfirsichen, die es nur in ihrer Heimat Alabama gab. Außerdem, überlegten sie, könnten sie ja Zeldas Eltern einen Überraschungsbesuch abstatten.
Soweit der Plan. Soweit die Theorie. In der Praxis gab es jede Menge – teils durchaus gefährliche – Zwischenfälle, die Fitzgerald sehr ironisch und auch selbstironisch erzählt. Dass wir nun – wie offenbar Julia Finkernagel, die Herausgeberin der Reihe BÜCHERGILDE unterwegs – annehmen wollen, dass die verquere Kommunikation des Ehepaars so oder auch nur so ähnlich tatsächlich stattgefunden hat, bezweifle ich ein wenig. Sicher, es gibt viele Berichte Dritter, die über noch viel seltsameres Benehmen der beiden zu erzählen wissen. Dennoch dürfen wir dem Schriftsteller Fitzgerald doch wohl eine Stilisierung des Ganzen zutrauen. Die Dialoge der beiden erinnern häufig an die späteren so genannten ‚Screw Ball Comedies‘ aus Hollywood – zu oft, als dass sie alle real sein können. Aber genau dies macht den Reiz der Lektüre aus: die Mischung von offensichtlich realen Missgeschicken mit überhöhten, die Mischung von realen Szenen einer Ehe mit sorgfältig komponierten. Übrigens sind dem Bericht einige Fotografien von den beiden und ihrem Auto beigefügt, die zum Teil genau eine Situation der Erzählung darstellen – schon das weist auf absichtliche Bearbeitung hin, denn damals konnten Fotografien noch nicht so rasch mal mit dem Smartphone geschossen werden. (Zum Schluss allerdings übertreibt es Fitzgerald mit seiner Komposition: Als er meint, noch seine allergrößte Schlusspointe setzen zu müssen, greift er so tief in die Mottenkiste des Schmierentheaters, dass es einem übel werden könnte. Er lässt nämlich, als die beiden Reisenden endlich in Alabama ankommen, die Schwiegereltern – nach Connecticut gereist sein, allwo sie ihre Tochter und den Schwiegersohn überraschen wollen. Das ist schade – nicht nur, weil wir hier zufällig wissen, dass die Eltern nicht nach Connecticut gereist sind.)
Führen Sie Mr. und Mrs. F. zu Zimmer Nr. –
Einen ganz anderen Ton führt Zelda Fitzgerald in ihrem Text ein. Es sind kurze literarische Schnappschüsse, Skizzen von bestenfalls einer halben Seite Länge, die aus den Reisen der beiden stammen, nicht nur der nach Alabama, sondern auch aus ihren Reisen in Europa. Zelda und Scott entpuppen sich darin implizit und wohl eher ungewollt als ein Paar verwöhnte Blagen, gleichzeitig aber auch als Getriebene, die nirgends Ruhe finden oder Ruhe geben. Der Text wirkt, wie wenn man eine Bilderreihe in viel zu hohem Tempo abspielt: „Schau mal da der Schiefe Turm von …“ und schon ist er weg und schon sind wir in Paris, nein bereits in Madrid …
Aber nicht nur psychologisch interessant sondern auch literarisch gelungen.
Zwei romantische Egoisten
So lautet der Titel des Nachworts, und darin gibt der Herausgeber und Übersetzer Alexander Pechmann einen kurzen und informativen Überblick über die Entstehung der beiden Texte und über das Leben und Lieben der beiden Fitzgeralds. Ausführlich, präzise – ein Text ganz nach meinem Geschmack.
Anhang
Auch der Anhang erfüllt alle meine Wünsche. Anmerkungen und eine Chronik des Lebens der beiden fehlen so wenig wie (als Editorische Notiz angefügt) die Veröffentlichungsgeschichte der beiden Texte.
Erschienen dieses Jahr (2023) bei der Büchergilde in einer Lizenz des Aufbau-Verlags, bei dem das Buch 2015 herausgekommen ist.