Josef Winteler: «Züri-Metzgete»

Links ein schmaler gelber Streifen. Rechts eine große weißlich-graue Fläche, auf der ein Tumi zu liegen scheint, ein breites Zeremonialmesser aus Kupfer, Gold oder Tumbaga, das in präkolumbischen Vorläuferkulturen der Aymara an der heutigen peruanischen Pazifikküste verbreitet war. Der Griff zeigt ein stilisiertes goldenes Gesicht, das Naymlap darstellen soll, einen mythischen Kultheros einer Prä-Inka-Zivilisation, der Lambayeque- oder Sicán-Kultur. Das Original hängt(!) im Ethnologischen Museum Dahlem (Berlin). Auf dem Buchdeckel ist das ganze Messer abgebildet; der von mir gewählte Ausschnitt zeigt nur das Gesicht.

Auch für den dritten und letzten Band aus der kleinen Reihe von Kriminalromanen mit dem Leiter der Zürcher Kriminalpolizei, Dr. Thomas Tschudi, als Ermittler gilt, was ich schon beim zweiten (und ersten hier besprochenen) geschrieben habe: Das Buch ist im Selbstverlag erschienen, ohne ISBN und meines Wissens verkauft der Autor auch keine Exemplare mehr. Somit „missbrauche“ ich den Blog noch einmal als privates Lesetagebuch.

Nachdem dies gesagt ist, danke ich Dir, geneigtes Publikum, für die Aufmerksamkeit. Morgen soll dann wieder ein „richtiges“ Aperçu folgen, für heute darfst Du frei nehmen.


Falls wider Erwarten nun doch welche weiterlesen, erkläre ich zunächst einmal den Titel «Züri-Metzgete». Es handelt sich hier um den Übernamen, den die lokale Bevölkerung einem von 1910 bis 2014 veranstalteten Eintagesrennen im Straßenradsport gegeben hat. Sein offizieller Name war Meisterschaft von Zürich; es soll aber vor allem in den Frühzeiten der Veranstaltung des öfteren einige spektakuläre Stürze gegeben haben, weshalb man im Volk schon bald von einer „Metzgete“ sprach – womit ursprünglich der aktuelle Vorgang des Schlachtens eines Schweins direkt auf dem Bauernhof gemeint war, dann auch der praktisch unmittelbar darauf folgende Verzehr gewisser im Zeitalter fehlender Kühlschränke nicht lange haltbarer Wurst- und Fleischspezialitäten. Bald wurden mit dem Wort nicht nur das Schlachtfest selber sondern auch dessen Inhaltsteile so bezeichnet. Im Roman geht es nicht direkt um das Radrennen als solches, aber ein kleiner professioneller Radsportler (eigentlich ein Halbprofi, denn davon leben kann er nicht) wird bei einem abendlichen Training für eben diese «Züri-Metzgete» von einem Auto angefahren, das sich als Fluchtauto eines Mörders entpuppt. (Nebenbei: Die letzte «Züri-Metzgete» für Profis fand 2006 statt; daraus lässt sich für die Handlung ein Terminus ante quem erschließen, der ansonsten nicht angegeben wird.)

In der Zeit von Tschudis Erzähluniversum findet dieser Roman nur kurze Zeit nach den Ereignissen statt, die im zweiten Roman geschildert wurden. Die Züricher Kriminalpolizei ist noch mit letzten Ermittlungen dazu beschäftigt; ihr Leiter aber, Dr. Thomas Tschudi, freut sich bereits auf seinen Urlaub. Wir haben davon schon kurz im vorhergehenden Roman gelesen, ebenso wie davon, dass Tschudis bolivianische Freundin ihn besuchen kommen will. In diesem Roman nun erfahren wir, wie sich die beiden bei einer archäologischen Ausgrabung in den Anden kennen und lieben gelernt haben. Die junge Frau, Carmen(!), stammt aus einer der reichsten bolivianischen Familien. Diese wiederum beäugt das Verhältnis mehr als misstrauisch.

Es kommt der Tag, als Carmens Flieger in Zürich landet. Tschudi fährt zum Flughafen, um sie abzuholen – aber keine Carmen steigt aus. Im Folgenden lässt Tschudi dann seine dienstlichen Beziehungen als Leiter der Kriminalpolizei spielen, aber erst ein Artikel in der Boulevardzeitung hilft ihm auf die Spur: Carmen (deren Beziehung zum Leiter der Kriminalpolizei natürlich dick unterstrichen wird!) ist in Untersuchungshaft wegen versuchten Drogenschmuggels. Folgerichtig wird Tschudi vom Dienst suspendiert. Ebenso folgerichtig – wir sind ja in einem Krimi! – ermittelt er nun auf eigene Faust. Es gelingt ihm rasch, Carmens Unschuld zu beweisen, aber die junge Frau ist sauer, weil er sie überhaupt im Gefängnis hat schmoren lassen. Mit ihrem unterdessen auch angereisten Bruder fliegt sie zurück nach Hause. Tschudi, der ihr nachreist, wird sie nicht mehr sehen. Die Reise war dennoch nicht umsonst. Tschudi kommt dadurch so nebenbei einem groß angelegten Schmuggel von archäologischen Fundstücken aus den frühen amerikanischen Hochkulturen auf die Spur. Als sich die Schmuggler untereinander entzweien und einer den anderen erschießt, kann Tschudi, der immer noch suspendiert ist, den Fall mit Hilfe eben des Profi-Radfahrers lösen. Eigentlich, stellt sich heraus, waren es zwei Fälle. Der Antiquitäten-Schmuggel kam erst im Nachhinein dazu, auch wenn die Täter die gleichen waren, die mit einem Trick Carmen ins Gefängnis und Tschudi in Verruf brachten. Diese letztere Aktion diente eigentlich nur dazu, Tschudi von seinem Chefposten zu entfernen, weil einer der Täter auf ebendiesen spekulierte.

Offen gesagt hat mir der vorher gehende Band der Reihe besser gefallen. Das Lokalkolorit des Zürcher Oberlandes war gut getroffen, während hier vor allem die Szenen in Südamerika recht schematisch bleiben. Man hat den Eindruck, der Autor habe sich gesagt, er wolle sich nun auch einmal an einem Schwedenkrimi versuchen, in denen ja üblicherweise die Ermittelnden selber voller persönlicher Probleme und Schwierigkeiten sind.

Dennoch sind ein paar gute Szenen zu finden, so zum Beispiel, wenn die Ermittlungen Tschudi ins (damals noch verrufene) Stadtzürcher Quartier „Niederdörfli“ führen.

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