Ernst Moritz Arndt: Reise durch Schweden 1804

Auf Hell-Dunkel-Kontraste reduziertes und nun dunkelblau auf hellblau reproduziertes Bild einer schwedischen Landschaft. Von links nach rechts sieht man einen Baum, mehrere aneinander gebaute, niedrige Häuser, einen Fluss, am anderen Ufier einen Weg an einem weiteren niedrigen, langen Haus vorbei zu einer Brücke, die im Hintergrund über den Fluss führt. Das Bild ist eine der Illustrationen aus "Bref under resor i Sverige", einem Reisebericht in drei Bänden (1797, 1806, 1816 - also zeitgenössisch zu Arndt) des schwedischen Landschaftsmalers Jonas Carl Linnerhielm. Das Bild zeigt gemäß meiner Ausgabe: "Bei Husquarna am Vätternsee ". Hier wird nur ein Teil des für den vorderen Buchumschlag verwendeten Bildes gezeigt.

Auf der Insel Rügen kam er zur Welt. Unter anderem in Stralsund ging er zur Schule. In Greifswald studierte er und wurde 1801 ebendort auch Dozent an der Universität. Seine Familie und seine ganze Umgebung sprach Deutsch und betrachtete sich als deutsch. Aber die Gegend, in der er den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hatte, gehörte zu Schweden. 1804, als er seine Reise durch Schweden machte, war Ernst Moritz Arndt schwedischer Untertan.

Arndts Vater war Gutsinspektor des Grafen Malte Friedrich zu Puttbus. Sein Großvater war noch einfacher Hirte und Leibeigener in Diensten des Grafen gewesen; erst sein Vater konnte sich freikaufen. Dieser Vater war offenbar ökonomisch nicht unbegabt. Er konnte sich zum Beispiel für den Sohn auch Privatlehrer leisten. Dennoch oder deswegen verfasste Ernst Moritz 1803 einen Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen, in der er die Abschaffung dieses Systems forderte. Damit machte er sich allerdings bei den lokalen adligen Gutsbesitzern unbeliebt; seine Stellung an der Universität Greifswald wurde wackelig.

Mit Freuden also ergriff er die Gelegenheit, als der oberste Landesherr, König Gustav IV. Adolf, jemand suchte, der für ihn einen Reisebericht über Schweden schreiben könnte. Nicht nur Arndts Stuhl an der Universität Greifswald wackelte nämlich, sondern ebenso der Thron Gustav IV. Adolfs. Im Volk immer unbeliebter geworden, das durchaus Sympathie empfand für Napoléon, den der tiefreligiöse König als Verkörperung des Anti-Christ betrachtete, wurde seine Position durch zwei kurz hintereinander erschienene Bücher über Schweden zusätzlich schwieriger, weil diese Bücher so gar kein positives Bild seines Landes und seiner Regierung zeichneten. Mit seinem Einsatz für Gustav IV. Adolf hoffte Arndt. sich dessen Rückendeckung für seine Arbeit in Greifswald sichern zu können – abgesehen davon, dass Napoléon durchaus beider bête noire war. Aber beider Pläne sollten scheitern. 1809 wurde Gustav IV. Adolf durch eine auch im Volk breit abgestützte Koalition gestürzt, worauf Arndt es für besser hielt, das schwedische Hoheitsgebiet zu verlassen. Er sollte seine Heimat auch dann nicht mehr betreten, als sie nach vielen Wirren schon längst preußisches Gebiet war und er selber in anderem Zusammenhang selber schon Untertan des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV.

Oben genannte Reise durch Schweden fand 1804 statt; der Bericht darüber erschien in vier Bänden 1806. Vor mir liegt eine vom Urenkel Heinz von Arndt auf ein Buch gekürzte Version, erschienen 1976 bei Erdmann. Welcher Art genau diese Kürzungen sind, wird nirgends festgehalten, und ich bitte Dich, geneigtes Publikum, im Folgenden jedes Mal, wenn ich sage: „Arndt erwähnt dieses oder jenes nicht“, beim Lesen in Gedanken das Caveat hinzuzusetzen, das ich beim Schreiben hinzusetzte: „in der vorliegenden Fassung ist es jedenfalls nicht zu finden“.

Arndt beginnt seine Reise im Winter, hält sich aber bis zum Frühling in Stockholm auf. Über diesen Aufenthalt erfahren wir wenig. Erst nördlich von Stockholm wird es für Arndt offenbar interessant. Er reist nach dem damals in Schweden üblichen System der Überlandreisen: mit eigener Kutsche, deren Pferde er an den dafür vorgesehenen Relais-Stellen jeweils wechselt. Diese Relais-Stellen waren im damaligen Schweden keine eigenen Poststellen sondern meist Bauernhöfe am Wegesrand. Gegen ein Entgelt waren die Bauern verpflichtet, für jeden Reisenden frische Pferde zur sofortigen Verfügung zu haben. Außerdem mussten rasch zu besorgende Reservepferde da sein und eine weitere Reserve, falls auch die erste aufgebraucht sein würde. Der Bauer oder einer seiner Knechte reisten jeweils mit zur nächsten Relais-Station. Von dort kehrten sie entweder leer oder mit einer in der Gegenrichtung fahrenden Partei zurück, während ihr ehemaliger Gast in seine Richtung weiterfuhr. Meistens fungierten diese lokalen Männer zugleich noch als Führer und Kutscher ihrer Kunden.

Diese Art des Reisens gab Arndt nun die Möglichkeit, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Oder auch nicht, denn nicht jeder Kutscher war gesprächig. Falls er auf gesprächige Begleiter traf, war es für Arndt gleich die Gelegenheit, diese oder jene lokale Legende zu erfahren und abends niederzuschreiben. Dies war wohl – langfristig gesehen – beste Ertrag der Reise. Aber Arndt zeigt hier zugleich seine Schattenseite. Denn aus den verschiedenen Sitten und Charaktere einzelner Männer glaubte er gleich auf die der jeweiligen lokalen Bevölkerung im Ganzen schließen zu können. Die nun aber teilte er in verschiedene Volksstämme ein, um so gleich über die Differenzen ganzer Rassen von Schweden und Schwedinnen zu sinnieren. Schon hier wird Arndts Wortwahl für uns Heutige oft grenzwertig; die Grenze zum Rassismus überschreitet er fürs 21. Jahrhundert dort, wo er über Aussehen und Sprache der Lappen (heute: Samen) berichtet. Der Vergleich ihrer Sprache mit tierischen Lauten (dem Zischen der Schlangen!) ist aber offenbar noch 1974 niemandem unangenehm aufgefallen …

Ansonsten gibt es über diesen Reisebericht wenig zu sagen. Arndt reist so weit gegen Norden, dass er die Mittsommernachtssonne sieht. Er reist oft durch einsame Gegenden, aber ein eigentlicher Landschaftsbeschreiber ist er nicht. Hin und wieder mischt er auch ein bisschen Geschichtsschreibung in seinen Bericht, aber ein eigentlicher Historiker ist er auch nicht. Er trifft in der Einsamkeit der Wälder auch schon mal auf eisenverarbeitende Industrie (Schweden war in Bezug auf Industrialisierung offenbar Deutschland voraus) und notiert auch korrekt, wie diese Industrie ringsum alle Bäume abgeholzt hat. Er notiert, ordnet aber weder positiv noch negativ ein – wohl auch eine seinem Auftraggeber geschuldete Aufmerksamkeit. Ähnliches gilt für seine Besuche verschiedener Eisenbergwerke. Darunter ist auch eines der größten, Falun, das er gebührend beschreibt. Aber es fehlt jene Geschichte vom Verschwinden des Bergmanns Fet Mats Israelsson 1677 kurz vor seiner Hochzeit, der erst 1719 aufgefunden wurde und von seiner Braut identifiziert werden konnte – eine wahre Geschichte, die so viele deutsche Dichter animiert hat, darunter Arnim, Hebel und Hebbel, Hoffmann und Rückert, bis hin zu Wagner und Hofmannsthal. Vielleicht hat ihm niemand davon erzählt; vielleicht hielt er sie für zu alt und uninteressant.

Daneben, eher als Anekdote über Arndt zu führen, ist die Tatsache, dass er gewisse Wörter – wohl um des Lokalkolorits willen – auf Schwedisch führt. Neben älv, dem Fluss, hat es ihm vor allem das schwedische Wort für Bier angetan: öl. Und so treffen wir immer mal wieder auf die Formulierung, man hätte ihm altes Öl zu trinken gegeben …

Zum Schluss führt uns Arndt noch zum schwedischen Zeichner und Bildhauer [Johan Tobias – er nennt die Vornamen nirgends] Sergel. Er ist (vielleicht auch, weil Sergel es gut mit der Königsfamilie konnte) sehr beeindruckt von Sergels Schaffen, vergleicht ihn gar mit Michelangelo – was nur beweist, dass der Hügel direkt vor unserer Nase den dahinter stehenden Berg verdecken kann.

Ich denke, dass man diesen Reisebericht nur dann gelesen haben ‚muss‘, wenn man von schwedischem oder Pommer’schem Lokalpatriotismus erfasst ist bzw. ihn untersuchen will. Nur schon, wenn man mehr über Arndt wissen will, ist der mir vorliegende Text aufgrund seiner Kürzungen ungeeignet. Mir als Laien hat er allerdings gerade genügend Einblick in Arndts Denken verschafft.


Ernst Moritz Arndt: Reise durch Schweden 1804. Mit 30 zeitgenössischen Abbildungen und Faksimiles. Neu herausgegeben und eingeleitet von Heinz von Arndt. Mit einem Vorwort von Uno Willers. Lizenzausgabe mit Genehmigung des Horst Erdmann Verlages, Tübingen für [und hier kürze ich die Angaben aus dem Impressum ab] u.a. den Bertelsmann Buchclub und den Buchclub Ex Libris. Als ©-Jahr ist 1974 angegeben. Da beide Buchclubs bei ihren Lizenzausgaben eigentlich nur Bucheinband und -umschlag änderten, handelt es sich also noch um die Original-Version des Erdmann-Satzes. [Im Buchhandel ist der Text aktuell nur in teuren Ausgaben von auf fotomechanischen Reprints – zum Teil der bei Google eingescannten Bücher – in oft zweifelhafter Qualität spezialisierten Verlagen erhältlich. Meine Ausgabe habe ich für CHF 5.00 aus der Grabbelkiste eines lokalen Antiquariats genommen. Das ist gerade noch zu akzeptieren.]

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