Bertha von Suttner kennt man wahrscheinlich als eine der führenden Friedensaktivistinnen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bzw. als siebte Trägerin des Friedensnobelpreises. Mit ein Grund der Verleihung dieses Preises war wohl ihr berühmter Roman Die Waffen nieder!, der – sagt man – Alfred Nobel überhaupt zur Stiftung eines solchen Preises inspiriert habe. (Im Karl May-Universum ist sie außerdem bekannt als eine jener Gestalten, die den alten May und dessen pazifistische Ausrichtung sehr schätzten – eine Hochachtung, die gegenseitig war. Sie ist wohl die bekannteste Zeitgenossin Mays, die zumindest den alten May als Autor ernst nahm.)
Marthas Kinder nun ist die Fortsetzung von Die Waffen nieder!. Ich gestehe gleich, dass ich Die Waffen nieder! nicht gelesen habe. Martha ist darin, so viel habe ich herausgefunden, in für beide zweiter Ehe die noch immer junge Frau eines k.u.k. Offiziers. Beide sind der Friedensbewegung zugetan. Ihr Mann wird auf Grund eines Justizirrtums (oder -verbrechens, so genau weiß ich das nicht) im Rahmen des Deutsch-Französischen Kriegs in Frankreich als Spion standrechtlich erschossen. Wie es auch aus dem Titel des Romans zu erwarten ist, spielt Marthas Kinder nun einige Jahre später.
Marthas bzw. Berthas Friedensaktivismus wird darin von ihren Kindern fortgesetzt, vor allem von ihrem Stiefsohn (dem Sohn aus erster Ehe ihres zweiten Mannes). So weit, so gut. Oder eben nicht. Marthas Kinder konnte nicht an den Erfolg seines Vorgängers anschließen – und das mag auch formale Gründe haben. Denn als Roman ist das Werk gründlich misslungen.
Der Pazifismus des Sohns drückt sich vor allem in seinem Reden aus und in Pamphleten, die er schreibt und die die Autorin uns zumindest auszugsweise mitteilt. Größere Schwierigkeiten – ein etwas unangenehmes Gespräch mit seinem militärischen Vorgesetzten ausgenommen – erwachsen ihm daraus aber nicht. Er wird von der Gesellschaft geschnitten, aber er mag den in Wien versammelten k.u.k. Adel sowieso nicht. Handelnd muss er seinen Pazifismus nicht beweisen. Von einem eventuellen Tod für seine Überzeugung spricht er nur. Und dies erst zum Schluss. Zu seiner Verlobten.
Das ist das Hauptproblem bei der Rezeption dieses Romans, vermute ich. Zusammen mit einem anderen: Bertha von Suttner konnte sich, wohl weil selber darin verankert, die Probleme, die eine pazifistische Haltung in jenen militärischen Zeiten schuf, nur im Rahmen der Reaktion adligen Gesellschaft Österreich-Ungarn, genauer Wiens, vorstellen. Ihre Protagonistin Martha kann jedenfalls nicht aus dieser Haut schlüpfen. Wenn ihre Tochter sich stürmisch in zwei falsche Männer verliebt, einen davon im Duell verliert, vom anderen schuldig geschieden wird, bedauert Martha vor allem letzteres. Theoretisch der Frauenemanzipation zugeneigt, bedauert sie doch die praktischen Konsequenzen. Schade, weil, wo überhaupt Handlung vorkommt in diesem Roman, sie sich um das Liebesleben des Töchterchens Sylvia dreht.
Heute, im 21. Jahrhundert, interessieren aber die gesellschaftlichen Probleme innerhalb des k.u.k. Adels vom ausgehenden 19. Jahrhundert allenfalls noch Spezialisten. Einzig die zwei oder drei Aperçus, in denen Martha und ihre Kinder den sich verschärfenden Antisemitismus in Österreich-Ungarn registrieren, zwicken uns heute. Aber Bertha von Suttner konnte damals nicht vorhersehen, wohin das tatsächlich führen sollte, also bleibt es bei ein paar Bemerkungen. Aus heutiger Sicht sehr schade.
Fazit: Bertha von Suttner war keine berufene Romancière. Über ihre Rolle als Friedensaktivistin kann ich nicht urteilen. Insofern hätte ich mir dieses Buch sparen können, zumal in meiner Ausgabe keinerlei Versuch stattfindet, Buch und Autorin historisch einzuordnen.
Meine Ausgabe ist folgende:
Bertha von Suttner: Marthas Kinder. Berlin: Hirnkost, 2024. [In der gleichen Aufmachung ist auch Die Waffen nieder! erschienen, aber offenbar bereits vergriffen. – Nicht, dass ich dem Buch als Buch nachtraure.]