Victor Kraft: Einführung in die Philosophie. Philosophie, Weltanschauung, Wissenschaft.

Victor Kraft ist eines der Mitglieder des Wiener Kreises, die fast vollständig der Vergessenheit anheim gefallen sind. Während man die Schriften anderer, heute eher unbekannter Mitglieder des Kreises (Edgar Zilsel, Philipp Frank, Karl Menger, Richard von Mieses) im Suhrkamp-Verlag zugängig gemacht hat, wurde Kraft eine solche Aufmerksamkeit nicht zuteil; selbst in akademischen Kreisen (etwa in den Publikationen im Springer Verlag zum Wiener Kreis) gibt es meines Wissens keine einzige Publikation, die sich mit seinem Werk beschäftigt. Dabei würden sowohl seine erkenntnistheoretischen Schriften als auch seine „Wertelehre“ eine Auseinandersetzung durchaus rechtfertigen.

Während er schon im Austrofaschismus aufgrund seiner antiklerikalen Haltung verpönt war (nach dem Anschluss wurde er wegen seiner jüdischen Frau von der Universität verwiesen, „jüdisch versippt“ hieß das im nationalsozialistischen Fachjargon), hatte er auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit dem erzkatholischen Klima der österreichischen Bildungspolitik zu kämpfen: Der unsägliche Heinrich Drimmel* hat nicht nur den völligen Niedergang des akademischen Lebens in dieser Zeit zu verantworten (wobei er keinerlei Berührungsängste mit ehemaligen Nationalsozialisten hatte), sondern verhinderte auch ein Wiederaufleben der philosophischen Tradition des Neo-Empirismus. Provinzieller Kleingeist und intellektuelle Duckmäuserei in einer dumpfen, katholischen Atmosphäre, die jedwedes selbständige Denken zu unterdrücken verstand, verhinderten, dass Leute wie Kraft Einfluss an den Universitäten entwickeln konnten bzw. blockierten die Rückkehr all jener, die in Zeiten von Austrofaschismus und Hitler-Diktatur zur Emigration gezwungen worden waren.

Krafts „Einführung in die Philosophie“ ist eine aus dem Geist des Neopositivismus verfasste Schrift. Er gibt einen Überblick über die Philosophiegeschichte, über all die widersprüchlichen metaphysischen Systeme (und deklariert sich als ein Gegner jedweder Metaphysik, einfach weil diese den für Kraft so wichtigen Anspruch einer wissenschaftlichen Weltauffassung nicht einzuhalten imstande ist) und kommt zu dem für die Philosophie mehr als zweifelhaften Befund, dass sie – im Gegensatz zu den Einzel- bzw. Naturwissenschaften – im Laufe der letzen 2500 Jahre kaum Fortschritte (die einer obkektiven Prüfung standhalten würden) zu erzielen in der Lage war. Er sieht daher das Ende – zumindest der Systemphilosophie – gekommen und betrachtet die Philosophie vielmehr als eine Art Metawissenschaft, die die grundsätzlichen logisch-erkenntnistheoretischen Fragen des wissenschaftlichen Forschens zu untersuchen sich vornehmen sollte.

Wenn das ein wenig nach Popper klingt, so ist dies kein Zufall: Popper selbst hat in „Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie“ Krafts wissenschaftstheoretische Gedanken gewürdigt und in ihm einen Vorgänger gesehen, dessen Arbeiten einiges seiner eigenen Überlegungen vorweggenommen hätten. Wobei Kraft beileibe nicht der einzige war: Wer Richard von Mises‘ „Kleines Lehrbuch des Positivismus“ liest, wird einiges wiedererkennen, William Whewell, hierzulande weitgehend unbekannt, dürfte Popper ebenfalls – neben all den Philosophen aus dem Wiener Kreis (auch wenn er das bestreiten würde und sich immer als Antagonist präsentiert hat) – stark beeinflusst haben.

Vieles von dem, was Kraft vor allem in Bezug auf Ethik (oder Ästhetik) schreibt, sind Hausverstandsprogramme: Aber in keinem abwertenden Sinne. Er sieht – etwa im Gegensatz zu Scheler oder Nicolai Hartmann – die Problematik eines dogmatischen Intuitionismus, der seine Wertehierarchie nur behaupten, keinesfalls aber belegen kann. Vergleichbar ist ein solcher Intuitionismus mit der Selbstevidenz in der Epistemologie, wie sie von Edmund Husserl vertreten wurde. Was für den einen einsichtig und selbstverständlich erscheint (so hat Scheler die Religion bzw. Gott an die höchste Stelle seiner Wertepyramide gesetzt), ist für den anderen keineswegs akzeptabel, weshalb die von diesen Philosophen erhobenen Absolutheitsansprüche sich selbst ad absurdum führen. Kraft hingegen vertritt eine Axiomatik der Grundsätze, die in der Mathematik auf ähnliche Weise vertreten wird: Ausgehend von frei gewählten Prinzipien (die keinen Anspruch auf Wahrheit mit sich führen) kann einzig durch deduktiv-logische Schlussfolgerungen über ethische oder ästhetische Fragen diskutiert werden.

Im Gegensatz zu vielen rezenten Einführungen, die zumeist einen pseudoobjektiven und sterilen Eindruck vermitteln, spürt man bei Kraft das Engagement in der Auseinandersetzung mit philosophischen Fragestellungen: Keine bemühte Distanz, sondern logisch-rationale Analyse, die der Philosophie keine größeren Aufgaben zumutet, als sie zu erledigen in der Lage ist. Bei aller Bescheidenheit und Zurückhaltung bezüglich „letzter“ Lösungen bleiben Krafts Ausführungen klar und konzis – und überall dort, wo andere glauben, für die Ewigkeit gedacht zu haben, ist seine Kritik scharf und treffend, niemals aber herabsetzend oder gar beleidigend. Gerade diese stets spürbare menschliche Note dürfte zu der eingangs erwähnten Vergessenheit wesentlich beigetragen haben: Kraft wollte seiner Philosophie wegen gehört werden und war wohl ein schlechter Apostel seiner selbst. Sein Werk verdient jedenfalls Beachtung (eine Werkausgabe wäre ein lohnendes Unterfagen), derzeit sind seine Bücher nur antiquarisch erhältlich (in jenen unscheinbar grauen, broschierten Ausgaben, die bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts vom Springer-Verlag herausgegeben wurden).


*) Drimmel ist ein Paradebeispiel dafür, welch nachhaltig negativen Einfluss einzelne Flachköpfe in der Politik haben können. Er war beispielhaft für den Geist, der in der Ständediktatur nach 1934 herrschte und der etwa den Mord an Moritz Schlick als „verständlich“ einstufte ob dessen zersetzender und die Jugend verstörender Philosophie. – Wie überhaupt die ÖVP über Jahrzehnte die Universitäts- und Schulpolitik in Österreich geprägt und jedwede Reformen bis zum heutigen Tag blockiert hat, wobei sie immer wieder Unterrrichtsminister(innen) von beachtlicher Einfalt und bewundernswerter Inkompetenz zu rekrutieren wusste: Auf Drimmel folgte Theodor Piffl-Perčević, der jenem in Sachen katholischer Kleingeistigkeit in nichts nachstand, später waren Elisabeth Gehrer oder der jetztige Martin Polaschek würdige Nachfolger in dieser unsäglichen Ministerriege.


Victor Kraft: Einführung in die Philosophie. Philosophie, Weltanschauung, Wissenschaft. Wien, New York: Springer Verlag 1967.

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