Volker Weidermann: Ostende

Volker Weidermann zeichnet anhand des Sommers 1936 die Freundschaft zwischen Stefan Zweig und Joseph Roth nach, eine Freundschaft zweier unterschiedlicher Charaktere, zwischen dem Erfolgsautor und Weltmann Zweig und dem zwar anerkannten, aber weit weniger erfolgreichen Roth, der 1936 schon von seiner Alkoholsucht schwer gezeichnet war. Beide haben mit Deutschland ihren Hauptabsatzmarkt verloren, fühlen sich fremd, im Exil, denn es ist offenkundig, dass auch Österreich nicht mehr lange ein sicherer Staat für Juden sein wird. Es sollte das letzte Zusammentreffen in einigermaßen entspannter Atmosphäre sein, unter Bekannten und Freunden wie Egon Erwin Kisch, Hermann Kesten und Irmgard Keun, die sich – von ihrer Umgebung unverstanden – in den „jungen Greis“ Roth verliebt, in seine Traurigkeit, Verletzlichkeit.

Die Unbeschwertheit des Sommers ist eine scheinbare, nur beunruhigende Nachrichten aus Deutschland, Etkar André wird zum Tode verurteilt, Stefan Lux verbrennt sich in seiner Verzweiflung ob der Untätigkeit der Welt während der Generalversammlung des Völkerbundes, von Ernst Toller ist bekannt, dass er nur noch mit Strick verreist (drei Jahre später wird er in New York Selbstmord begehen, die Nachricht lässt Roth in Paris endültig zusammenbrechen). In Ostende lebt man in verzweifelter Gier, Keun und Roth trinken und schreiben um die Wette, man schwankt zwischen Wut und resignativem Galgenhumor. Es ist eine untergehende Welt, eine Welt, die in den Abgrund taumelt, ein Abgrund, der für die Künstler und Schriftsteller sehr viel früher und schmerzhafter spürbar, der von diesen auch sehr viel früher als ein Untergang erkannt wurde. Sowohl Roth als auch Zweig gehören der kaiserlich-königlichen Zeit von vor 1914 an, einem vor allem von Roth idealisierten Staat mit einem behäbigen, väterlichen Kaiser und alles in allem wohlwollender Bürokratie. Wobei er nicht einfältig genug gewesen ist, an dieses Traumbild tatsächlich zu glauben, es war ihm aber schlicht überlebensnotwendig.

Weidermann gelingt es ganz hervorragend, diese Untergangsstimmung in all ihrer Ambivalenz zu evozieren, das Persönliche auf dem Hintergrund der politischen Lage darzustellen, er zitiert aus Briefen, Tagebüchern, Werken und verleiht diesem Essay eine tiefgehende Authentizität, die solche Werke häufig vermissen lassen. Keine Effekthascherei (wie etwa bei Illies), sondern konzise Beschreibung des Seelenzustandes jener Vertriebenen, die – im Unterschied zu den meisten anderen, den politischen Entscheidungsträgern – bereits einen Vorgeschmack auf das noch zu Erwartende, das Ungeheuerliche erhielten. Weidermann bleibt im Hintergrund, bescheiden, er versieht mit Sorgfalt seinen Dienst am Thema, am Buch, er lässt jene zur Sprache kommen, die diesem Leiden entgegengehen. Und er enthält sich auch jeglicher Kritik an den Schriftstellern, auch Roth und Zweig sind gleichberechtigt (wobei schon die wenigen Zitate die Überlegenheit von Roths Sprachgewalt gegenüber den künstlich-ziselierten, oft pathetischen Sätzen Zweigs ausweisen).

Ein mehr als gelungenes Buch, ein Stimmungsbild von großer Eindringlichkeit, ein Autor, dem an seinem Buch gelegen ist und nicht an Selbstdarstellung. Und jemand, der mit diesem seinem Thema vertraut ist, keine billigen Anekdoten oder Klischees um eines Effektes willen einflicht. (So beschreibt er etwa Zweigs meist unterschlagene Kriegsbegeisterung nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, während man ansonsten recht einseitig den Pazifisten Zweig serviert bekommt.) Nur zu empfehlen!


Volker Weidermann: Ostende. 1936 – Sommer der Freundschaft. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2014.

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