Ingeborg Bachmann: Anrufung des Großen Bären

Lange bevor ihre Prosa bekannt wurde, war Ingeborg Bachmann schon durch ihre Lyrik berühmt. (Wie überhaupt die 1950er in der deutschen Lyrik, der weiblichen an vorderster Front, eine glänzende Epoche darstellen.) Anrufung des Großen Bären erschien 1956 und ist bis heute einer der bekanntesten Lyrikbände nicht nur Bachmanns, nicht nur jener Zeit, sondern der ganzen…

Marcel Proust: À la recherche du temps perdu IV. Sodome et Gomorrhe (1) [Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. S. u. G.]

Gegen Ende des dritten Buchs Le côté de Guermantes hat Prousts Ich-Erzähler nachgerade in der Art eines ‚Cliffhangers‘ angekündigt, er habe in seinem Ausguck oberhalb der Wohnung seiner Eltern im hôtel de Guermantes etwas gesehen, das sein Weltbild grundlegend geändert habe, wolle aber zuerst im Zusammenhang erzählen, wie seine Nachfrage bei M. und Mme de…

Alain de Botton: Kunst des Reisens

Als die Pandemie Europa so richtig im Griff hatte und Reisebeschränkungen Alltag wurden, startete die Büchergilde eine neue Reihe, Büchergilde unterwegs, herausgegeben von Julia Finkernagel. Seither sind über ein Dutzend Bände erschienen, die im weitesten Sinne alle mit Reisen zu tun haben – jedes Quartal eines. Ich habe – mit Ausnahme des Büchleins Orientreisen von…

Kim de l’Horizon: Blutbuch

Um es im Jargon der Sportjournalist:innen zu schreiben: Mit diesem Roman hat Kim de l’Horizon letztes Jahr (2022) das Double gewonnen – nämlich sowohl den Deutschen wie kurze Zeit später den Schweizer Buchpreis. Kim de l’Horizon begreift sich selber als genderfluide Person. Das bedeutet, so weit ich das verstehe, dass Kim sich manchmal als Männchen…

Peter Strauß: Ende offen

Die Ziele seines Buchs, die Gründe, warum er es geschrieben hat, führt der Autor in seinem Vorwort wie folgt an: Dieses Buch – wie jedes andere auch – baut auf dem Wissen der Menschen vor uns auf und will einen kleinen Beitrag zum nächsten Schritt unserer Weiterentwicklung leisten. „Wir sind Zwerge auf den Schultern von…

James Boswell: Dr. Samuel Johnson. Leben und Meinungen

Wenn man im deutschen Sprachraum über Boswell und Johnson spricht, ist ein Vergleich mit dem deutschen Paar Eckermann und Goethe fast unvermeidlich. Tatsächlich gibt es einige Parallelen: In beiden Fällen haben wir einen älteren berühmten Schriftsteller vor uns und einen jüngeren Verehrer. Boswell wie Eckermann waren beide nicht frei von eigenen literarischen Ambitionen, beide aber…

Wilhelm Brauneder: Karl May [»Director’s Cut«]

(Der im Titel von mir verwendete Begriff „Director’s Cut“ ist cum grano salis zu genießen. Zum einen, weil es sich hier ja nicht um einen Film, sondern um eine Rezension handelt, die ich auf Ersuchen der Redaktorin Jenny Florstedt für die Dezember-Nummer (4/22) der Zeitschrift Karl May & Co. schreiben durfte. Genauer gesagt – und…

Wilhelm Brauneder: Karl May. Dichter – Themen – Umfeld

Die nachfolgende Rezension habe ich auf Bitten der Redaktorin Jenny Florstedt für die Dezember-Ausgabe (4/22) der in Leipzig erscheinenden Zeitschrift Karl May & Co. geschrieben, wo er nun auf der vorletzten Seite zu finden ist. Was ich bei meiner Zusage nicht wusste, ist, dass Verlag wie Autor politisch ziemlich am rechten Rand des Spektrums angesiedelt…

Albert Camus: Der Mythos von Sisyphos

Camus’ theoretische Werke (wie z.B. das vorliegende Der Mythos von Sisyphos) werden meist unter ‚Philosophie‘ abgelegt – ein Brauch, dem ich auch gefolgt bin. Camus selber, als Autor und Denker, findet man dann meistens in der Schublade ‚Existenzialismus‘. Jedenfalls im deutschen Sprachraum gelten die beiden Sätze ziemlich genau, im französischen schaut man die Sache, wenn…