James Boswell: Dr. Samuel Johnson. Leben und Meinungen

Ausschnitt aus dem Buchcover: Augenpartie eines Porträts von Dr. Samuel Johnson, gemalt von Sir Joshua Reynolds.

Wenn man im deutschen Sprachraum über Boswell und Johnson spricht, ist ein Vergleich mit dem deutschen Paar Eckermann und Goethe fast unvermeidlich. Tatsächlich gibt es einige Parallelen: In beiden Fällen haben wir einen älteren berühmten Schriftsteller vor uns und einen jüngeren Verehrer. Boswell wie Eckermann waren beide nicht frei von eigenen literarischen Ambitionen, beide aber sind nur bekannt geworden im Zusammenhang mit den beiden Autoren, deren Gespräche sie aufzeichneten und veröffentlichten. Beide verfügten offenbar über ein gutes Gedächtnis und waren im Stande, diese Gespräche im Nachhinein an Hand von wenigen Notizen zu rekonstruieren. Beide trafen sie den Ton ihres Vorbildes vortrefflich. Ich vermute, dass Goethe (der zumindest Johnsons Roman Rasselas kannte) auch mit Boswells The Life of Samuel Johnson, LL.D. bekannt war und sogar von diesem Buch dazu angeregt wurde, sich in der Person Eckermann seinen eigenen Boswell heranzuziehen.

Es gibt natürlich auch einige Unterschiede. Während der schüchterne Eckermann sein Leben lang von Goethe abhing, führte Boswell durchaus ein eigenes Leben (das ihn auch oft hinderte, in London und bei Johnson zu sein). Der Sohn und später Erbe eines schottischen Landgutbesitzers war von seinem Vater zu einer Ausbildung als Rechtsanwalt gezwungen worden und hat mindestens zehn Jahre lang diesen Beruf auch ausgeübt. Er durfte auch – nachdem er dann doch sein Studium abgeschlossen hatte – die übliche Grand Tour durch Europa durchführen. Bedeutend weniger schüchtern als Eckermann gelang es ihm dabei, Rousseau wie Voltaire an ihren jeweiligen Wohnsitzen zu besuchen. Dennoch war seine Verehrung Johnsons echt und mindestens so groß wie diejenige Eckermanns zu Goethe.

Doch auch die beiden derart Verehrten waren von Charakter und Herkunft her ziemlich verschieden. Johnson stammte aus recht bescheidenen Verhältnissen. Zwar lag ein Studium in Oxford drin, er machte aber nie einen Abschluss – seine akademischen Titel erhielt er viel später, als er bereits berühmt war, ehrenhalber. Und während Goethe sich von der relativ großen Handelsstadt Frankfurt ins kleine, provinzielle Weimar zurückzog, sollte Johnson sein ganzes Leben als Schriftsteller in London verbringen; alle seine Wohnungen lagen in der Nähe der Fleet Street. Zu Beginn seiner Karriere war er so arm, dass er sich kaum einen anständigen Anzug leisten konnte. Später dann erreichten seine Freunde, dass ihm König George III. eine Pension in der Höhe von 300 £ aussprach. Johnson, der das Haus Hannover als Usurpator betrachtete und sich oft auch so in der Öffentlichkeit geäußert hatte, schwieg von dem Moment an zu diesem Thema und gab auch ganz offen zu, dass er nicht die Hand beißen wolle, die ihn füttere. Nichtsdestotrotz fand er genügend Stoff, um seiner verbalen Angriffslust zu frönen – schriftlich wie mündlich. Er betrachtete nämlich (und Boswell kommt immer wieder darauf zurück) ein Gespräch als eine Art Duell, in dem es nicht darauf ankam, Recht zu haben, sondern nur Recht zu behalten. So handelt es sich bei vielen Aussagen Johnsons, die Boswell referiert, um schon vom Sprecher selber zugespitzte Anekdoten und Aphorismen.

Ansonsten gibt es von Johnson kaum eigene Werke, die die Zeiten überlebt haben, wenn wir von seinem berühmten Wörterbuch einmal absehen. Den oben schon erwähnten Rasselas, den Johnson selber als Vorbild von Voltaires Candide hinstellte (und natürlich waren er wie Boswell der Meinung, dass der englische Roman besser sei als seine französische ‚Nachahmung‘), nennt (ich will nicht sagen: kennt) allenfalls die Literaturwissenschaft, auch wenn im 20. Jahrhundert noch eine neue deutsche Übersetzung erschienen ist. Wie immer unter Zeitgenossen sind die Urteile Johnsons über seine Kollegen oft falsch. Sternes Tristram Shandy, fand er, habe die Zeit nicht überlebt, hingegen glaubte er an ein Weiterleben von Goldsmith’ Theaterstücken.

In der Schilderung der damaligen ‚Szene‘ in London, den Zusammenkünften, formellen und informellen Clubs der britischen Intelligentsia in London besteht denn auch bis heute der große Reiz von Boswells Buch – denn Johnson kannte so ungefähr alles, was damals Rang und Namen hatte. Es handelt sich hier um Männer, die bis heute aus dem einen oder anderen Grund bekannt sind: Edmund Burke, Joseph Banks, Edward Gibbon, James Macpherson (Johnson war der erste überhaupt, der dessen Ossian für eine Fälschung hielt, ganz einfach deshalb, weil Machpherson nie eine Originalhandschrift vorweisen konnte), selbst Horace Walpole stand mit ihm in Kontakt und dies, obwohl der jüngere Johnson seinerzeit seinen Vater Sir Robert Walpole in dessen Zeit als Premierminister herzlich kritisiert hatte.

Über den Privatmann Johnson erfahren wir wenig. Er war, als ihn Boswell kennen lernte, bereits verwitwet. Er könnte, wenn ich Boswell richtig verstehe, später von Zeit zu Zeit Kontakt gehabt haben mit Prostituierten. Auch soll er einmal in einem Gespräch seine Gesprächspartnerin verblüfft haben mit seinen genauen Kenntnissen in der Kochkunst. Wenn ich dann allerdings wieder lese, wie er über die Franzosen herzieht, die beim Kochen das Fleisch – horribile dictu! – mit Kräutern würzen, bin ich nicht so sicher, ob man ihn als Gourmet bezeichnen kann. Gourmand war er auf jeden Fall. Er muss schier unglaubliche Portionen in sich hinein geschaufelt haben – schweigsam und hoch konzentriert. Es gab Phasen, in denen er auch dem Wein in hohem Maß zusprach, allerdings auch wieder Jahre, in denen er keinen Tropfen trank.

Als Politiker war Johnson erzkonservativ. Er gab vor, Schottland und die Schotten zu hassen (zum Beispiel David Hume), machte aber für Boswell eine Ausnahme. Untreue Männer waren schon schlimm genug, untreue Frauen aber untolerierbar. Während er in Bezug auf Irland tatsächlich der Meinung war, dass da eine katholische Mehrheit von einer protestantischen Minderheit aufs Brutalste unterdrückt wurde, sprach er sich konsequent gegen jede Mitsprache der amerikanischen Kolonisten im britischen Parlament aus und befürwortete die Erhebung von Steuern auf amerikanischen Gütern auch gegen den Willen der Kolonisten.

Goethe (und Lichtenberg!) schätzten Johnson. Eckermann, das eine Mal, als er in seinen Gesprächen mit Goethe erwähnt, verspricht ihn zu lesen, möchte aber lieber Goethes Meinung zu Lord Byron hören – so rasch war es mit Johnsons Ruf im deutschen Sprachraum vorbei. In England ist er nach wie vor der meist zitierte Autor nach Shakespeare. Als Einblick in die literarische Szene Londons in der Zeit so ungefähr von 1750 bis 1785, eine Zeit also, in der sich in London so viel geballte Intelligenz finden ließ, wie sonst nirgends auf der Welt, ist Boswells Leben und Meinungen nach wie vor ‚unverzichtbar‘.

2 Replies to “James Boswell: Dr. Samuel Johnson. Leben und Meinungen”

  1. Wenn ich besonderer Umstände halber (hatches, matches and dispatches) an einem, fast immer evangelischen, Gottesdienst teilnahm und dort eine Pfarrerin in Aktion erlebte, fiel mir stets auf, dass Dr. Johnsons Diktum “a woman’s preaching is like a dog’s walking on his hind legs. It is not done well; but you are surprised to find it done at all” — aber schon so was von skandalös verschroben ist, oder hat etwa jemand eine andere Konklusion zu erwarten gewagt?

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