Singender Sand, so der deutsche Titel (wir kennen im Deutschen keine Mehrzahlform für ‚Sand‘), ist der letzte Kriminalroman mit Inspector Alan Grant als Protagonisten. Er wurde 1952, nach dem Krebstod der Autorin, in ihren Papieren gefunden und noch im gleichen Jahr veröffentlicht. Man geht offenbar (auf Grund welcher Indizien, entzieht sich meiner Kenntnis) davon aus, dass Josephine Tey den Roman in ihrem letzten Lebensjahr geschrieben hat, als sie sich – im Wissen um ihren baldigen Krebstod – von der Welt und auch von ihren Freunden zurück zu ziehen begann. Man will auf Grund dieser Entstehungsgeschichte dann auch einen melancholischen Grundton im Roman ausgemacht haben. Wie weit da die Erwartungshaltung der Kritik und der Lesenden involviert ist – schwierig zu sagen.
Tatsache ist, dass wir zum Einen eine in ihrem Grundgerüst recht konventionelle Geschichte lesen. Grant ist zunächst der einzige, der hinter dem tödlichen Unfall im Nachtzug von London nach Edinburgh einen Mord zu vermuten beginnt, und deshalb auf eigene Faust ermittelt. (Er ist eigentlich im Urlaub, genauer: im Krankenstand.) Natürlich findet er den Mörder, auch wenn der sich ihm und der Justiz durch Selbstmord entziehen kann.
So weit, so konventionell, wie gesagt. Für die Entstehungszeit eher unkonventionell ist der Umstand, dass Grant über weite Strecken der Geschichte krank ist. Er hat sich offenbar überarbeitet (mehr erfahren wir nicht, nur, dass sich diese Überarbeitung in Form von klaustrophobischen Anfällen äußert) und nun Urlaub genommen, den er in Schottland bei einem alten Freund und dessen Frau, seiner Cousine, verbringen will – mit Fischen. Das ist für die Entstehungszeit dann schon weniger konventionell: ein Ermittler mit psychischen Problemen war damals noch einigermaßen unerhört. Tey könnte hier also stilbildend gewirkt haben. Glücklicherweise verzichtet sie aber auf allzu ausführliches Eingehen auf diese Probleme Grants, und so bleibt der Roman noch genießbar.
Fischen will Grant, haben wir gesagt. Das tut er denn auch und es wird von Tey auch recht ausführlich beschrieben. Dennoch lässt ihm der Tote im Nachtzug keine Ruhe. Er hat versehentlich dessen Zeitung mitgenommen und findet darin ein handgeschriebenes Gedicht, in dem eben dieser Singende Sand eine Rolle spielt. Mit zu viel Zeit unter der Hand fängt er an, nach der Quelle dieses singenden Sands zu suchen. Zunächst vermutet er einen mit diesem Namen versehenen Küstenabschnitt auf den Hebriden dahinter. Das erweist sich zwar als Sackgasse, aber das einfache Leben dort und die alten gälischen Lieder haben eine karthartische Wirkung auf ihn – im klassischen Sinn des Wortes. Er bricht bei einer traditionellen Feier in Tränen und Lachen gleichzeitig aus, mit dem Resultat, dass seine klaustrophobischen Anfälle aufhören. Er wird dann, zusammen mit einem ehemaligen Freund des Toten, herausfinden, wo der Singende Sand tatsächlich zu suchen ist (nämlich unter dem Namen Wabār (Atlantis des Sands), einer verschollenen – oder auch nie existiert habenden – Stadt in Arabien). Das ist die – zugegebenermaßen ein wenig phantastische – Lösung des Falls, aber nicht das Ende des Romans.
Der endet nämlich damit, dass Grant – zum ersten Mal in seinem Leben, sagt die Autorin – darüber nachdenkt, in Rente zu gehen. Er besitzt genügend Privatvermögen, um sich das leisten zu können. Ja, selbst über eine Eheschließung denkt er nach (ohne allerdings eine konkrete Person dafür im Auge oder gar an der Hand zu haben).
Was mich noch zu einer Schlussbemerkung führt. Val McDermid, eine noch lebende Kollegin von Josephine Tey, schreibt in einem kurzen Essay, der meiner Ausgabe (London: Folio Society, 2014) als Vorwort beigegeben wurde, aber schon früher unabhängig von dieser Ausgabe erschienen ist, dass in den 1950ern der Umstand, dass ein männlicher Protagonist als schwach oder krank beschrieben wurde, oft ein Hinweis auf dessen nicht offen nennbare Homosexualität gewesen sei und schließt mit Hilfe von Passagen aus einem anderen Roman (Wie ein Hauch im Wind) darauf, dass auch Grants Charakter als homosexuell angelegt gewesen sei. Nun spielt der frühere Roman tatsächlich mit transvestitischen und homosexuellen Untertönen – diese betreffen aber nie Grant (der im Gegenteil auf den jungen Mann, der in Tat und Wahrheit eine junge Frau ist, sofort mit Verwirrung reagiert). Auch dass Grant offenbar schlanke, groß gewachsene Frauen in Hosen attraktiv findet, ist natürlich kein Zeichen für Homosexualität. Es ist wohl eher ein Spiel von Josephine Tey mit dem sexuellen Neutrum, das so viele Detektive in den frühen Kriminalromanen darzustellen hatten.
Persönlich hat mir der Hauch im Wind besser gefallen, Tey hat da bissiger geschrieben – in jedem Sinn. Aber auch The Singing Sands hat durchaus seine Meriten und lohnt eine Lektüre.
1 Reply to “Josephine Tey: The Singing Sands”