Arthur C. Clarke: Childhood’s End [Die letzte Generation]

Im trüben, wolkenverhangenen Himmel fliegt ein offenbar beschädigtes Raumschiff von rechts nach links durchs Bild. Es hinterlässt eine riesige schwarze Rauchspur. - Ausschnitt aus dem Buchschuber

Childhood’s End erschien zum ersten Mal im Jahr 1953, gehört also zu Clarkes frühesten Büchern. 1989 schrieb der Autor ein neues Vorwort und änderte das erste Kapitel. Im neuen Vorwort ging es ihm vor allem darum, seinen etwas enigmatischen Satz aus dem alten (nämlich dass der Autor nicht die Botschaft des Buchs teile) dahingehend zu erläutern, dass damit der in verschiedenen Variationen auftauchende Satz The Stars are not for Men gemeint war. Tatsächlich war Clarke ein unbedingter Anhänger der bemannten Raumfahrt, aber im vorliegenden Buch zeigt es sich, dass die intellektuelle Kapazität der Menschheit im aktuellen Entwicklungsstand nicht ausreichen würde, das All zu fassen. Im neuen Vorwort fügte Clarke noch hinzu, dass er seit 1953 seine Meinung in einem anderen Gebiet geändert habe. Während er (und nicht nur er – auch seriöse Wissenschaftler hingen der These an) damals noch der Meinung gewesen war, das so genannte paranormale Fähigkeiten wie Telekinese oder Telepathie naturwissenschaftlich nachweisbare Phänomen seien und er sie dementsprechend auch in seine Handlung einbaute, zog er diese Ansicht 1989 zurück. (Allerdings hat er noch 1968 und später, in seiner Space Odyssey einen ähnlich mystisch-paranormal angehauchten Schluss verwendet wie hier.)

Arthur C. Clarke änderte 1989 auch das erste Kapitel ab. Ursprünglich begann der Roman kurz nach 1975 (das Ende des Zweiten Weltkriegs war etwas mehr als 30 Jahre her, wird einmal gesagt); die Menschheit war gerade daran im (von Clarke richtig vorhergesehenen!) Wettlauf der beiden großen Systeme Kapitalismus (USA) und Kommunismus (UdSSR) zum ersten Mal einen Menschen auf den Mond zu schicken. 1989 hatte es sich gezeigt, dass Clarke diese Entwicklung zu langsam vorher gesehen hatte. Obwohl er im Vorwort darauf verweist, dass H. G. Wells’ The War of the Worlds noch heute gelesen werde, auch wenn wir wissen, dass 1898 keine Marsianer Südengland gegrillt hätten (oder, quant à ça, New Jersey im Jahr 1938), änderte er die Geschichte dahingehend ab, dass sie erst ungefähr 2050 einsetzt, als sich eine russische Kosmonautin, unter einer von einem US-Amerikaner geleiteten Bodenstation, bereit macht für den ersten Flug eines Menschen zum Mars. Statt des Mondes sollte nun also der Mars erschlossen werden, dank Präsident Bush-Vater, wie Clarke explizit meinte. Darüber ließe sich noch diskutieren, dummerweise aber hat Clarke 1989 nicht vorhersehen können, dass im Jahr 2050 nun dafür eine Intervention an der UNO-Vollversammlung eines Delegierten der UdSSR anachronistisch sein würde.

Die Handlung kann überall im Internet nachgelesen werden. Sie ist – nicht wegen der Verwendung von Telekinese und Telepathie, auch auch deswegen – voller logischer Löcher und Probleme. Auch hierin gleicht sie durchaus der der Space Odyssey-Romane. So erfindet Clarke eine auch rückwärts verlaufende Zeit – so, dass die Menschheit sich an die Overlords in ihrer an die Teufel der barocken Malerei erinnernden Gestalt deshalb zu erinnern glauben, weil sich diese ‚Erinnerung‘ sozusagen rückwärts ins kollektive Bewusstsein geschlichen hatte. Und warum ganz am Ende die Erde zerstört wird, ist auch nicht ganz klar – was dabei mit dem Mond passiert, mit dem sich Clarke ein paar Seiten früher noch intensiv beschäftigt hat, noch weniger. Auch an den starken Einfluss, den Paranormales auf die Handlung hat, muss man sich gewöhnen, bzw. man muss es akzeptieren oder das Buch beiseite legen.

Arthur C. Clarke soll sein Leben lang diesen Roman für einen seiner besten oder gar für seinen besten gehalten haben. Ich kenne natürlich nicht alles von ihm, möchte diese Auszeichnung aber dann doch lieber Rendezvous mit Rama zugestehen. (Wobei Clarke auch bei Rama seinem Drang nach Fortsetzungen nicht widerstehen konnte und aus einem gut gemachten, kühlen aber stringenten Plot um eine Art Erstkontakt eine x-beliebige Space Opera mit Herz, Schmerz und Leidenschaft machte. Fortsetzungen hat diese Geschichte hier nicht – ganz einfach, weil es keine mehr geben konnte: Die Erde und die Menschheit existieren am Schluss gar nicht mehr in ihrer gewohnten Form.)

Denn die Menschheit – will sagen: deren Kinder – wird zum Schluss aufgenommen von einer Art Geisteswesen, das man in Ermangelung eines besseren Namens Overlord nannte. Clarke gelingt es aber bis zum Schluss nicht so richtig, den Lesenden klar zu machen, was denn nun an diesem Übergang erstrebenswert sein könnte. Die auf den Übertritt wartenden Kinder werden sogar einmal beschrieben wie weiße, fette Maden – keineswegs ein positiv konnotierter Anblick. Auch das Goldene Zeitalter, der mittlere Buchteil, wirkt sehr ambivalent. Ja, den Menschen geht es prächtig. Der Wohlstand ist gleichmäßig verteilt; jeder kann machen, was er will. Nur wenige (darunter ein gewisser Jan Rodricks – zu ihm gleich unten) spüren, dass dieses Goldene Zeitalter erkauft wurde mit einem Mangel an Kreativität und Neugier, Abenteuerlust und Wissensdrang. Ein paar dieser wenigen gründen eine Art Künstlerkolonie in Griechenland – sozusagen eine Utopie in der Utopie. Oder ist die Utopie des Goldenen Zeitalters doch eine Dystopie? Clarke bezieht nicht klar Stellung. Die Meinung, dass so ein Goldenes Zeitalter den Menschen gleichsam intellektuell verkümmern lasse, wird immer wieder vorgebracht und gehört zur Standard-Interpretation dieses Romans. Sie ist aber unbewiesen, denn es gab noch nie und nirgends auf dieser Erde ein derartiges Zeitalter. Clarkes Schwanken ist also verständlich.

Dieses meines ist also kein sehr positives Urteil über die Geschichte als solche? Ja. Allerdings …

Es gibt zwei Dinge, die meiner Meinung nach für die Geschichte der Science Fiction wichtig wären, wenn sie überhaupt jemand bemerkt hätte. (Ich jedenfalls habe nichts gefunden.) Da ist einmal die Party im mittleren Teil des Romans. Die ist nicht an und für sich wichtig – Clarke braucht sie, um den Plot voran zu treiben. Aber wir lernen hier eine wichtige Person kennen.

Dazu muss ich etwas ausholen. Grob gesagt verfügt der Roman über drei Protagonisten. Der erste, der am wenigsten wichtige, weil er nur zu einem Zeitpunkt agiert, als sich die Overlords noch nicht persönlich zeigten, ist der UNO-Generalsekretär Stormgren, trotz seines Namens ein Finne, ungefähr 60 Jahre alt. An ihm ist nichts weiter speziell; er ist der ruhige und überlegte Führer – der einzige Mensch, mit dem die Overlords zu jenem Zeitpunkt Kontakt haben. Seine manchmal etwas ironische Art, an die Dinge heranzugehen, macht viel vom Reiz des ersten Teils des Buches aus. Da sich die Overlords aber Zeit lassen, ist er zum Zeitpunkt, als die Handlung Fahrt aufnimmt, bereits tot.

Im zweiten Teil erscheint dann zum ersten Mal Jan Rodricks, jener Mensch, der später, im dritten Teil, als erster und einziger ein Raumschiff der Overlords besteigt und zu deren Heimatplaneten reist. Es zeigt sich, dass nach seiner Rückkehr zur Erde dort niemand mehr ist, dem er davon erzählen kann. Außer den Kindern (der Letzten Generation, die im Englischen dem dritten Teil den Titel gegeben hat, im Deutschen gleich dem ganzen Buch) ist da niemand mehr – und die befinden sich allesamt in Australien, in einer Art Trainingscamp für ihre paranormalen Fähigkeiten. Normalen Menschen war dort der Zutritt schon nicht gestattet, als es noch welche gab. Die normale Menschheit aber ist ausgestorben, nachdem es sich gezeigt hat, dass alle ihre Kinder nunmehr paranormal begabt sind. Warum sie plötzlich keine Kinder mehr kriegt (kriegen will?) kann weder Jan Rodricks, noch die Overlords, noch der Autor erklären. Jedenfalls ist da diese Party, mit der ein ansonsten unwichtiger Rupert seine Heirat feiert. An der Party treffen die Gäste nicht nur auf die Gastgebenden sondern auch auf einen Overlord, der in Ruperts Bibliothek alle Werke studiert, die sich mit Parapsychologie befassen – etwas, worin Rupert sich spezialisiert hat. Doch auch dieser Alien ist nur mäßig interessant. Ein gewisser George Greggson ebenfalls – zwar ist er der Vater des ersten Kindes, an dem sich die paranormalen Fähigkeiten der neuen Generation zeigen. Wichtiger aber ist der andere Gast, den Greggson auf der Dachterrasse antrifft:

[…] a strikingly handsome young Negro whose name George had been told but immedately forgotten, like those of twenty other complete strangers at the party.

Er ist, stellt sich heraus, Jan Rodricks, der Bruder der frisch verheirateten Frau. Damit stellt Arthur C. Clarke zwei im Jahr 1953 unerhörte Dinge in den Raum: a) Die Heirat eines (wahrscheinlich) Weißen mit einer Farbigen und b) mit Jan Rodricks als wichtigem Protagonisten des Romans – einen Farbigen! Es gab und gibt noch immer ein großes Aufsehen um die Hautfarbe der Protagonist:innen von Ursula K. Le Guins Earthsee– und Hainish-Zyklen. Dass aber Clarke bereits 1953 – als, so weit ich sehe, erster Weißer – einen Farbigen zum Protagonisten eines Romans macht, der nicht der Hochgebirgs-Literatur zugerechnet wird, und damit Erfolg hat: darüber habe ich nichts gefunden. (Es wird aber sicher jemand in einer so kleinen Nische wie die unsere hier schon darauf hingewiesen haben.)

Last but not least der dritte Protagonist. Er ist zugleich der einzige, der die Geschehnisse des Romans überlebt, der einzige, der in allen drei Teilen mitspielt: Karellen. Er ist offenbar der Expeditionsleiter der Overlords und der interimistische Gouverneur der Erde für den Overmind. Wir erfahren im Lauf des Romans sehr viel über ihn, vor allem auch über seine Trauer und seinen Kummer darüber, dass die Spezies, die der Mensch Overlord getauft hat, offenbar nicht in der Lage ist, paranormale Fähigkeiten zu entwickeln. (Erst durch ihn habe ich, ehrlich gesagt, ein bisschen gespürt, was am Übergang der Menschheit zum Overmind erstrebenswert sein soll.) Ein Alien als durchaus sympathischer und wichtiger Protagonist! Auch das gab es meines Wissens nicht vor 1953. (Es wird aber sicher jemand in einer so kleinen Nische wie die unsere hier schon darauf hingewiesen haben.) Dass Clarke das Schicksal der Overlords nicht in einer Fortsetzung verwurstet hat, weist wohl darauf hin, dass er sich der sich der Möglichkeiten, die ihm Karellen eröffnet hätte, selber nicht bewusst war oder dann doch vor einem Roman mit lauter Aliens zurück schreckte.

Zu viel, das zu wenig erklärt wird. Ergo: Uneingeschränkt empfehlen kann ich von Arthur C. Clarke nach wie vor nur Rama.

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