Maurice Maeterlinck: La vie des abeilles [Das Leben der Bienen]

Großaufnahme einer Biene, die sich am Nektar einer Margerite gütlich tut. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Nach Romain Rolland gleich ein weiterer bekannter Autor, von dem ich bisher noch nie etwas gelesen habe. Auch er französischsprachig (allerdings stammte er aus Belgien), auch er einer der frühen Empfänger des Nobelpreises für Literatur (sogar noch vor Rolland, nämlich 1911), auch ihn stelle ich nicht mit einem literarischen Text vor sondern mit einem theoretischen (allerdings nicht mit einem philosophisch-essayistischen sondern einem naturwissenschaftlich-essayistischen): Maurice Maeterlinck.

Zwar will mir scheinen, dass Maeterlinck im deutschen Sprachraum weniger bekannt ist als Rolland. Das liegt wohl einerseits daran, dass er keinen prominenten deutschsprachigen Briefpartner hatte wie Rolland; andererseits ist auch der Symbolismus, dem Maeterlinck zugerechnet wird (und dort wiederum das symbolistische Drama, mit dem er berühmt wurde) im deutschen Sprachraum (wenn wir vielleicht von Rilke absehen, und der war kein Dramatiker) praktisch unbekannt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und noch zu Beginn des 20. orientierte sich zwar die deutschsprachige Literaturszene sehr an der französischen, hatte aber immer etwas Rückstand. Das führte dazu, dass der Naturalismus hier erst rezipiert und angewendet wurde, als er in Frankreich bereits überholt war und der Symbolismus aufkam. Bis dieser aber im deutschen Sprachraum hätte rezipiert und angewendet werden können, erschienen die schwarzen Wolken des Ersten Weltkriegs am Horizont und die deutsche Literatur reagierte darauf mit der Entwicklung des Expressionismus.

Das Leben der Bienen erschien schon 1901, also noch bevor Maeterlinck den Nobelpreis zugesprochen erhielt. Das Buch ist inhaltlich wie sprachlich sehr ansprechend. Die Sprache ist empathisch-getragen, ohne in Kitsch zu verfallen. Allerdings kratzt sie manchmal an der Grenze dazu. Noch interessanter als die Sprache aber ist der Inhalt dieses Buchs.

Maeterlinck war selber Imker – kannte also die Praxis. Er kannte aber auch die zu seiner Zeit relevante entomologische bzw. bienenkundliche Literatur und zitierte daraus. Nicht nur dies: Er ist selber von Forschungsdrang beseelt und hat sich deshalb auch einen jener Bienenstöcke zugelegt, die auf einer Seite über eine Glaswand verfügen, so dass der Mensch auch die Tätigkeiten der Bienen im Inneren des Stockes verfolgen kann. Oder er stellt zu Forschungszwecken ein Gefäß mit Zucker auf, markiert die erste Biene, da sich bedient, mit einem Farbtupfer auf dem Hinterteil und verfolgt nun, ob und wann sie wieder kommt und ob sie weitere Bienen mitbringt. Er verfolgt auch die Aufzucht der Bienen und notiert, wie sich die Unterschiede bilden zwischen dem Entstehen einer Arbeiterbiene aus dem Ei, einer Drohne oder einer Königin. Alles, was er beschreibt, ist auch heute noch Teil des bienenkundlichen Wissens – einzig deren Tanzsprache kannte er noch nicht. (Die wurde erst 1920 entdeckt, und zwar vom deutsch-österreichischen Verhaltensforscher Karl von Frisch – den Maeterlinck wiederum kennt und seine früheren bienenkundlichen Schriften auch zitiert – und sogar erst 1944/45 vom selben Forscher entschlüsselt – was von Frisch wiederum auch einen Nobelpreis eintrug, den für Physiologie und Medizin von 1973, zusammen mit u.a. Konrad Lorenz.)

Die naturkundliche Seite dieses Textes ist aber nur eine. Maeterlinck schildert die Vorgänge in seinem Bienenstock im Laufe eines Jahres. Ob er Thoreau kannte, der ja seinen Aufenthalt am Walden Pont ebenfalls als Jahresablauf schilderte (und der, nebenbei, ein ähnlich genauer Beobachter war wie Maeterlinck – nur, dass Thoreau die ‚reguläre‘ Wissenschaft größtenteils verachtete), weiß ich nicht. Er wird nirgends erwähnt, was nicht heißt, dass der Belgier sich hier nicht am US-Amerikaner orientiert hätte. Auch spricht Maeterlinck den Bienen – zumindest seinen Honigbienen – sehr viele Gefühle und sehr viel Intelligenz zu. Nicht, dass ich abstreiten möchte, dass auch Tiere Gefühle und Intelligenz aufweisen (im Gegenteil: der Mensch ist auch nur ein Tier, und irgendwoher müssen Gefühl und Intelligenz bei ihm ja gekommen sein). Aber Maeterlinck scheint mir dann doch ein wenig zu übertreiben. Andererseits, und da ich nichts anderes von Maeterlinck kenne, muss ich mich hierin auf den Verfasser des Vorworts meiner Ausgabe, Fabrice van der Kerckhofe, verlassen, der darauf hinweist, dass sich in der Beschreibung des Bienenstaats sehr viel finden lässt von Maeterlincks Beschreibung menschlicher Gesellschaften und menschlichen Verhaltens in seinen Dramen. Sätze wie:

La beauté que nous lui prêtons dirige notre attention sur sa beauté et sa grandeur réelles, qui ne sont point faciles à découvrir, et se trouvent dans les rapports que tout objet a nécessairement avec des lois, avec des forces générales et éternelles.

S. 186f

(„Die Schönheit, die wir ihm [einem Objekt] verleihen, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf seine wirkliche Schönheit und Grösse, die nicht einfach zu entdecken sind und sich in den Beziehungen finden, die jedes Objekt notwendigerweise hat mit den Gesetzen, mit den allgemeinen und ewigen Kräften.“ – Meine Übersetzung)

Das klingt etwas schwülstig in heutigen Ohren, aber keine Angst: Weiter geht Maeterlinck dann auch nicht diesbezüglich. Aber wir sehen hier sehr gut, wie sich für ihn Schönheit nicht im Ding an sich findet sondern in den Gesetzen, nach denen es mit anderen Dingen zusammenhängt – eine Betrachtungsweise, die sich für Maeterlinck auf die Natur wie auf Objekte der Kunst beziehen lässt.

Noch ein letztes Caveat: Maeterlinck kennt Darwin (der auch ein Buch über Bienen geschrieben hat) und dessen Evolutionstheorie. Allerdings sieht er in der Evolution immer ein Ziel – die Vervollkommnung einer Art. So sind seiner Meinung nach die Honigbienen den Wildbienen (die er auch kurz streift) intellektuell überlegen, weil sie sozusagen deren Weiterentwicklung und Perfektion darstellen – zum Beispiel im Bau der bekannten fünfeckigen Honigwaben. Dass diese teleologische Sichtweise kein Naturgesetz ist, sondern aus der vom Menschen geleiteten Zuchtwahl abgeleitet wurde, sieht Maeterlinck dabei nicht. Aber diesen Denkfehler hat auch Darwin selber begangen, der sehr vieles an seiner Evolutionstheorie an Zuchttauben, -bienen und -hunden exemplifizierte.

Voraussichtlich werde ich auch von Maeterlinck kein weiteres Buch mehr lesen – ganz einfach, weil er zu weit ab von meinen Wegen liegt. Dieses hier aber kann ich durchaus empfehlen. Vor allem für 10- bis 12-Jährige ist es mit seiner begeisterten Sprache, seiner Liebe zu den Insektenvölkern, die immer wieder durchdringt, sicher eine gewinnbringende Lektüre. Es kommen keine Grausamkeiten darin vor – wenn man von der Schilderung der Begattung der jungen Königin absieht. Und diese ist so dezent beschrieben (wir sind ja im Jahr 1901!), dass sie auch von Kindern gelesen werden kann. Ich erinnere mich gut, dass ich ungefähr in diesem Alter die Filme von Konrad Lorenz und seinen Entenküken gesehen habe. Worauf ich prompt selber Verhaltensforscher werden wollte. Und Konrad Lorenz war sicher, zusammen mit meinem Chemie-Lehrer, daran schuld, dass ich nach dem Abitur ein Studium zwar nicht der Biologie, aber der Chemie begonnen habe. (Ich habe dann rasch gemerkt, dass für einen Grobmotoriker wie mich die Arbeit im Labor wenig Sinn ergibt und meinen Fehler korrigiert.) Also kann ich mir durchaus vorstellen, dass ein Buch wie dieses in einem Kind die Begeisterung für die Naturwissenschaften anfachen kann.


Meine Ausgabe:

Maurice Maeterlinck: La vie des abeilles. Préface de Fabrice van der Kerckhofe. Paris: Éditions Archipoche, 2020. N° d’édition: 602.

(Der Text ist meines Wissens auch in einer Taschenbuch-Ausgabe des Aufbau-Verlags auf Deutsch greifbar. Über die Qualität der Übersetzung kann ich allerdings nichts sagen, da ich sie nicht kenne.)

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