Nichita Danilov: Vulturii orbi – Die blinden Adler

Gelbe, orange, rote und weiße abstrakte Muster in verschiedenen Formen wechseln sich großflächig ab. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Rumänische Literatur findet sehr selten ihren Weg auf meinen Schreib- bzw. Lesetisch. Während einem die mitteleuropäische Literatur von allen Seiten zugehalten wird, müsste ich mich für die rumänische aktiv auf die Suche machen. So etwas scheitert bei mir prinzipiell an meiner Faulheit und meiner Vergesslichkeit. Dabei habe ich das Wenige, das ich an rumänischer Literatur kenne, immer als von hoher Qualität gefunden …

Das gilt auch für den vorliegenden Band mit Gedichten von Nichita Danilov. Geboren 1952 stammt er aus einer so genannten ‚lipowarischen‘ Familie, das sind ursprünglich altgläubige Russen, die sich im 17. Jahrhundert weigerten, die Reformen der russischen Kirche anzunehmen und weit nach Südwesten auswanderten, in jene Gegend, die zur Zeit des österreichisch-ungarischen Doppelreichs ‚Bukowina‘ genannt wurde. Unter Österreich-Ungarn war jene Ecke eine Art kleiner Vielvölkerstaat, wo jede Ethnie die andere in Ruhe ließ; das änderte sich mit dem Zusammenbruch Kakaniens, als die Bukowina zum neu gebildeten Königreich Rumänien geschlagen wurde. Die Rumänen, vorher selber eine Minderheit, unterdrückten mehr oder weniger aktiv alle nunmehrigen Minderheiten in ihrem Staat – darunter eben auch die Lipowaren. Und obwohl Danilov sich als Rumäne versteht, auf Rumänisch schreibt, wird ihm diese andere Ursprungs-Ethnie immer wieder vorgehalten. Dies zu verstehen, bildet einen wichtigen Ansatz zum Verständnis seiner Gedichte: Die Heimatlosigkeit in der Heimat ist unterschwellig immer Thema seiner Lyrik.

Nun gibt es fein ziselierte und zarte Lyrik. Und es gibt Danilovs Gedichte. Danilov, bin ich versucht zu sagen, dichtet mit dem Dampfhammer. Und das ist nicht negativ gemeint, im Gegenteil. Seine Dichtung ist archaisch, und wie in den Urzeiten stellt er immer wieder große Blöcke vor die Lesenden. Mehr noch: Wie in den alten Mythen finden wir bei ihm immer ein Werden und ein Vergehen. Um das abgelutschte Bonmot hervorzusuchen: Nichts ist bei ihm sicher – und nicht einmal das ist sicher. Da kann durchaus ein Nichts ein anderes verschlucken und ein drittes, um dann auf der Landstraße weiter zu gehen. Noch anders gesagt: Surrealismus vom Feinsten.

Auch seine Sprache erinnert an jene Steinquader, mit denen unsere Vorvorfahren ihre Burgen bauten – für die Ewigkeit und doch nur für einen kurzen Moment. Wenn Danilov aber einen eisernen Herrscher über ein Land regieren lässt, das nicht existiert, über Untertanen, die nicht existieren, so ist darin auch eine politische Botschaft zu finden. Immer wieder auch finden wir Schaufensterpuppen statt Menschen – denn Danilov ist nicht nur archaisch, er ist auch hochmodern und kennt durchaus das Prinzip der ‚Entfremdung‘.

Es ist schwierig, über einen Lyrikband zu schreiben, bei dem man schon das erste Gedicht empfunden hat wie wenn man einen Faustschlag in die Magengrube erhält. Danilovs Lyrik lässt einen ratlos zurück, aber nicht verzweifelt. Sie ist gläubig, aber nicht fromm. Melancholisch, aber nicht verzweifelt. Sie geht ins Große, vergisst aber das Kleine nicht.

Bem vorliegenden Buch handelt es sich um eine Klappenbroschur. Es ist zweisprachig gehalten, links das originale Rumänisch, rechts die deutsche Übersetzung, wie es sich für Lyrik eigentlich immer gehören sollte. Die Übersetzung ist, wo ich das kontrollieren konnte (Rumänisch ist als Tochter des Latein vom Italienischen, Spanischen und Portugiesischen her nicht ganz unverständlich), korrekt, ohne an Wort und Satzstellung zu kleben. Jan Koneffke, der Übersetzer schreibt selber auch Gedichte, was dem Sprachfluss dieser Gedichte zu Gute kommt – ihm gebührt Lob dafür.

Am Ende – ebenfalls zweisprachig – eine Art kleine Poetologie Danilovs. Ebenfalls Lob gebührt dem Übersetzer für das Nachwort, das sehr gut in Danilovs Herkunft, Leben und seine Lyrik einführt – um so wichtiger, als die deutschsprachige Wikipedia Danilov gar nicht kennt, die englischsprachige sehr summarisch mit ihm verfährt und es daneben nur noch einem Eintrag im rumänischen Zweig gibt.

Summa summarum ein allen Liebhaber:innen von Lyrik überaus zu empfehlendes kleines Büchlein.


Nichita Danilov: Vulturii orbi – Die blinden Adler. Aus dem Rumänischen von Jan Koneffke. Linescio: edition pudelundpinscher, 2023.

Mit bestem Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

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