Erich Kästner: Der Zauberlehrling

Dunkelblau auf hellerem Blau steht handgeschrieben in einem Zug die Unterschrift "ErichKästner". - Ausschnitt aus dem Buchcover.

1936 lud der Verkehrsverein von Davos den Schriftsteller Erich Kästner zu einem Vortrag ein und verband diese Einladung offenbar mit der Bitte, einen „heiteren Roman“ über Davos zu schreiben, „da Der Zauberberg von Thomas Mann den Ort in Verruf gebracht habe“ (so die Formulierung bei Wikipedia, die als Quelle Gans / Vogel, Erich Kästner lesen, Bartmannsweiler 2013, angibt – ich habe das nicht nachgeschlagen). Kästner fing offenbar gleich mit dem Schreiben an, aber Der Zauberlehrling blieb Fragment.

(Dass ich den Roman in dem Jahr vorstelle, in dem mit großem Tamtam der 125. Geburtstag Erich Kästners begangen wird, ist Zufall. Ich bin tatsächlich über den Zauberberg auf den Zauberlehrling gestoßen. Nebenbei: Welche Bewandtnis es mit diesem Titel hat, kann man aus dem vorhandenen Text nicht erschließen.)

Wir wissen es heute besser, als es der Verkehrsverein damals wissen konnte, aber die Schweizer waren doch recht naiv und ihr Timing war schlecht – sehr schlecht. Da war zum einen die politische Situation. In Deutschland hatten die Nazis die Macht vollständig übernommen und Hitler unternahm alles, um das Land aufzurüsten und jene Gebiete, die er als ‚deutsch‘ betrachtete, „heim ins Reich“ zu bringen. Kästner auf der anderen Seite hatte zwar beschlossen, in Deutschland zu bleiben, um als Zeuge fungieren zu können, aber seine Lage war heikel, was wohl auch auf Kästners Befindlichkeit zurück wirkte.

Jedenfalls haben wir mit Dr. Alfons Mintzlaff, einem ca. 30 Jahre alten Kunsthistoriker, jenen Protagonisten vor uns, der von allen Figuren Kästners am meisten Fabian gleicht, der Hauptfigur des unter dem diesem Namen veröffentlichten Romans über die letzten Jahre der Weimarer Republik und deren Hauptstadt Berlin. Mintzlaff hat eine Professur aufgegeben, um sich in seiner kurzen ihm verbleibenden Lebenszeit (nein, er ist nicht krank!) nur noch der Vermehrung seines Wissens zu widmen. Selbst seine Beziehung zu Hallo (eigentlich Sumatra Hoops) hat er beendet, weil er sie nicht mehr lieben kann, wie er sagt. So steht er nun in der Welt und weiß nicht so recht, was mit sich und eben dieser anfangen. (Hallo ihrerseits ist die typische halb-emanzipierte Frau, die Kästner so gern beschreibt: fröhlich, frech, liebenswert – und dann doch wieder eine männliche Überlegenheit anerkennend. So hat sie einerseits keine Probleme damit, Mintzlaff mit einem anonymen Telegramm nach Davos zu rufen, wo sie selber Urlaub macht, keine Probleme auch, ihn bei sich übernachten zu lassen – ob mehr geschieht, als dass er ihr den Kopf krault, wie sie ihn auffordert, erfahren wir nicht –, schreckt dann aber doch davor zurück, den Mann zu stellen und eine definitive Klärung ihres Verhältnisses einzufordern.)

Das könnte eine nette kleine Geschichte vor Davoser Kulisse ergeben. Will er sie nun? Oder doch nicht? Aber Kästner packt mehr hinein und überlädt nun das Fuder. Da ist der Baron Lamotte, den Mintzlaff auf der Reise nach Davos in einem Café in München trifft. Lamotte setzt sich unaufgefordert an seinen Tisch, obwohl andere Tische noch frei wären. Mintzlaff will das Café indigniert verlassen, aber dann entdeckt er, dass dieser Lamotte Gedanken lesen kann. Später, im Zug von Zürich nach Davos, wird Lamotte im selben Abteil auftauchen, in dem auch Mintzlaff reist. Lamotte zeigt, dass er mehr als nur Gedanken lesen kann, indem er die Abteiltüren verriegelt, ohne sie zu berühren, und im Vorbeifahren einen Baum auf einer Wiese explodieren lässt. Daneben konfrontiert der Fremde den Kunsthistoriker mit dessen Beziehungsunfähigkeit, bzw., wie er es nennt, seiner Unfähigkeit, sein eigenes Glück zuzulassen.

In Davos angekommen, stellen die beiden fest, dass der Vortrag, zu dem Mintzlaff eingeladen wurde, ohne Mintzlaffs Wissen vorverschoben worden ist, und dass er – bzw. ein Mann mit dem Namen Mintzlaff – bereits seit Wochen im Grandhotel wohnt. Hier folgt nun eine kleine Unsauberkeit im Text, die Kästner wohl eliminiert hätte, hätte er den Roman beendet und überarbeitet. Denn es stellt sich heraus, dass Mintzlaff, der offenbar ohne Probleme eine Professur aufgeben konnte und nunmehr privatisiert, offenbar auch auf eigene Kosten von Berlin(?) nach Davos reisen konnte – dass dieser Mintzlaff kein Geld für eine Unterkunft hat. Doch der Baron ist so nett, für ihn gerade zu stehen. Im Übrigen hat Mintzlaff unterdessen aus verschiedenen Beobachtungen schließen können, dass dieser Baron kein geringerer als Zeus höchstpersönlich ist. (Er hat es nicht, wie Wikipedia meint, im Traum erfahren. Als er vom Olymp und der aufgebrachten Hera träumt, ist er sich über die Identität des Barons bereits im Klaren.) Mintzlaff nimmt seinerseits einen falschen Namen an, trifft auf einer Wanderung auf Hallo, ohne ihr seine Liebe zu gestehen. Für den Vortrag des falschen Mintzlaff hat der Baron drei Karten besorgt – für Hallo, den echten Mintzlaff und sich selber. Im Verlauf der Veranstaltung bringt der Baron mit seinen Kräften den Fremden dazu, seine tatsächliche Identität preiszugeben.

Hier endet das Fragment – und das wohl nicht von ungefähr. Denn Kästner hat sich in verschiedener Hinsicht in eine Sackgasse manövriert. Da ist – von mir bisher nicht erwähnt – der eigentliche Grund der Reise des Barons nach Davos: Juana Fernandez, eine argentinische Schauspielerin, die ihr Leben in Traurigkeit zu enden beschlossen hat, wogegen Zeus-Lamotte nicht nur aus Prinzip etwas hat, sondern auch Mittel dagegen kennt. Diese Nebengeschichte erklärt zwar Zeus’ Anwesenheit, macht aber den Roman unnötig kompliziert. Der seltsame und wenig fröhliche Charakter des Protagonisten hilft auch nicht aus der Sackgasse. Hallo kann es per Kästner’scher Definition der Frau nicht. Was im Anschluss noch geschehen soll, nachdem der falsche Mintzlaff entlarvt ist, und der Baron zu allem Übel noch aufgestanden ist und dem Publikum erklärt hat, der echte Mintzlaff wäre auch da und könnte doch den echten Vortrag halten, wusste offenbar auch Kästner nicht.

Noch ein Wort zum Kunsthistoriker Mintzlaff. Der liest zwar auf dem Weg nach Davos in Bergsons Le rire, weigert sich aber, über Humor zu sprechen (während der Vortrag seines Alter Ego genau dieses Thema gewählt hat). Nachdem er Zeus erkannt hat, stellt er ihm zwar jede Menge Fragen – aber keine kunsttheoretischer oder ästhetischer Art. Hingegen will er wissen, ob es intelligentes Leben auch anderswo im Weltall gebe. Die Antwort, dass ja, kann ihn dann aber auch nicht wirklich beruhigen, und so bleibt auch dieser kosmologische Exkurs ein Fremdkörper. Mich hätten ja an seiner Stelle Beispiele antiker griechischer Malerei mehr interessiert. Und seine Fragen hätten diese wohl auch beantworten können.

Zu disparat und zu rasch in eine Sackgasse manövriert – dieser Roman konnte nicht beendet werden. „Heiter“ ist er auch im Fragment nicht, aber als Psychogramm des Erich Kästner und der High Society von 1936 nicht uninteressant. Alfons Mintzlaff, das ist Jakob Fabian, wenn der nicht ertrunken wäre. Beide sind, was das Leben in ihrer Zeit angeht, Nichtschwimmer.

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