Bettina Stangneth: Eichmann vor Jerusalem

Wer ein Buch über Adolf Eichmann schreibt, kommt um Hannah Arendts Buch nicht herum: Bettina Stangneth orientiert sich bereits mit dem Titel an „Eichmann in Jerusalem“ – und sie weist damit bereits auf einen ganz entscheidenden Unterschied hin. Während Arendt jenen Eichmann zu analysieren versucht, der sich da in Jerusalem als Befehlsempfänger und biederer Schreibtischtäter gerierte, geht Stangneth der Frage nach, inwieweit diese Darstellung auch den tatsächlichen Überzeugungen Eichmanns entsprach.

Die „Banalität des Bösen“ wurde zu einem geflügelten Wort: Arendt beschreibt Eichmann als einen mediokren Kanzlisten, der – ausgestattet mit bescheidenen intellektuellen Gaben – sich gläubig dem Dienst an seinem Führer gewidmet hat, dessen Hauptmerkmal seine „banale“ Durchschnittlichkeit sei und der dadurch so gar nicht der „nordischen Bestie“ entsprach, die man ansonsten mit SS-Mann zu assoziieren pflegte. Dieses Urteil wurde weitgehend übernommen, sodass man mit Eichmann noch heute den Typus des Schreibtischtäters verbindet. Aber Arendt lag falsch mit dieser ihrer Einschätzung, die überhebliche intellektuelle Attitüde, mit der sie den SS-Obersturmbannführer zum einfältigen Befehlsempfänger und dilettierenden Freizeitphilosophen erklärte, wendet sich schlussendlich gegen sie selbst: Denn Eichmann spielte eine Rolle vor dem Gericht in Jerusalem und Arendt vermochte – befangen in ihren Vorurteilen – diese nicht zu durchschauen.

Schon wer die Protokolle aufmerksam liest, wird alsbald Zweifel an einer solchen Darstellung haben: Denn dort wird bereits ansatzweise deutlich, dass der argentinische Eichmann ein gänzlich anderer war, als der er sich vor Gericht präsentierte. Bettina Stangneth gebührt das Verdienst, genau diese Zeit akribisch aufgearbeitet zu haben und dadurch ein von Arendt grundlegend unterschiedenes, aber sehr viel realistischeres Bild von Eichmann gezeichnet zu haben.*

Denn der SS-Obersturmbannführer a. D. (so unterzeichnete er Fotographien) war weder geläutert noch ein hilfloser Einfaltspinsel, sondern ein Überzeugungstäter, der aus diesen seine Überzeugungen während der Zeit des argentinischen Exils keinen Hehl machte. Dies kommt vor allem in den sogenannten „Sassen-Interviews“ zum Ausdruck, die der holländische SS-Berichterstatter Willem Sassen mit Eichmann führte. Wobei Interview der falsche Ausdruck ist: Man traf sich in trauter nationalsozialistischer Runde, um von Eichmann Näheres über die vom Weltjudentum verbreiteten Lügen über Massenhinrichtungen und Vergasungen zu erfahren. Allerdings wurde man enttäuscht: Sukzessive wurde deutlich, dass die ersten historischen Darstellungen des Massenmordes an den Juden keineswegs von denselben ins Werk gesetzt worden waren, sondern der Wahrheit entsprachen. Eichmann spürte zwar, dass man von ihm anderes erwartete (dass der Führer von all dem nichts gewusst, der SD die SS unterwandert habe und die Gräueltaten – wenn sie sich denn gar nicht leugnen ließen – von einer kleinen Gruppe (gesteuert vom Weltjudentum) – begangen worden wären). Er relativierte einiges, aber rückte von seiner grundsätzlichen Position nicht ab, die da von einem Endkampf der Rassen ausging (eine Meinung, die er bis zum Schluss verfocht) und zu dessen Sieg auch die Massentötungen unerlässlich waren. Es war Kampf, Krieg – und in einem Krieg sind alle Mittel, den Feind zu vernichten erlaubt.

Während das Ermorden von Kindern und Greisen für einige andere in der Runde „nicht deutsch“, „nicht ritterlich“ war, konnte Eichmann mit solchen Skrupeln nicht dienen. In einer Art Schlusswort (die „Interviews“ fanden 1957 statt) findet er klare Worte, die die Hoffnung der anderen, die Lüge von den sechs Millionen als solche zu entlarven, zerstörte: „Mich reut gar nichts. […] Das kann ich nicht, weil ich nicht bereit bin, weil sich mir das Innere sträubt, etwa zu sagen, wir hätten etwas falsch gemacht. Nein. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, hätten wir von den 10,3 Millionen Juden, die Korherr wie wir jetzt wissen, ausgewiesen hat, 10,3 Millionen Juden getötet, dann wäre ich befriedigt und würde sagen, gut, wir haben einen Feind vernichtet.“ Und später: „Selbstverständlich, muss ich Ihnen sagen, kommt dazu menschliche Regung. Auch ich bin nicht frei gewesen davon, auch ich unterlag derselben Schwäche. Das weiß ich! Auch ich bin schuld mit daran, dass die vielleicht von irgendeiner Stelle vorgesehene oder mir vorgeschwebte Konzeption der wirklichen, umfassenden Eliminierung nicht durchgeführt hat werden können. Ich erzählte Ihnen das in kleinen Beispielen. Ich war ein unzulänglicher Geist und wurde an eine Stelle gesetzt, wo ich in Wahrheit mehr hätte machen können und mehr hätte machen müssen.“ Und entschuldigt sich anschließend, dass er gegen verschiedene Widerstände nicht in der Lage war, diese Aufgabe restlos zu erledigen, etwas, das nun der nächsten Generation würde auferlegt werden.

Das klingt anders als der geläuterte Eichmann in Jerusalem, der dort um sein Leben kämpft – und es lässt den kleinen Verwaltungsbeamten des Todes in anderem Licht erscheinen, es entspricht jenem Eichmann vor Jerusalem, der stets von der Richtigkeit seiner Haltung überzeugt war. Er wollte – im Gegensatz zu seinen SS-Kameraden – nichts wissen von einem hintergangenen Führer, ihm war es nicht um die „Reinheit“ der Rassenlehre zu tun, die man mit ritterlichem Deutschtum irgendwie zu verbinden versuchte, sondern er dachte in den Kategorien Kampf, Krieg: Dem Krieg gegen eine andere Rasse, der mit allen nur möglichen Mitteln geführt werden müsse.

Neben diesen – oft ein wenig schwer verdaulichen, weil eigentlich kaum begreifbaren – Überzeugungen Eichmanns ist Stangneths Buch aber auch eine Dokumentation dessen, wie in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhundert in der Bundesrepublik mit dem NS-Thema umgegangen wurde (und wie viele Stellen darum bemüht waren, die Verbrecher vor weiterer Verfolgung zu schützen): So bemühte sich Paul Dickopf, späterer Präsident des BKA (und vor 1945 Mitglied der SS), durch gezielte Desinformationen die israelischen Fahnder von der Spur Eichmanns abzubringen, das deutsche Konsulat in Argentinien gab vor, den Namen Eichmann überhaupt nicht zu kennen (was nachweislich falsch war) und dem Staatsanwalt Fritz Bauer (der sich um die Verfolgung von Nationalsozialisten verdient gemacht hat) wurde seine Tätigkeit nach Möglichkeit erschwert (da er aber einsehen musste, dass von bundesdeutscher Seite ihm kaum Hilfe zuteil werden würde, hat er sich klugerweise direkt an israelische Stellen gewandt). Dieser ganze nationalsozialistische Sumpf im Umkreis des BKA, BND und der Justiz wurde nie trocken gelegt – und noch heute wird (wie Stangneth im Nachwort berichtet) den Forschern die Einsicht in die meisten Dokumente verwehrt. Rechte Gesinnungen scheinen auch über 50 Jahre nach dem Eichmann-Prozess noch schützenswert und so bleibt heute noch vieles im Zusammenhang mit den nationalsozialistischen Nachkriegsnetzwerken (und der Verhaftung Eichmanns) ungeklärt.

Das Buch verdient eine uneingeschränkte Empfehlung: Es revidiert endlich das Bild vom unbedarften, banalen „Schreibtischtäter“ Eichmann, das durch Arendts Buch zur Geschichtswirklichkeit wurde. Und es zeigt, dass unzählige hilfreiche Arme die NS-Täter bei ihrem Verschwinden (und Verschwunden-Bleiben) unterstützt haben: Die katholische Kirche (die die Flucht Eichmanns erst ermöglichte), BKA, BND, das Außenamt und auch höchste Regierungsstellen: Schon weil man Verbrecher wie Hans Globke, der einer der engsten Berater Adenauers war, unbedingt schützen wollte.


*) Auch wenn man Arendt zugute halten muss, dass ihr selbstverständlich viele Dokumente nicht zur Verfügung standen, so bleibt ihre Beurteilung voreingenommen und von Arroganz geprägt: Stangneth (die ihre Kritik an Arendt mit großer Zurückhaltung formuliert) spricht vom „Impuls, dieses Erscheinungsbild Eichmanns [gemeint sind seine philosophischen Auslassungen] ins Lächerliche zu ziehen oder als kleinbürgerliche Träume von einer schriftstellerischen Existenz zu diskreditieren“. Dass Eichmann philosophisch so ungebildet nicht war, kam ihr gar nicht in den Sinn: Diese fahrige Figur mit seinem hilflos wirkenden Bürokratendeutsch konnte auch nur ein Mindestmaß an Bildung gar nicht besitzen.


Bettina Stangneth: Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders. Hamburg, Zürich: Arche 2011.

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