Frans de Waal: Der Affe und der Sushimeister

Die Bemühungen, das Besondere des Menschseins zu definieren haben immer auch damit zu tun, ihn, den Menschen, aus dem Tierreich herauszuheben, mit einem göttlichen, später einem kulturellen Funken auszustatten. Denn wenn die Geschichte vom Ebenbild Gottes mittlerweile auch lächerlich anmutet, so ist das Bedürfnis nach dem Besonderen keineswegs verschwunden und es müssen abstrakte Dinge wie Geist, Seele, Bewusstsein oder auch die Kultur für die Unterscheidung herhalten.

Es ist eines der Verdienste von de Waal, die vom Menschen ihm selbst verliehene Ausnahmestellung zu erschüttern. Wobei damit dem Menschsein keineswegs etwas genommen wird – im Gegenteil: Er erfährt dadurch sehr viel mehr über seine Natur, über seine Herkunft, die er zwar zu verleugnen sucht, die ihn aber nichtsdestoweniger prägt und ausmacht. Im vorliegenden Buch geht es vor allem um die Dichotomie von Kultur und Natur, wobei letztere vom Menschen exklusiv in Anspruch genommen wird. Die Kultur als jenes Element, das unser Leben konstituiert, das es ermöglicht, uns über die Gebundenheit an die Natur zu erheben und uns unsere Auserwähltheit zu bestätigen. Wobei selbstredend dieser Begriff Kultur so gestaltet werden kann, dass er nur auf den Menschen zutrifft und durch die Definition von vornherein jeden Versuch, auch Tieren Kultur zuzugestehen, verunmöglicht.

Aber das ist ebenso unsinnig wie dumm. Unsere Vergangenheit bezeugt die enge Verbindung mit dem Tierreich – und es ist erst etwa 6 Millionen Jahre her, dass sich die Linien von Mensch und Schimpanse/Bonobo getrennt haben. Und wenn man einen weiteren Blickwinkel bei der Definition gelten lässt, wird es offenkundig, dass auch Tiere Kultur besitzen: „Kultur ist eine Lebensweise, die von den Mitgliedern einer bestimmten Gruppe geteilt wird, aber nicht zwangsläufig auch mit den Mitgliedern anderer Gruppen derselben Spezies. Sie umfaßt Kenntnisse, Gewohnheiten und Fertigkeiten einschließlich zugrundeliegender Tendenzen und Präferenzen, die aus der ständigen Begegnung mit anderen und dem Lernen von ihnen abgeleitet sind. Überall dort, wo systematische Unterschiede im Hinblick auf Kenntnisse, Gewohnheiten und Fertigkeiten zwischen Gruppen nicht durch genetische oder ökologischen Faktoren erklärt werden können, sind sie vermutlich kulturell bedingt. Die Frage, wie Individuen voneinander lernen, ist zweitrangig: es kommt lediglich darauf an, daß sie es tun. Somit fallen Kenntnisse, Gewohnheiten und Fertigkeiten, die von Individuen aus eigenem Antrieb erworben werden, nicht unter diesen Begriff der ‚Kultur'“. (Hervorhebungen des Autors)

Legt man diese Umschreibung von Kultur zugrunde (und ich sehe nicht, warum man das nicht tun sollte), so wird offenkundig, dass kulturelle Besonderheiten den Primaten, aber auch höheren Säugetieren und Vögeln zugeschrieben werden können. Das scheint auch nicht weiter überraschend (weil, wie erwähnt, der H. sapiens eine Tierart ist), ist aber für viele Philosophen (und Theologen) ein Unding, eine jener Kränkungen, die den Menschen sukzessive aus Mittelpunkt der Welt entfernt und zu einem von vielen Lebewesen gemacht hat. De Waal dokumentiert diesen steinigen Weg der Betrachtung des Menschen als Tierwesen, die Ignoranz einer Verhaltensforschung, die ihre Erkenntnisse am Schreibtisch gewannen (er zitiert einen entrüsteten Ethologen, der den Vorwurf, er würde keine Feldforschung betreiben (noch nicht einmal in einem Zoo) mit dem Hinweis, dass dies völlig unnötig sei, konterte), wobei nicht ins Weltbild passende Beobachtungen schlicht als Perversionen der Natur abgetan werden (ein deutscher Professor reagierte auf die Vorherrschaft der Bonobofrauen mit dem Satz „Was stimmt nur nicht mit diesen Männchen??“).

Ähnlich pflegen die Reaktionen auf empathische, altruistische Neigungen bei Tieren zu sein: Man betrachtet sie als unnatürlich, weil sie nicht in das längst überholte Weltbild eines Darwinismus zu passen scheinen, der nur die Macht des Stärkeren anerkennt (was vor allem von Huxley propagiert wurde). Wobei auch der Mensch unter demselben Blickwinkel betrachtet wird: Man meint immer, Uneigennützigkeit erklären zu müssen, da sie eigentlich „unnatürlich“ sei bzw. auch jeden gesellschaftlichen Konsens, alle Kultur der Natur gegenüberstellen zu müssen. Aber es ist überhaupt nicht einzusehen, warum Mord natürlich, Hilfsbereitschaft unnatürlich sein sollte und warum die Evolution nicht sehr wohl altruistische, kulturelle Merkmale hervorzubringen imstande sei, sondern einzig einen brutalen Überlebenskampf. Allein die Tatsache, dass es Altruismus (bei Tieren und Menschen), eine Kultur des geregelten Zusammenlebens, der gegenseitigen Toleranz gibt, ist aufgrund unserer Herkunft ein Beleg dafür, dass auch solche, vorgeblich kulturelle und dem Menschen vorbehaltene Verhaltensweisen, natürlich sind. Sie sind Produkte der Evolution.

Ein weiterer Grund für die Desavouierung einer Verhaltensforschung, die den Menschen in einen großen Zusammenhang mit den Tieren stellt, ist mit Konrad Lorenz verbunden. Noch in den 80er Jahren anerkannt, verkommt er nun zu einem amüsanten Geschichtenerzähler: „Möglich, daß er nicht als bahnbrechender Biologe, schon gar nicht als Kulturkritiker, wohl aber als Autor ergreifender Tiergeschichten überleben wird. Vielleicht hat man Konrad Lorenz den falschen Nobelpreis verliehen.“ Das die „gönnerhaften“ Worte von Konrad Paul Liessmann (einem österreichischen Vertreter der Kritischen Theorie), die in ihrer Borniertheit die ganze selbstgefällige Arroganz des Philosophen ausdrücken. (Lorenz‘ Ausführungen zum Kantschen Apriori sind intelligenter als alles, was Liessman je in seinem Leben geschrieben und gesagt hat.) Wobei die Kritik an Lorenz seine Nähe zum Nationalsozialismus mit seinen Arbeiten vermengt: Denn nach seinem Tod ist allerhand Ungustiöses über sein Verhalten in dieser Zeit zutage gekommen. Mir geht es in der Bewertung von Konrad Lorenz ähnlich wie de Waal: Wie kann es sein, dass ein Mensch mit so offensichtlichen Qualitäten und mit einem so tiefreichenden Verständnis für die Tiere dadurch, dass er in der Zivilisation eine Korruption der Natur sah, seine Liebe zu den Tieren nicht auch auf die Menschen übertrug? Wie konnte er auch nur in Ansätzen mit den Nazis gemeinsame Sache machen, auch wenn es stimmen sollte, dass er sich in jener Zeit einzig auf die Verhaltensforschung zu konzentrieren vorgab? (und zum einen ist dies keine Entschuldigung, denn die Brutalität des Regimes muss er erkannt haben, zum anderen lassen briefliche Äußerungen darauf schließen, dass er etwa dem Euthanasieprogramm in Teilen durchaus etwas abgewinnen konnte). De Waal hat Lorenz noch persönlich gekannt und meinte, dass er „seine gemischten Gefühle gegenüber Lorenz wohl nie abschütteln könne, weil eine völlige Trennung des Wissenschaftlers vom Menschen nicht möglich wäre“. Mir fällt das leichter: Aber es schmerzt trotzdem, einen so klugen Vordenker in diesem Licht sehen zu müssen. Aber seine Arbeit bleibt dennoch wegweisend, mögen sich kleine Möchtegernphilosophen durch eine Kritik an ihm noch so sehr profiilieren wollen.

Vieles (und vor allem Positives) gäbe es über dieses Buch noch zu berichten: Es ist ein außerordentlich kluges und reichhaltiges Buch, das de Waal als einen brillianten und unvoreingenommen Denker zeigt. Er unterscheidet sich von vielen anderen durch seine bemühte Objektivität, durch seine Fähigkeit, sich gegenteiligen Positionen durch großes Einfühlungsvermögen zu nähern. So kritisiert er zwar mit Recht den rigiden Behaviorismus eines Skinner, weist aber auch auf die Wichtigkeit dieser Bewegung hin, indem sie endlich der Beobachtung wieder jenen Wert zugestanden hat, der ihr zukommt. (Obschon die Beobachtung nicht in sterilen Skinnerboxen durchgeführt werden sollte.) Vor allem aber ist dieses Buch dem Philosophen nahezulegen, jenem Philosophen, der wie der oben beschriebene Verhaltensforscher seine Erkenntnisse am Schreibtisch gewinnt und dadurch sehr viel mehr vom Mythenerzähler an sich hat denn von einem Denker, der sich über Welt und Menschen den Kopf zerbricht.


Frans de Waal: Der Affe und der Sushimeister. Das kulturelle Leben der Tiere. München, Wien: Hanser 2002.

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