Er habe, so Peter Burke am Schluss, in diesem Buch die Herangehensweise eines Jacob Burckhardt mit der Sichtweise eines Karl Marx verbinden wollen. Herausgekommen ist eine Studie zu den sozio-ökonomischen Hintergründen dessen, was wir heute „Italienische Renaissance“ nennen. Anders als Thomas Leinkauf, der sich ’nur‘ der Philosophie jener Epoche widmete, beschäftigt sich Burke mit allen damals existierenden Künsten – ausser mit der Philosophie. Auch die Literatur spielt nur eine marginale Rolle; im Mittelpunkt stehen die bildenden Künste (Malerei, Bildhauerei, Architektur) und die Musik.
Burkes Vorgehensweise stellt sehr rasch klar, warum die Renaissance im eigentlichen Sinn eine vorwiegend italienische Angelegenheit war. Italien, das es zwar nicht als Nation, aber als geografischen Begriff gab, war aufgeteilt in unzählige rivalisierende Stadtstaaten – aber genau von dieser Aufteilung, genau von dieser Rivalität profitierte es. Selbst die Auseinandersetzungen der (meist zwei) Faktionen in einem Stadtstaat um die Regierung eben dieser Stadt brachte zumindest kunst- und kulturhistorisch gesehen die Renaissance zum Blühen. Die vielen, blutigen (Bürger-)Kriege interessieren Burke nur ganz am Rande. Die Stadtstaaten waren durch Handel reich geworden. In diesen Hochburgen des frühen Kapitalismus hatten die Regierenden nicht nur das Geld, sich Kunstwerke herstellen zu lassen; es war auch ein Frage der Repräsentation, sich ein Bild malen zu lassen oder für seine eigene Kirche seinen eigenen Chor mit seinem eigenen Komponisten zu halten. Vor allem die Maler arbeiteten nicht nur für eine dünne, reiche Elite: Sogar Handwerker bestellten schon mal ihr Portrait bei einem Maler, der seine Werkstatt in der Stadt eröffnet hatte – vielleicht nicht gerade bei einem der berühmtesten und teuersten, aber immerhin.
Selbst die Entwicklung von so etwas wie einer Kunst- oder Literaturkritik hat seine Wurzeln in der spezifischen Herangehensweise der Renaissance-Mäzene an die Kunst. Da sie ja nicht immer die Zeit hatten, selber in jene Stadt zu reisen, in welcher der oder die Künstler sich gerade aufhielten, von denen sie ein Werk wünschten, waren sie gezwungen, Agenten dorthin zu schicken, die ihnen u.a. auch den Unterschied zwischen den Stilen der einzelnen Meister schildern mussten – zu einer Zeit, als es noch keine Fotoapparate gab, gar nicht so einfach. (À propos „der“ Mäzen: Es gab auch weibliche Mäzene, so wie es auch ein paar Künstlerinnen gab. Aber die Erforschung der Rolle der Frau im Phänomen ‚Renaissance‘ steckt, so Burke, noch in den Anfängen. Die bekannteste Mäzenin ist vielleicht jene Elisabetta Gonzaga aus Mantua, die durch Heirat nach Urbino kam und dort jenen Hofstaat an Künstlern und Intellektuellen aufbaute, den Baldassare Castiglione in seinem Hofmann schilderte.)
An der Spitze dieser kapitalistischen Stadtstaaten-Pyramide standen sicher Venedig und Florenz. Burke hat die Lebensläufe von rund 600 Renaissance-Künstlern untersucht: Vor dort kamen die meisten der sich im Umlauf befindlichen Künstler. Offenbar hatte der Reichtum auch eine grössere soziale Durchlässigkeit zur Folge. Albrecht Dürer soll von seinem Aufenthalt in Venedig erstaunt nach Hause geschrieben haben, wie die Künstler in Italien auf einen ganz anderen sozialen Status hätten als in Nürnberg. Burke macht auch klar, warum die Renaissance nur in Italien hatte stattfinden können: Die italienischen Städte bezogen ihr Geld aus dem Mittelmeerhandel, Venedig allen voran. So finden wir an der Spitze der Renaissance vor allem die italienischen Städte mit einer volatilen Oberschicht, die sich aus dem Handel rekrutierte. In Städten wie in Neapel, das damals dem spanisch-habsburgischen Weltreich angegliedert war und deshalb eine rigide, bereits in Richtung Absolutismus zielende Ordnung kannte, ‚entstanden‘ kaum Künstler. Rom hatte ebenfalls eine Sonderrolle inne. Zwar kamen auch aus Rom relativ wenige Künstler, aber als Hauptstadt des Kirchenstaats war Rom ebenfalls reich. Dieser Reichtum und die Tatsache der internationalen Verbindungen, die die katholische Kirche bot, zogen viele Künstler nach Rom. So finden wir in Rom einige der ganz grossen Werke der Renaissance.
Die spezielle Situation der italienischen Stadtstaaten – eine relativ hohe Bevölkerungsdichte und der aus dem Handel mit dem (Fernen) Osten stammende Reichtum – begründen für Burke den Umstand, dass die Renaissance praktisch eine rein italienische Angelegenheit blieb. Einzig in Holland, in Flandern, war eine ähnliche geografisch-soziologische Situation zu finden: hohe Bevölkerungsdichte, rivalisierende Stadtstaaten mit genügend Geld. Flandern lieferte aber kaum bildende Künstler, sondern vor allem Musiker. Dafür stammten einige der damals berühmtesten Musiker aus Flandern – wo sie allerdings nicht unbedingt blieben. Auch sie zog es an die italienischen Futtertröge z.B. der Medici oder der Päpste. (Die ja ihrerseits oft aus den andern italienischen Stadtstaaten stammten, womit sich von selbst Verbindungen zu weiteren potenziellen Auftraggebern ergaben.) Im deutschen Sprachraum war es einzig Nürnberg, das – ebenfalls auf Reichtum von aus dem Handel gezogenem Geld und einer ähnlichen Regierungsform wie die italienischen Städte basierend – eine eigentliche Renaissance durchmachte. Als Kontrast schildert Burke übrigens zum Schluss des Buchs neben Flandern ganz kurz die völlig anders gelagerte Situation im Japan der Genroku-Ära (1688-1703). Leider ist diese Darstellung für jemanden wie mich, der sich in der japanischen (Kultur-)Geschichte nicht auskennt, allzu kurz geraten, und ich weiss nicht so recht, was damit beginnen.
Der Welthandel – um darauf zurück zu kommen – ist denn auch für Burke die wichtigste Erklärung dessen, dass die Renaissance im Italien des 16. Jahrhunderts wieder verwelkte. Die Entdeckung Amerikas eröffnete neue Handelsrouten (und weckte neue, andere Bedürfnisse, denken wir an Tabak, Tomaten und Kartoffeln – Bedürfnisse, die der Osten, mit dem die italienischen Städte handelten, nicht befriedigen konnte), und selbst der Handel mit dem Osten war nicht mehr ein Alleinstellungsmerkmal von Venedig und seinen mediterranen Rivalen, seit Portugal begonnen hatte, Waren aus Indien um den afrikanischen Kontinent herum zu verschiffen und sich diese so zu verschaffen.
Was bleibt, ist eine kulturelles wie soziopolitisches Phänomen, das uns bis heute beschäftigt (und – nebenbei – bis heute Abermillionen von Touristen nach Italien zieht). Peter Burkes Buch ist für eine Beschäftigung damit sehr geeignet, auch wenn ich die Finessen seiner speziellen historischen Herangehensweise als Nicht-Historiker nicht einschätzen kann. Für einen Laien ist das Buch aber sicher empfehlenswert – sofern man dazu kommt, empfehle ich die Edition der Folio Society, die dieses Jahr erschienen ist und viele der besprochenen Bilder oder Gebäude in Reproduktionen oder Fotografien hinzufügt. Diese Ausgabe beruht auf der dritten, erweiterten Ausgabe von 2014 der Princeton University Press.
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