Thomas Leinkauf: Grundriss Philosophie des Humanismus und der Renaissance (1350 – 1600). Band 2

Band 2 schliesst unmittelbar an Band 1 an. Kein Vorwort, keine Einleitung, sogar die Paginierung wird weitergeführt. (Hingegen finden wir zum Schluss einen Epilog.) Die Aufteilung des Grundrisses scheint also mehr praktische, der Handhabung dienende, als innerliche, inhaltliche Gründe gehabt zu haben. (Leider gilt dieser unmittelbare Anschluss auch für das nach wie vor häufige Auftreten von Tippfehlern.)

Band 2 bringt als erstes zwei Kapitel zu wichtigen Denkern jener Epoche: Nikolaus von Kues und Marsilio Ficino. Der Cusaner fällt zwar ein bisschen aus dem Rahmen. Zum Teil an der Mystik (Meister Eckhart!) sich orientierend, ist er so etwas wie der erste Dialektiker im Hegel’schen Verständnis des Wortes. Schon der Titel eines seiner Hauptwerke, De docta ignorantia, zeigt, wie für Nikolaus von Kues ein Erfassen der Welt nur durch ein Erfassen von Gegensätzen möglicht war. Gegensätze heben sich bei ihm auch schon, wie später bei Hegel, in etwas Neuem, Übergeordnetem auf. Viele Humanisten werden auf den Cusaner zurückgreifen, auch wenn er im eigentlichen Sinne eher Scholastiker war als Humanist.

Marsilio Ficino hingegen war eine der prägenden Figuren des Humanismus. Er hat nicht nur die Platon-Rezeption der Humanisten ‚angekurbelt‘ mit der Herausgabe neuer, philologisch gepflegter Ausgaben von bis anhin unbeachteten Texten Platons; er hat auch in seinen eigenen theoretischen Schriften vorgemacht, was bis heute als ‚typisch humanistisch‘ gilt: ein Rückgriff auf Platon statt auf Aristoteles, ein Rückgriff auf die neuplatonische hellenistische Tradition (Plotin, Proklos, aber auch Jamblich) bis hin zu Augustinus statt auf den Aristotelismes der Scholastik, sei der nun thomistischer oder averoistischer Tradition. Dabei ein ganz klares Verbleiben im Christentum, was Leinkauf dazu führt, von einem eigentlichen christlichen Platonismus der Humanisten zu reden.

Nach den zwei ‚Personalkapiteln‘ folgen noch zwei Sachkapitel, eines über Schönheit und Liebe, eines über Naturphilosophie und Naturtheorie, Seelenlehre und Methodenreflexion. Ersteres hat wenig mit Ästhetik zu tun, wie wir den Begriff heute verstehen, sondern hier werden im weitesten Sinne die epistemologischen Theorien der Renaissance präsentiert. Ja, die Schönheit, das Er- und Begreifen derselben und das Streben danach, hat letztlich eine ethische Dimension. Und, indem das höchste Schöne auch das höchste Gute ist (Platon!), und das höchste Gute Gott ist (Augustinus!), eine theologische. Die Liebe ist Ausdruck des Strebens nach dem Schönen. Jeder Mensch kennt diese Liebe und übt sie aus, vor allem aber der schöpferisch tätige Mensch. Schöpferische Tätigkeit und Schönheit gehen übers Dichten hinaus (auch wenn natürlich vor allem wieder Petrarca mit seine Liebesgedichten rezipiert wird) in alle künstlerischen Fähigkeiten und Tätigkeiten. Hier hat wieder Ficino vorgespurt, der selber ein ausgezeichneter Musiker war. Und letzten Endes findet sich dieses Streben nach Schönheit und Liebe auch am Hof eines Fürsten wieder: Der perfekte Hofmann im Sinne Castigliones strebt ebenfalls nach diesem Ideal. So übernehmen der Fürst einerseits, der Künstler andererseits, zunehmend Funktionen von Gott – ohne dass dieser allerdings abgesetzt würde.

Das letzte Kapitel ist also der Naturwissenschaft im weitesten Sinne gewidmet. Hier zeigt sich, was Leinkauf auch in seinem Epilog heraushebt: Es greift zu kurz, wenn man das Denken der Renaissance mit einer Wiederentdeckung, einer Wiedererweckung Platons identifiziert. Denn im Gebiet der humanistischen Naturwissenschaft spielt Platon nur eine kleine Rolle. Hier bleibt es bei einem Sich-Abarbeiten an den Werken des Aristoteles, dessen Form von Naturkunde über Jahrhunderte hinweg als kanonisch und nicht überschreitbar galt. Standen aber bis anhin die ‚physikalischen‘ Schriften Aristoteles‘ im Zentrum der Rezeption, so verlagerte sich das Interesse nun auf seine ‚biologischen‘. Ein Nebenprodukt des zunehmenden naturwissenschaftlichen Interesses und der zunehmenden naturwissenschaftlichen Kenntnisse war es, dass das Nachvollziehen-Können natürlicher Phänomene quasi-magische Konnotationen erhielt. Der Chemiker als Alchimist könnte mit seiner Scheidekunst unter Umständen auch Anderes aus dem Vorgegebenen schaffen (auch wenn Paracelsus jedwedes Interesse am Schaffen von Gold verneint). Der Beobachter der Gestirne könnte unter Umständen aus deren Lauf Prognosen stellen für einen zu beginnenden Krieg.

Im Laufe der Zeit veränderte sich die qualititive Herangehensweise an natürliche Phänomene in eine quantitative. Die Mathematik (v.a. zuerst die Geometrie) wurden dem Naturwissenschafter immer wichtiger. Nun erst fand tatsächlich ein weiterer Rückgriff statt – diesmal auf Demokrit und vor allem auf Lukrez. Atomistische Welterklärungsmodelle entstanden. Zwar stand immer noch Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt am Ende aller Stufen, aber zusehends übernahm die Natur Eigenschaften von ihm. Das Weltall wurde ewig und unbegrenzt. (Interessanterweise haben wir in Leone Ebreo einen jüdischen Arzt und Philosophen, der dieses Modell ebenfalls übernimmt. Während aber die christlichen Denker in der Dreifaltigkeit ein Vorbild dafür hatten, dass mehr als eine Person ewig und unbegrenzt sein konnte, hatte der Monotheist Leone da grössere Schwierigkeit, wenn er nicht – wie später der von ihm beeinflusste Spinoza – in einem Pantheismus landen wollte. Und das wollte und tat zu jener Zeit kein Denker, weder Christ noch Jude.) Vor allem Giordano Bruno vertrat die Lehre einer ewigen und unbegrenzten Welt offen – was ihm denn auch das Leben kosten sollte. Andere (Kopernikus, Brahe, Galilei) argumentierten vorsichtiger.

Es ist also eine, wie Leinkauf im Epilog festhalten wird, bunte Mischung an philosophischen Denkweisen, die wir üblicherweise unter den Begriffen ‚Humanismus‘ oder ‚Renaissance‘ zusammenfassen. Allen ist gemeinsam, dass sie auf die vier grossen Irritationen, die Leinkauf zu Beginn seines Grundrisses skizziert hat, eine Antwort gesucht haben – das Gewicht mal auf die eine, mal auf die andere Irritation legend; die Antwort mal hier, mal dort suchend / findend.

Summa summarum, und wie schon bei der Besprechung des ersten Bands festgehalten: Leinkaufs Grundriss ist eine überaus kluge, umfang- und informationsreiche Darstellung dessen, was wir heute als ‚frühe Neuzeit‘ bezeichnen, und was (wie aus Leinkaufs Darstellung hervorgeht) gerade so gut ’spätes Mittelalter‘ heissen könnte. Eine Zeit des Umbruchs, in der die Gedanken zu brodeln beginnen.

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