Louis Soutter existierte wirklich, nicht nur sehr wahrscheinlich. (Im französischen Original heißt es nur „wahrscheinlich“ (probablement); ich vermute, dass die Übersetzerin, Yla M. von Dach, das Wörtchen „sehr“ eingefügt hat, um den Rhythmus des Französischen beizubehalten – was mich in Bezug auf die sehr melodiöse Sprache dieses biografischen Romans beruhigt: Sie stammt offenbar vom Autor…
Aperçus
Annemarie Schwarzenbach: Orientreisen. Reportagen aus der Fremde
»Unser Leben gleicht der Reise …«, und so scheint mir die Reise weniger ein Abenteuer und Ausflug in ungewöhnliche Bereiche zu sein, als vielmehr ein konzentrierte Abbild unserer Existenz: ansässig in einer Stadt, Bürger eines Landes, einem Stand oder Gesellschaftskreis verpflichtet, einer Familie und Sippe zugehörig, und verwachsen mit den Pflichten eines Berufs, den Gewohnheiten…
Olga Tokarczuk: Taghaus Nachthaus
Die Autorin war mir vor der Verleihung des Nobelpreises gänzlich unbekannt (aber das will nichts besagen). Und eigentlich wollte ich – wie Sandhofer – mit den Jakobsbüchern beginnen, habe aber dann aufgrund der Umfänglichkeit derselben davon abgesehen. So also „Taghaus Nachthaus“, ein Titel, der mir bis zum Schluss einigermaßen rätselhaft blieb, der vielleicht eine Anspielung…
Stanisław Lem: Sterntagebücher
Lem für Neu-Einsteiger… Tatsächlich würde ich, wenn mich jemand fragte, mit welchem Buch er oder sie in das riesige Universum der Lem’schen Schriften einsteigen solle, ohne zu zögern die Sterntagebücher des Ijon Tichy empfehlen. (Es hat mich nur bisher noch niemand gefragt.) Ich halte Lem nicht nur für den witzigsten Autor von Science Fiction, sondern…
Aldous Huxley: Schöne neue Welt
Huxleys Roman ist – neben Orwells 1984 – die wohl berühmteste Dystopie der Literaturgeschichte. Kein Überwachungsstaat wie bei Orwell, sondern ein Konsumparadies lächelnder, kopulierender, weitgehend wunschloser Menschen, die für jede Unannehmlichkeit eine chemische Lösung namens „Soma“ besitzen, kleinen Superantidepressiva ohne morgendlichem Kater oder Entzugserscheinungen. Die Menschen werden schon vor ihrer Geburt genormt, die Embryos in…
Francis Bacon: Neu-Atlantis
Als letzte Staatsutopie figuriert in meinem Rowohlt-Sammelband Neu-Atlantis des englischen Juristen und Staatsmanns Francis Bacon. „Jurist und Staatsmann“: Das klingt, als würde hier einer schreiben, der die Materie, ebenso wie Morus, aus dem ff kennt. Dennoch halte ich die Klassifizierung von Neu-Atlantis als Staatsutopie für zweifelhaft. Sie kann zumindest nicht ohne Interpretationen und Interpolationen des…
Harald Welzer: Alles könnte anders sein
Alles könnte anders sein, soll heißen: Besser. Welzer ist es darum zu tun, den zahlreichen dystopischen Entwürfen eine positiv konnotierte Sicht der Zukunft entgegen zu setzen. Er macht das mit mehr-weniger Geschick, manchmal blauäugig, dann wieder kreativ und anregend; insgesamt fehlt es dem Buch jedoch an einer klaren Struktur, nachvollziehbaren und in sich konsistenten Ideen….
Ramon Llull: Das Buch vom Heiden und den drei Weisen [Llibre del gentil e dels tres savis / Liber de gentili et tribus sapientibus]
Ramon Llull (auch Ramon Lull), latinisiert Raimundus Lullus (auch Raymundus Lullus), ist der wohl originellste Denker des christlichen Mittelalters. (Ich zögere, ihn der Scholastik zuzurechnen, denn er hat nie die theologische Ausbildung an einer Universität erhalten, die die Scholastiker auszeichnet, ja überhaupt eine Ausbildung zum Priester.) Schon seine Herkunft und sein Werdegang sind speziell. Aus…
Denis Diderot: Die Nonne [La Religieuse]
Von allen vier Romanen Diderots ist dieser hier vielleicht der schwächste (wenn wir einmal vom Nachgestellten Vorwort absehen – das wird uns noch vor Probleme stellen). Während Rameaus Neffe nur schon wegen seiner bizarren Titelfigur einen bleibenden Platz in der Weltliteratur verdient hat und Jacques der Fatalist und sein Herr wegen des Aufbaus des Romans…
Madeleine Böhme, Rüdiger Braun, Florian Breier: Wie wir Menschen wurden
Auf dieses Buch war ich ausnehmend gespannt, erwartete ich mir doch eine detaillierte Vorstellung des Danuvius guggenmosi, eines offenbar sich auf zwei Beinen fortbewegenden Frühaffen, der einiges an der Entstehungsgeschichte des Menschen verändern könnte. Ein wirklich großes Leseerlebnis wurde es allerdings nicht, vielmehr eine ein wenig parteiisch anmutende Darstellung gegen das Konzept „Out of Africa“….