Heinrich Böll: Doktor Murkes gesammeltes Schweigen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs standen die Kunstschaffenden in Deutschland im Grunde genommen vor einer grünen Wiese. Man könnte auch sagen: vor einem Trümmerfeld. Weshalb denn in der Literatur als erste neue Richtung das entstand, was man später ‚Trümmerliteratur‘ nennen sollte: Geschichten vom Leben kurz nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs, Geschichten vor allem…

Fritz Leiber: Der unheilige Gral

Fritz Leiber – man findet ihn auch als ‚Fritz Leiber jr.‘, weil sein gleichnamiger Vater ein zu seiner Zeit bekannter Shakespeare-Darsteller war – Fritz Leiber also ist meiner Meinung nach im deutschen Sprachraum viel zu wenig bekannt. Er war mehrfacher Gewinner sowohl des Hugo wie des Nebula wie des Locus Award und war in Science…

Paola Morpheus: Just Mary

Graphic Novels (oder, im vorliegenden Fall, im Grunde genommen Graphic Short Stories, wenn nicht gar Graphic Aperçus) werden hier relativ selten besprochen. Als mir aber die Pressereferentin des Verlags Edition Faust in einem Mail dieses Buch als Rezensionsexemplar anbot mit den Worten so hat man Maria von Nazaret noch nicht gesehen: Auf der Jagd nach…

Prosper Mérimée: Carmen

Carmen – viele werden bei diesem Namen wohl eher an die romantische Oper von Georges Bizet denken als an deren literarisches Vorbild, die Kurzgeschichte gleichen Namens von Prosper Mérimée. Wer sie aber dann liest, wird erstaunt zwei Dinge feststellen: Zunächst ist diese Kurzgeschichte wirklich kurz. In meiner Ausgabe (Taschenbuchgröße, keine übertrieben kleine Type, anständiges Seiten-Layout)…

Siegfried Lenz: Florian, der Karpfen

Florian, der Karpfen wurde, wenn ich das richtig verstanden habe, in den 1950ern im Radio als Hörspiel (?) gesendet. Der Text ist dann verschollen, auch Lenz scheint sich nicht mehr an ihn erinnert zu haben. Erst jetzt, wie sein Nachlass nach und nach durchgesehen wird, ist er wieder aufgetaucht. Allerdings nicht als Hörspiel sondern in…

Christine de Pizan: Das Buch von der Stadt der Frauen [Le Livre de la Cité des Dames]

Christines Vater, Tommaso da Pizzano, muss ein für damalige Verhältnisse sehr liberaler Mann gewesen sein. Er förderte die Neugier seiner einzigen Tochter und ihren Wissenstrieb, ließ sie seine Bibliothek benutzen und unterrichtete sie wohl auch zusammen mit ihren Brüdern. Ihre Mutter war da bedeutend konservativer, wie sich aus einer Bemerkung schließen lässt, die im Buch…

E. T. A. Hoffmann: Das steinerne Herz

Für einmal stellen wir keine Novelle aus den Serapionsbrüdern vor. Diese Erzählung hier stammt aus den bereits früher entstandenen Nachtstücken, und es handelt sich um deren letzte. Die Geschichte ist für die paar Seiten, die sie umfasst, recht verwickelt. Sie beginnt damit, dass uns ein anonymer Erzähler auffordert, er (Hoffmann spricht im Stil seiner Zeit…

Alfred de Vigny: Stello

Mit vollem Titel heißt das Werk Les Consultations du Docteur-Noir. Première consultation : Stello ou les Diables bleus (Blue Devils) [„Die Konsultationen des Docteur-Noir. Erste Konsultation: Stello oder die blauen Teufel (Blue Devils)“ – meine Übersetzung]. Dieser Langtitel ist zugleich schon fast die Zusammenfassung der Rahmenerzählung von und mit Stello. In seinem Aufbau besteht Stello…

Seneca: Apocolocyntosis

Darüber, ob die ‚Verkürbisung des Claudius‘ wirklich von Seneca stammt, ist sich die Philologie nicht einig. Während offenbar die meisten Vertreter:inen dieser Zunft eine Zuschreibung an Seneca vornehmen, gibt es ein paar, die dies abstreiten. Seneca selber erwähnt diese Satire nirgends in seinen übrigen Schriften, was zu der Spekulation führte, dass er sich später ihrer…

Jean de La Bruyère: Les Caractères de Théophraste, traduits du grec, avec les caractères ou les mœurs de ce siècle [Die Charaktere von Th., aus dem Griechischen übertragen, mit den Charakteren oder Sitten unseres Jahrhunderts]

Ursprünglich war geplant, die Charaktere des Theophrast zuerst und unabhängig von den Caractères des La Bruyère zu besprechen. Dies wäre aber ganz klar gegen die Intention des Franzosen gegangen, die sich schon am Titel dieses Buchs ablesen lässt. 17 Jahre soll La Bruyère an den Caractères gearbeitet haben, bevor er sie zusammen mit seiner Übersetzung…