Für dieses Buch erhielt Carolin Emcke 2016 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels – eine um Längen bessere Entscheidung dieses Buchhandels, als es jene von 2014 war, als er diesen Preis dem US-Amerikaner Jaron Lanier zusprach für sein Machwerk Wem gehört die Zukunft?. Emckes Buch ist bedeutend konziser und wird seinem Thema auch besser gerecht.
Emcke untersucht in ihrem Essay die Quellen des Hasses zwischen Menschen bzw. Menschengruppen.
Im ersten Kapitel, Sichtbar – Unsichtbar, geht es um das Phänomen, dass gewisse Menschen(gruppen) in gewissen Kontexten für andere offenbar nicht vorhanden sind: Der Weiße, der in der U-Bahn den schwarzen Jungen umrennt, ohne sich umzudrehen, geschweige denn zu entschuldigen, ist hier ihr Beispiel. Es ist ein Ausblenden, bzw. Umformen der Wirklichkeit, die Emcke unter anderem mit dem Beispiel der Sorge illustriert, die im zweiten Teil von Goethes Faust den Titelhelden anhaucht, so, dass dieser nur noch sehen kann, was ihm eben Sorge bereitet. Oder es eben nicht sehen kann. Dann ist da der institutionalisierte Rassismus, wie die Autorin es nennt: Der Umstand, dass gewisse (weiße) Bevölkerungsgruppen so lange darauf trainiert werden, Andersfarbige als Gefahr und Bedrohung zu sehen, bis sie die Andersfarbigen nicht mehr als Menschen wahrnehmen. Der Fall eines Schwarzen, der unter den Händen der Polizei stirbt, ohne dass sie dies groß wahrzunehmen scheint, ist hier ihr Beispiel.
Das zweite Kapitel trägt den Titel Homogen – Natürlich – Rein und rechnet mit den Konzepten ab, die die Vermischung von „Völkern“ oder Religionen ex cathedra ablehnen. Dabei wird der Andere nach völlig willkürlichen Kriterien ausgegrenzt. Emcke bringt hier das Beispiel des Schibbolet aus dem Buch der Richter wo Ephraemiter, die über den Jordan zu den Gileaditern flüchten wollen, danach gefragt werden, das Wort Schibbolet auszusprechen. Wer Sibbolet sagte, war als Ephraemiter entlarvt. Dieses Kennzeichen und Merkmal des reinen Gileaditers ist nach Emcke völlig willkürlich ausgesucht worden, da wir ansonsten aus dem Text keinerlei andere Unterschiede zwischen Gileaditern und Ephraemitern erfahren. Dasselbe gilt nach Emcke auch für die Ausgrenzungsbegriffe homogen, ursprünglich / natürlich und rein, da es objektiv betrachtet keine wirklich homogene, ursprüngliche oder reine Menschen- oder Religionsgruppen gibt.
Zum Abschluss folgt ein Lob des Unreinen, ein Kapitel, in dem Emcke dafür plädiert, Unterschiede zu sehen und zu akzeptieren – als Chance zu bewerten und nicht als Gefahr. Dazu bedarf es eines Denkens, das auch immer wieder im Stande ist, sich selber und die Resultate seiner Tätigkeit neu zu evaluieren.
In ihrem Buch greift Carolin Emcke, mehr noch als Caroline Fourest (die aus dezidiert linker Sicht argumentiert) und sehr viel mehr als Helmut Ortner (der tagesaktuell schreibt) auf literarische und philosophische Argumente und Autor:innen zurück. Es handelt sich bei Gegen den Hass auch um das älteste der drei Werke zum Thema des Rassismus in Sprache und Handlungen, die ich hier in loser Folge vorgestellt habe. Jedes der drei Werke behandelt wichtige Aspekte des Rassismus, jedes der drei Werke ruft auch im Namen der guten alten Aufklärung dazu auf, sich dieser Entwicklung zum Rassismus (oder eben bei Emcke: zum Hass) entgegen zu stemmen.
Was mir an Emckes Buch einzig nicht gefallen will, ist der Umstand, dass sie die Religionen viel zu sanft anfasst, wenn es um deren Schuld am Klima des Rassismus und des Hasses geht, das seit Jahrhunderten die ansonsten so zivilisierten Völker und Nationen überrollt. Es mag sein, dass, wie sie sagt, die meisten heute lehrenden muslimischen Religionskatechen und -philosophen die Anwendung von Gewalt gegenüber Nicht-Muslimen aus den muslimischen religiösen Texten weg disputieren. Nichts desto trotz finden sich in diesen Texten Stellen, die zu eben dieser Gewalt, zu eben diesem Hass aufrufen – genau so, wie sie sich in christlichen oder jüdischen Texten finden lassen. Auch wenn die entsprechenden christlichen oder jüdischen Ausleger dies ebenfalls verschweigen oder verhüllen, schamhaft uminterpretieren. Diese Beisshemmung den Religionen gegenüber schwächt Emckes Argumentation letztlich doch ein wenig – macht es aber, denke ich, erst massenkompatibel. Ein auch noch religionskritisch ausgerichtetes Werk hätte wohl keinen deutschen Friedenspreis gewonnen.
Trotzdem, und trotz seines Alters, (gewisse Argumente sind nur schon in den fünf Jahren seit Veröffentlichung von der Zeit überholt worden), ein durchaus lesenswerter Text.
Carolin Emcke: Gegen den Hass. Frankfurt/M: Fischer, 2016. [Gelesen in der Lizenzausgabe der Büchergilde Gutenberg von 2017]