Robert Louis Stevenson: The Isle of Voices and Other Stories [Die Insel der Stimmen]

Auf schwarzem Hintergrund eine silberne Mondsichel links oben, in der Mitte darunter Teil eines menschlichen Kopfes. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Nach dem Romancier und dem Reiseschriftsteller Stevenson darf in diesem Blog natürlich auch der Verfasser von Kurzgeschichten nicht fehlen. Was nun ‚noch‘ eine Kurzgeschichte und was ‚schon‘ ein Roman ist, darüber kann man natürlich streiten. Der Strand von Falesá wurde, auch von Stevenson selber, der den Text einer seiner diesbezüglichen Sammlungen beifügte, hier als Kurzgeschichte behandelt; das nur wenig längere Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde als Roman.Die US-amerikanischen Verlage kennen gar noch verschiedene Zwischenstufen und definieren die Unterschiede ganz einfach über die Anzahl verwendeter Zeichen.

Jedenfalls aber liegt nun vor mir dieses Buch – eine Sammlung verschiedener Kurzgeschichten Stevensons, die die Folio Society im Jahr 2007 herausgebracht hat. Der Inhalt ist Folgender:

• Aus: <em>New Arabian Nights</em> [in etwa: Neue Geschichten aus Tausendundeiner Nacht]:
    ◦ Providence and the Guitar [Die Vorsehung und die Gitarre]
    ◦ The Pavillion on the Links [Der Pavillon auf den Dünen]
• Aus: The Merry Men and other Tales and Fables [Die tollen Männer und andere Erzählungen]
    ◦ Will o’ the Mill [Will aus der Mühle]
    ◦ Thrawn Janet [Die krumme Janet]
    ◦ Olalla
• Aus: Island Nights’ Entertainments [Unterhaltungen in Inselnächten]
    ◦ The Bottle Imp [Der Flaschenteufel]
    ◦ The Isle of Voices [Die Insel der Stimmen]
• Uncollected Stories [nicht aus Sammlungen]
    ◦ An Old Song [Ein altes Lied]
    ◦ The Misadeventures of John Nicholson [Die unglücklichen Abenteuer John Nicholsons]

Nicht alle Geschichten weisen den gleichen literarischen Wert auf.

Providence and the Guitar ist ein harmloser Text über ein wanderndes Schauspieler-Ehepaar in der französischen Provinz, das durch einige kleinere Missgeschicke mitten in der Nacht in der Behausung eines jungen Ehepaars landet, bei dem der Mann ebenfalls Künstler ist, nämlich ein Maler. Es gelingt den Reisenden, die gerade streitenden jungen Leute zu versöhnen und sie ziehen fröhlich weiter.

In The Pavillion on the Links erzählt ein unterdessen alt gewordener Mann, wie er seine Frau gefunden hat und im Kampf mit italienischen Carbonari einerseits, seinem besten Freund andererseits, seinen Anspruch geltend machen musste. Nicht unspannend, aber auch nicht umwerfend.

Will o’ the Mill erzählt in allegorischer Form das Leben eines Mannes, der, wie er noch jung war, in die Welt gehen und diese erobern wollte, dann aber darauf verzichtete und ein genügsames und einigermaßen fröhliches Leben als Schankwirt in der Provinz verbrachte. Einzig, dass er seine große Liebe auf Grund einer winzigen Differenz nicht geheiratet hat, ist ein Wermutstropfen in seinem zufriedenen Leben. Hier streift Stevenson, offen gesagt, den Predigerton ein bisschen zu sehr.

Thrawn Janet erzählt die Geschichte, wie der Dorfpfarrer einer alten Frau, seiner Haushälterin, den Teufel austreibt, sie aber damit umbringt. Die Geschichte ist eine Rahmenerzählung, bei der aber der abschließende Rahmen fehlt. Die Binnenerzählung wird von einem alten Schotten im Pub erzählt. Stevenson hat sie im schottischen Englisch gehalten – etwas, mit dem ich schon bei Robert Burns’ Gedichten gekämpft habe. Dort wie hier habe ich den Kampf verloren.

The Merry Men wird eine Wellenformation an der Küste im schottischen Hochland von den Einheimischen genannt. Besser als Wikipedia kann ich diese Geschichte auch nicht skizzieren: Wie Stevensons etwa zeitgleich entstandener Abenteuerroman Treasure Island [Die Schatzinsel] handelt sie von einer Schatzsuche auf einer entlegenen Insel, doch verliert der frömmelnde Ich-Erzähler Charles Darnaway dieses Ziel zunehmend aus den Augen, da er sich zunächst mit seinem Onkel Gordon auseinandersetzen muss, der offenbar den Verstand verloren und sich womöglich eines Mordes schuldig gemacht hat. Die wenigen Literaturkritiker, die sich eingehender mit The Merry Men befasst haben, befinden fast einhellig, dass die Geschichte als solche recht missraten sei, einzelne Episoden und besonders die Naturschilderungen für sich genommen jedoch atmosphärisch dicht und stilistisch brillant ausgefallen seien.

Olalla ist der Name einer spanischen Adelstochter, die der Ich-Erzähler, ein aus der spanischen Armee ausgemusterter Schotte, kennen lernt, als er zeitweilig in der Burg der Familie wohnt, um sich von den Kriegshandlungen zu erholen. Das Ganze weist Muster einer Gothic Novel auf (eine Burg fernab der Welt, eine geheimnisvolle Familie) und selbst eine an Vampirismus erinnernde Szene wird geschildert, als sich der Erzähler beim Schließen eines Fensters an der Hand verletzt und seine blutende Wunde der alten Gräfin zeigt, worauf diese das Blut auszusaugen beginnt. Alles wird dann aber rational erklärt damit, dass die Familie durch Jahrhunderte von Inzucht degeneriert ist – mit Ausnahme der Tochter, die aber gerade deshalb den Fremden nicht heiraten will, weil sie die Krankheiten ihrer Familie nicht weitergeben will. Nichts, das man gelesen haben muss.

The Bottle Imp spielt unter anderem auf Hawaii. Die Erzählung gehört zu Stevensons letzten und reifsten Werken. Es geht hier um einen Flaschenteufel, der allen, die die Flasche rechtmäßig erworben haben, ihre Wünsche erfüllt (die sich offenbar immer auf äußerlichen Reichtum beschränken). Der Haken an der Geschichte ist, dass wer im Besitz der Flasche stirbt, unweigerlich vom Teufel in die Hölle verfrachtet wird. Der zweite Haken ist, dass man die Flasche zwar weiterverkaufen darf, aber immer nur zu einem niedrigeren Preis, als den, den man selber bezahlt hat. Da man bar bezahlen muss, führt das dazu, dass irgendwann eine Person am Ende dieser Kette steht, die nicht mehr weiterverkaufen kann, weil es keine Münze mehr gibt, die noch weniger wert ist, was was diese Person bezahlt hat. Der Held der Geschichte, kommt beinahe in den zweifelhaften Genuss dieser Ehre, wenn da nicht ein alter und stockbesoffener Matrose wäre, der die Flasche für zwei Cent gekauft hat und nun dem Erzähler nicht mehr weiterverkaufen will, weil er – so seine Worte – sowieso in der Hölle enden wird. Eine, um Henry James zu zitieren, letzte und unerwartete Drehung an der Schraube, die aus einer simplen Horror-Geschichte mehr macht. (Nebenbei ist in der grundlegenden Idee ein nicht uninteressantes Paradox versteckt: Eigentlich würde ja kein Mensch, der halbwegs im Besitz aller seiner Sinne ist, als letzter diese Flasche kaufen. A fortiori kann es auch keinen zweitletzten geben, denn er weiß ja nicht, ob er die Flasche noch los wird. Und so weiter bis hinauf zum ersten Besitzer überhaupt. Dennoch ist die Flasche im Umlauf …)

The Isle of Voices beruht auf Sagen und Erzählungen, die Stevenson auf diversen Inseln der Südsee gehört hat und erzählt vom Kampf zwischen verschiedenen eingeborenen Zauberern. Eine gute Erzählung, wie ich finde – auch wenn natürlich ganz klar vieles von ihrem Charme auf ihrem für uns exotischen Setting beruht.

An Old Song ist die Geschichte eines Bruderzwists um eine Frau. Eine, wie der Titel schon sagt, alte Geschichte – und keine von Stevensons besten dazu.

The Misadeventures of John Nicholson ist zunächst etwas ähnliches wie An Old Song, nur ist es hier eine Auseinandersetzung zwischen einem Vater mit äußerst rigiden Vorstellungen davon, was Richtig und Falsch ist, und seinem Sohn, der aus Missgeschick einen Fehler begeht. Das Ganze eskaliert, bis der Sohn nach San Francisco auswandert. Jahre später kommt er zurück, und es scheint, als ob die Serie von Missgeschicken, die ihn das erste Mal schon vertrieben hat, ihn hier wieder verfolgt. Erst eine sehr unwahrscheinliche und dadurch an Komik fast nicht zu übertreffende Kombination weiterer Umstände versöhnen Sohn und Vater und bringen dem jungen Mann auch noch gleichzeitig eine tüchtige und ihn nüchtern einschätzende Gattin ein. Man hätte wohl mehr daraus machen können, aber wir haben hier auch weniger Gutes gelesen.

Wie es halt so ist: Einige der Kurzgeschichten Stevensons lohnen eine Lektüre durchaus – andere weniger. Aber selbst ein nicht ganz so guter Stevenson kann einen bei der Stange halten, denn seine Geschichten sind durchs Band sehr spannend.

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