Richard Dawkins: The Selfish Gene [Das egoistische Gen]

Stilisierte Bienen krabbeln auf einer Wabe herum. Das Ganze ist in Gelb- und Schwarztönen gehalten. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Richard Dawkins veröffentlichte die 1. Auflage dieses Buchs im Jahr 1976 und hatte damit sofortigen Erfolg. Der führte zu verschiedenen Reprints und Buchclub-Auflagen sowie schließlich 1989 zu einer um zwei Kapitel erweiterten zweiten Auflage. Es ist diese Erweiterung, die – wie scheichsbeutel in seiner Besprechung festhält – den Umfang des Werks damals fast verdoppelte. 2006 erschien eine dritte Auflage zur Feier des 30. Jahrestages des Erscheinens dieses seminalen Werks. In der deutschen Übersetzung dieser Auflage wurde das Buch von scheichsbeutel hier besprochen. Diese dritte Auflage änderte wenig im Vergleich zur zweiten, nur die originale Einleitung von Robert L. Trivers wurde wieder eingefügt. 2016, zur Feier des 40. Jahrestages, erschien eine vierte Auflage (die scheichsbeutel in seinem Beitrag von 2015 noch nicht kennen konnte). Diese unterscheidet sich von ihrer Vorgängerin durch nochmals erweiterte Endnoten und ein Nachwort (Epilogue) des Autors. Tatsächlich wurden die Endnoten unterdessen derart erweitert, dass sie fast ein Viertel des Buchs ausmachen. Es wäre, meiner bescheidenen Meinung nach, besser gewesen, diese Endnoten in den Haupttext einzuarbeiten – zu viel wird hier ergänzt und diskutiert. So hat Dawkins zum Beispiel seine ganze Auseinandersetzung mit Stephen Jay Gould über den eigentlichen Motor der Evolution (Gen oder Gruppe von Individuen?) in diese Anmerkungen ausgelagert.

Ich will hier scheichsbeutels Aperçu weder korrigieren noch wiederholen, sondern verweise ganz einfach darauf, weil ich durchaus einverstanden bin mit dem, was dort steht. Ich will aber ein paar eigene Gedanken hinzufügen, die teils die 4. Auflage betreffen, teils die Entwicklung in den nun bald wieder 10 Jahren, die seit dem Erscheinen der 4. Auflage stattgefunden hat.

Tit for tat

Oder auf Deutsch: Wie du mir, so ich dir. Das ist einer der zentralen Punkte in Dawkins’ Buch. Damit will der Autor erklären, warum teilweise-altruistisches Verhalten (nicht nur des Menschen) für jede Gemeinschaft besser funktioniert als rein-egoistisches Verhalten. Wenn nämlich die Punkte für Belohnungen bzw. Bestrafungen auf eine bestimmte Weise kalibriert werden, hat Dawkins in Computer-Simulationen festgestellt, sind es nicht die rein egoistischen Individuen, die am besten wegkommen (einzelne Individuen: ja; aber eine rein egoistische Gemeinschaft wird zu Grunde gehen und mit ihr das ‚egoistische Gen‘), nicht rein altruistische Individuen (die haben ‚in the long run‘ noch weniger Chancen, ihre Gene weiter zu geben, solange sich andere, egoistischere Gene im Pool befinden), sondern jene Lebewesen, die nach dem Motto ‚Wie du mir, so ich dir‘ funktionieren, die also, wenn ihnen die Nachbarschaft geholfen hat, wiederum der Nachbarschaft helfen werden, wenn man ihnen die Hilfe verweigert hat, sich dies aber merken und den Verweigerern ihrerseits dann Hilfe verweigern. Dawkins hat das spieltheoretisch untermauert, aber weshalb ich eigentlich darauf komme, ist wegen des Umstands, dass mir vor ein paar Tagen ein philosophisches Buch in meine Social Media-Timeline gespült wurde, von einem gewissen Fabian Bernhardt, der über die Rache philosophiert. Das Buch ist bestellt und wird hier bei Gelegenheit vorgestellt. Es ist schon 2021 erschienen, aber erst dieses Jahr, recht plötzlich, als etwas Unerhörtes aufgefasst und im Feuilleton vorgestellt worden, dass Rache als eine ethische Form des menschlichen Handelns beschrieben wird; mich nimmt natürlich vor allem Wunder, wie weit Bernhardt sich mit Dawkins auseinandergesetzt hat.

Der Epilog zur 40. Jahrestages-Edition

Dieser Epilog bringt vor allem einen weiteren Versuch Dawkins’, den Begriff des ‚Gens‘ und dessen Wichtigkeit für die Evolution noch besser zu fassen. Nebenbei diskutiert er die Frage: How closely related are you to Queen Elizabeth II?, wie nahe also wir mit der (damals noch lebenden) Königin Elizabeth II. verwandt sind. Von daher geht die Diskussion über in einen des Stammbaums und der Verbreitung des Homo Sapiens Sapiens im Allgemeinen. Sehr interessant, aber natürlich auch schon wieder 10 Jahre veraltet …

Last but not least: Wie sich das Internet einen Begriff von Dawkins geschnappt und für eigene Zwecke angeeignet hat

Ich spreche von dem, was offenbar in der deutschen Übersetzung Mem-Theorie heißt, und zu dem scheichsbeutel Folgendes geschrieben hat:

Im letzten Kapitel der ersten Auflage entwickelt er auch erstmals seine Mem-Theorie, das kulturelle Gegenstück zur biologisch-chemischen Einheit des Gens. Diese Theorie hat nicht ganz jenen Erfolg gefunden, den Dawkins sich wahrscheinlich erhofft hatte (obschon er von der Soziobiologie nach einigem Widerstand akzeptiert wurde).

Nicht nur Bücher, auch Wörter und Begriffe haben ein Schicksal. Als Dawkins nach einem Wort für den von ihm postulierten Motor der kulturellen Evolution suchte, wurde er mit einem Begriff fündig, der ganz ähnlich wie das Wort ‚Gen‘ lautete (was natürlich Absicht war). Die deutsche Übersetzung hat dafür offenbar Mem gesetzt, analog zum ‚Gen‘. Was Dawkins in der ersten Auflage von 1989 nicht vorhersehen konnte (und sei es nur, weil das Internet damals im Vergleich zu heute praktisch inexistent war), was scheichsbeutel in seiner Besprechung von 2015 nicht vorhersehen konnte, was Dawkins auch 2016 in der vierten Auflage noch nicht vorhersehen konnte: Sein Begriff, den er im Englischen an das englische Wort für ‚Gen‘ anpasste, nämlich ‚gene‘ (ausgesprochen ungefähr wie ‚dschihn‘), der also ‚meme‘ lautet (ausgesprochen ungefähr wie ‚mihm‘), hat sich in den 2020ern genau zu dem entwickelt, was es inhaltlich bezeichnen sollte. Ein ‚meme‘ im Internet ist heute eine mehr oder weniger fixe Kombination von Text und Bild – meist in satirischer Absicht verwendet, die im Internet nun sozusagen ein Eigenleben führt. Somit ist das ‚meme‘ also selber zum Mem geworden …

Summa summarum

Auch wenn das Buch nun bald 50 Jahre alt wird, lohnt sich eine Auseinandersetzung mit dessen Inhalt auch heute noch. Denn, so sehr die ganze Evolutionsbiologie im Fluss ist, so sehr tauchen gewisse Ingredienzien immer wieder auf. (Auch den Ahnherrn der Evolutionstheorie, Darwin, kann und sollte man heute immer noch lesen. Was durchaus auch Dawkins’ Meinung ist.)

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