Friedrich Schlegel: »Athenaeum«-Fragmente und andere frühromantische Schriften

Links und rechts zwei Streifen im typischen Reclam-Gelb. In der Mitte, schwarz auf weiß, auf zwei Zeilen, Autor und Titel des Buchs: Friedrich Schlegel // »Athenaeum~-Fragmente. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

[206] Ein Fragment muß gleich einem kleinen Kunstwerke von der umgebenden Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet sein wie ein Igel.

[216] Die Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre, und Goethes Meister sind die größten Tendenzen des Zeitalters. Wer an dieser Zusammenstellung Anstoß nimmt, wem keine Revolution wichtig scheinen kann, die nicht laut und materiell ist, der hat sich noch nicht auf den hohen weiten Standpunkt der Geschichte der Menschheit erhoben. Selbst in unsern dürftigen Kulturgeschichten, die meistens einer mit fortlaufendem Kommentar begleiteten Variantensammlung, wozu der klassische Text verloren ging, gleichen, spielt manches kleine Buch, von dem die lärmende Menge zu seiner Zeit nicht viel Notiz nahm, eine größere Rolle, als alles, was diese trieb.

Neben dem zur selben Zeit entstandenen Skandal-Roman Lucinde sind die im vorliegenden Reclam-Bändchen*) versammelten literatur- und kunsttheoretischen Schriften (der Herausgeber spricht in seinem Nachwort Zu dieser Ausgabe von literatur- und kunstkritischen Schriften) wohl das, was wir als Friedrich Schlegels Vermächtnis an die deutsche Literatur und deren Geschichte betrachten können. Man würde die von ihm und seinen Freunden ins Leben gerufene literarische Epoche später die frühromantische nennen – es handelt sich um jene Schriften, die verfasst wurden in der Zeit, als Friedrich Schlegel, sein Bruder und deren Frauen mehr oder weniger symbiontisch in Jena lebten.

Genau gesagt beschäftigt sich Schlegel mit mehr als nur mit Literatur oder Kunst. Viele seiner Fragmente und Bemerkungen können in einem weitestenSinn ‚Philosophie‘ genannt werden, denn, wie es der Herausgeber formuliert: Kunsttheorie und Kunst werden von Schlegel […] in eine direkte Nähe zum Wissen gerückt, das seinerseits der Kunst angenähert wird: »Alle Kunst soll Wissenschaft, und alle Wissenschaft soll Kunst werden.« [Das Schlegel-Zitat stammt aus dem »Athenaeum«-Fragment 115.]

Daneben ist die Verwendung der Textart ‚Fragment‘ konstituierend für Schlegels Denken. Er war zu der Zeit der große Aphoristiker der jungen Wilden, die sich gegen die überkommene Literatur und Kunst eines Lessing oder Schiller stellten. Seine Fragmente sind, wo sie gut sind, zugespitzte Aphorismen. Der Aphorismus wiederum erlaubte Schlegel, Gegensätze zu vereinigen, die dadurch ‚unerhört‘ wurden.

Die »Athenaeum«-Fragmente, en passant vermerkt, stammen nicht alle von Friedrich Schlegel. Neben seinem Bruder August Wilhelm wirkten auch Friedrich Schleiermacher mit und Novalis. (Die Frauen, die im Gespräch über Poesie ebenfalls eine Rolle inne haben, scheinen hingegen nicht berücksichtigt worden zu sein. Es fällt ja auch in jenem Gespräch auf, dass die scheinbare Gleichberechtigung der Geschlechter dort endet, wo die Gesprächsteilnehmer ihre poetologischen Ergüsse vortragen – da sind es dann nur noch die Männer, die zum Handkuss kommen.) Die Technik des Symphilosophierens wiederum, des gemeinsamen Entwickelns von Gedanken, führte oft zu einer Kondensation des Geschriebenen, die an die hermetische Literatur erinnert und die auch zur Entwicklung der Hermeneutik (vor allem durch Schleiermacher) als Instrument des Verstehens führte. Man muss für viele Fragmente der Frühromantiker im Grunde genommen schon verstanden haben, was es zu verstehen geben könnte.

Neben eher theoretischen Schriften finden wir in dieser Ausgabe auch Schlegels Abhandlung Ueber Goethe’s Meister von 1798. Friedrich Schlegel versuchte darin, den soeben erschienen Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre zum Paradigma des Romans an sich, zum eigentlich romantischen Roman zu erklären. Hierbei kam ihm entgegen, dass Goethe selber im Grunde genommen kein Romancier war. Seine Gestalten handeln oft unmotiviert oder ohne Zusammenhang – was zu den von Schlegel selber produzierten Fragmenten bestens passte, waren doch auch die oft ohne Zusammenhang oder widersprachen sich auch schon mal. Allerdings liefert Schlegel von Goethes Roman nicht viel mehr als eine räsonierende Zusammenfassung, was nun weder für den Roman noch für Schlegel als Literaturkritiker spricht. (Hierin war sein älterer Bruder August Wilhelm das genaue Gegenteil: Dessen Fragmente sind elend lang und kompliziert, auch geht ihnen meist jede Pointe ab. Aber als Literaturkritiker war er im Stande, jederzeit und auf den Punkt Stärken und Schwächen eines Buchs zu bezeichnen.)

Zum Verständnis der Frühromantiker finden wir in dieser Auswahl die wichtigsten, unverzichtbaren Texte (s.u.). Ich kann sie also nur empfehlen. Dass sie von den Lesenden etwas Arbeit verlangen, gehört dazu.


*) Friedrich Schlegel: »Athenaeum«-Fragmente und andere frühromantische Schriften. Edition, Kommentar und Nachwort von Johannes Endres. Ditzingen: Reclam, 2018. (= RUB 19525)

Das Büchlein enthält folgende Texte in der chronologischen Reihenfolge ihres Entstehens:

  • Vom ästhetischen Werthe der griechischen Komödie [das ist zugleich eine der frühesten Auseinandersetzungen mit dem Problem der Komik, der komischen Literatur]
  • Über Lessing
  • Kritische Fragmente (Lyceum-Fragmente)
  • Fragmente (Athenaeum-Fragmente) [enthält auch die Fragmente der anderen Symphilosophierenden, in kleinerer Schrift]
  • Über Goethe’s Meister
  • Gespräch über die Poesie
  • Über die Unverständlichkeit

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