Frankfurt und Leipzig beherbergen die größten Buchmessen im deutschen Sprachraum. Daneben existieren immer mehr und überall kleinere Veranstaltungen, und vielleicht geht der Trend wirklich in Richtung Dezentralisierung. Für mich jedenfalls sind die Zeiten vorbei, da ich die Buchmessen in Frankfurt oder Leipzig besuchte. Es stimmt für mich ganz einfach das Verhältnis von Aufwand zu Ertrag nicht (mehr). Und dabei denke ich nicht nur an die streng ökonomische Seite, wobei auch die für mich nicht mehr aufgeht. Natürlich konnte ich als Blogger eine Journalisten-Akkreditierung erlangen und damit umsonst und an allen Tagen das Messegelände betreten. Aber für den übrigen Teil kriegte ich ja keine Sponsoren: die Fahrt durch halb Deutschland, die Übernachtung in Hotels, die zur Messezeit ihre Preise schamlos steigern – das frisst alles Geld (und halt auch Zeit). Aber auch emotional stimmten Aufwand und Ertrag für mich nicht mehr. Bei meinem letzten Besuch in Leipzig traf ich keine einzige Person mehr von all jenen, die noch ein paar Jahre früher ebenfalls auf dem Messegelände herumlungerten, und die ich von anderen Blogs oder Foren her kannte. Und überfüllt ist die ganze Sache dann auch jedes Jahr noch rascher. Dazu kommt der unvermeidlich immer größer werdende Aufwand der Sicherheitskontrollen beim Eintritt, der einem jedes Mal das Gefühl gibt, ein potentieller Attentäter zu sein. (Ich fliege auch nicht mehr gern, seit an den Flughäfen diese Art von Kontrollen Usus geworden sind.)
So war ich der Meinung, dass ich mit dem Thema ‚Buchmesse‘ abgeschlossen hätte. Dann wurde ich – ich weiß nicht mehr von wem und wo – auf die 1. Bodensee Buchmesse hingewiesen. Hm … gleich um die Ecke … nur ein Tag … da kann ich am Morgen hin- und am Abend wieder zurückfahren. Mal schauen … ja, Influencer*innen können sich auch separat anmelden. Man profitiere dann von Sonderöffnungszeiten und weiteren Vorteilen; ob Gratiseintritt dazu gehört, wird aber nicht gesagt. Um in den Genuss dieser weiteren Vorteile zu kommen, ist ein kleines Formular auf der Webseite aufgeschaltet. Schon der Begriff Influencer*innen verrät es den Wissenden sicherlich: Man sollte ein diesem Formular nicht nur Namen, Adresse und Telefonnummer mitteilen, sondern auch Genre (ich nehme an der Lektüre) und, wo man denn nun Influencer*in ist: ob Instagram, TikTok oder Facebook – URL und Anzahl Follower*innen inklusive. Nun bin ich zwar auf Facebook, habe aber meinen Account auf ‚privat‘ gestellt, weil mir ungefragt-blöde Kommentare dort zu viel wurden. Blogs sind offenbar schon kein Mittel mehr, um Einfluss irgendwelcher Art zu haben. So schnell geht das …
Veranstaltet wird diese Buchmesse in Kooperation mit der Buchmesse Stuttgart (die selber erst vor ein paar Monaten ihre erste Austragung erlebt hat und nun auch einen Stand in Kreuzlingen eröffnet hat) von einem Verein namens Kultur worX (KWX), der im Kanton Thurgau operiert und vor allem in Sachen Gegenwarts-Musik tätig ist. Mit der Messe hier wollen sie so genannte Indie-Verlage und -Autoren erreichen bzw. dem Publikum vorstellen.
Ich habe schließlich ein ganz normales Ticket gelöst, das kostete ja nicht viel, und auf das Kombi-Ticket mit dem Abendprogramm auf der so genannten Jazzmeile Kreuzlingen verzichtet. Ungefähr zehn Tage vor dem Start der Messe habe ich noch die Liste erhalten der Lesungen / Lesenden. Keine mir bekannten Namen. Einige haben zwar einen Eintrag bei Wikipedia, schreiben aber in Genres, die ich selten oder nie lese.
Dann ging es los.
Die Fahrt verlief so weit ohne erwähnenswerte Ereignisse. Die Ankunft vor Ort ebenso. Ein erster Rundgang durch die Messe war in ungefähr 15 Minuten erledigt. Der eigentliche Messeraum war in etwa von der Größe einer hiesigen Turnhalle; darin waren handelsübliche Klapptische aufgestellt, in die sich je zwei Ausstellende jeweils teilten. Anwesend waren ein paar kleinere professionelle Verlage, ein paar noch kleinere semiprofessionelle Verlage und einige Autor:innen, die offenbar im Selbstverlag publizieren. Für eine Art exotische Note sorgte der Verlag der Anthroposophischen Gesellschaft, der eine beachtliche Sammlung von Rudolf Steiners Schriften aufgelegt hatte. Hätte ich eine kaufen und dann hier verreißen sollen? Ich hatte keine Lust.
À propos ‚keine Lust‘: Auf einigen Plätzen lag zwar ein Namensschild, aber da schien niemand eingetroffen zu sein. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Am besten vertreten war ansonsten Fantasy, und da wiederum hatten sich fast alle Ausstellerinnen der sogenannten ‚Romantasy‘ verschrieben – einer Mischung aus Fantasy und (schnulzigem) Liebesroman, die in den USA der Altersgruppe ‚Young Adult‘ zugeordnet wird, was im Grunde genommen wohl junge Leute (meist ja Frauen) bezeichnet, die zumindest physiologisch der Pubertät gerade so entronnen sind, auch wenn sie psychisch noch mit derren Spätfolgen kämpfen. Viele dieser Bücher waren mit jener Sorte Farbschnitt versehen, die gerade modern ist, indem auf dem Buchschnitt Bildmotive der Umschlaggestaltung wiederholt werden. Ich war dann auch an einer Lesung eines solchen Buchs. Über den Plot kann ich an Hand der wenigen gelesenen Ausschnitte wenig sagen; stilistisch fand ich die in der Trivialliteratur oft vorkommende Überdeterminierung vor der Substantive durch allzu kräftige Adjektive. (Ich habe mir das Buch gekauft und werde bei Gelegenheit darauf zurückkommen; vielleicht hat mich mein Eindruck beim Vorlesen getäuscht.)
Es fanden auch zwei so genannte Workshops statt, die ich mir natürlich nicht entgehen ließ. Der eine, von einer (selbst ernannten?) Social Media-Expertin war für mich ein bisschen verwirrend, in dem die junge Frau zuerst alle aufforderte, wenn sie im Internet einen Trend bemerkten, sofort auf den aufzusteigen und ihn allenfalls zu Tode zu reiten (sprich: auszureizen bis zum bitteren Ende), andererseits war es ihr immer wieder wichtig, darauf hinzuweisen, dass man als Content Creator ‚authentisch‘ sein solle. Ich habe dann nicht nachgefragt, wie die beiden (wie ich finde: konträren) Ansätze vereint werden könnten. Eine Social Media- und Web-Expertin, die ungeheuer textlastige Power Point-Folien zeigt, die auf schwarzem Hintergrund eine winzig kleine weiße Schrift aufweisen, und jede Folie dann noch nach fünf Sekunden wegklickt … („Ihr dürft ruhig fotografieren, was da steht!“ – Klick: die Folie ist weg. So schnell hätte nicht einmal Lucky Luke das Handy zücken können …) Beim zweiten Workshop ging es um queere Literatur. Die beiden Referentinnen waren überaus sympathisch, aber viel mehr, als dass es unterdessen offenbar Dutzende Spielarten sexueller Orientierung gibt, konnte ich da auch nicht mitnehmen. Das mag aber auch daran gelegen haben, dass sich die beiden, die auch Verlegerinnen sind, vor allem an Autor:innen wandten mit ihrem Vortrag.
Den Abschluss (für mich) machte eine Podiumsdiskussion zum Thema Die Zukunft des Buchmarkts, wo – wie fast immer bei solchen Diskussionen (leider) – vor allem über die Gegenwart des Buchmarkts geredet wurde. Wirklich zündende Visionen sind offenbar in dieser Branche rar – wohl auch recht sinnlos in Anbetracht der Tatsache, dass gerade eine nicht ganz kleine Kette von Buchhandlungen hierzulande (und auch in Deutschland, dort sogar zuerst) Konkurs anmelden musste. Selbst gegenüber der nachgerade omnipotenten Präsenz der ChatBots können die Branchenvertreter nur darauf verweisen, dass da die Politik handeln müsse.
Die Branche torkelt; aber andere Lösungen als implizit den Ratschlägen der oben genannten jungen Social Media-Expertin zu folgen, scheinen nicht zu existieren. Und nein: Ich habe auch keine.
Nachdenklich ging ich nach Hause und habe nun dies geschrieben. Immer noch nachdenklich. Sind die jungen Influencerinnen, die zur Zeit wie wild auf Instagram und TikTok knallbunte Romantasy in die Kamera halten, wirklich die Rettung der darbenden Branche? Oder sind sie doch eher die bunte Seifenblase, für die ich sie halte?
Für meinen Teil habe ich getan, was ich konnte, um den Buchhandel zu unterstützen. Zwei Bücher habe ich gekauft: Einmal die oben erwähnte romantische Fantasy und andererseits eine von Fachleuten geschriebene Auseinandersetzung mit der Problematik der Raubkunst in europäischen Museen und Privatsammlungen. Beide sollen bei Gelegenheit hier vorgestellt werden.