Selbst das zeitgenössische Publikum konnte mit Klopstocks Gelehrtenrepublik wenig bis nichts anfangen. Es war vielleicht ja auch ein Fehler, dass Klopstock das Werk auf Subskription herausgab und diese Subskription auch selbst leitete. Der Erfolg der Subskription als solcher war riesig. Aber das erreichte Publikum war wohl dann doch zu durchmischt. Die meisten Subskribenten erwarteten wohl etwas Lyrisches, vielleicht ein kleines Epos, schlimmstenfalls ein Drama. Aber das hier?
Große Teile des Publikums waren heillos überfordert. Die deutsche Gelehrtenrepublik war – mit wenigen Ausnahmen – in einem trockenen und doch barocken Gelehrtenstil verfasst, den zu lesen man schon 1774, dem Jahr des Erscheinens dieses Werk, als langweilig empfand. Außerdem gab es kaum Handlung in diesem Werk und was es gab, war wiederum – langweilig.
Dennoch gab es auch positive, ja begeisterte Stimmen. So war Goethe hell begeistert und fühlte sich endlich von jemand völlig verstanden in seine poetischen Intentionen. Herder reagierte ebenfalls positiv, wenn auch zurückhaltender als Goethe. Begeistert wiederum war Hamann – was nicht zu wundern braucht angesichts des Umstands, dass gerade Hamann ebenfalls einem, wenn auch anders gelagerten, hermetischen Stil frönte. Generell lässt sich sagen, dass die Stürmer und Dränger sowie die Mitglieder des Göttinger Hainbundes der Gelehrtenrepublik positiv gegenüber standen.
Das lag natürlich vor allem daran, dass Klopstock in seiner hier vorgelegten Poetologie ultimativ zum Dichten in deutscher Sprache aufforderte und das Genie propagierte – will sagen: originale Werke, keinerlei Aus- oder Abschreiben, keinerlei Kommentieren anderer Werke. Literaturkritiken: nein, danke. Wörterbücher: nein, danke. (Allerdings gilt das im Rahmen der Gelehrtenrepublik nicht nur für die Dichtkunst. Jede Wissenschaft soll in der Landessprache schreiben und Originales bringen.)
Die ältere Generation aber war wohl schon formal überfordert. Tatsächlich wirkt die Struktur des Werks eher wie ein Vorgriff auf die Romantik oder gar auf postmoderne Literatur. Wir erklären uns:
Zunächst einmal besteht die Gelehrtenrepublik aus zwei Teilen.
Im ersten werden die Satzungen und die Geschichte der Gelehrtenrepublik vorgestellt. Klopstock orientiert sich dabei an den staatsphilosophischen Utopien der Renaissance bzw. Frühaufklärung: Thomas Morus, Francis Bacon oder Louis-Sébastien Mercier. Tatsächlich hatte ich auf den ersten paar Seiten den Eindruck, Klopstock versuche sich an einer weiteren solchen Utopie. Dann aber begriff ich, dass er eigentlich allegorisch schreibt. Seine Gelehrtenrepublik ist das Sinnbild der intellektuellen Gemeinschaft einer Nation. Diese Republik besteht aus verschiedenen Zünften, die die einzelnen Wissenschaften darstellen. Daneben gibt es das Volk, das einfach zuhört. Die im Titel genannten Aldermänner sind so etwas wie eine Regierung, die festsetzt, was Wissenschaft ist und was nicht. Sie gehen auf die Vorschläge der Zünfte ein, beschließen aber auch selber. Mehr als das Volk, aber keine Gelehrten (ja, es gibt nur Männer in Klopstocks Republik), sind die so genannten Altfranken. Als es darum geht, die Zunft der Heraldiker aufzulösen (i.e.: die Heraldik aus dem Bereich der Wissenschaft auszuschließen), sind die Altfranken die einzigen, die sich für den Erhalt der Zunft einsetzen. Daraus ergibt sich meiner Meinun nach, dass Klopstock mit den Altfranken den Adel meint, der nur zu oft in die Schicksale der Wissenschaft eingreift bzw. einzugreifen sucht. (Es gibt noch einige Ämter in dieser Republik, die aber kaum nennenswerte Funktionen haben, so weit ich sehe, und die ich deshalb übergehe.) Interessant ist vielleicht noch, dass jede Nation ihre eigene Gelehrtenrepublik hat, und wie es der Teufel (bzw. der Autor) will, tagt die französische Gelehrtenrepublik in unmittelbarer Nähe. Hier nun verwickelt sich Klopstock ein wenig in Widersprüche. Einerseits ist es unter den Gelehrtenrepubliken höflicher Brauch, sich gegenseitig zu besuchen und zu achten. Andererseits wettern seine Aldermänner, wann sie nur können, gegen die Franzosen im Allgemeinen, Voltaire (offenbar Klopstocks spezielles bête noir) im Besonderen. Man müsste Klopstock wohl einen Nationalisten schimpfen, wenn zu seiner Zeit Deutschland eine politische Nation gewesen wäre.
Die Sitzungen der Gelehrtenrepublik nennt Klopstock Landtage und im zweiten Teil des Buchs schildert er den Verlauf des letzten Landtags. Da finden wir abermals sehr viele Allegorien bzw. wissenschaftsgeschichtliche Anspielungen. Auch wird Leibniz ein Denkmal aufgestellt, der neben Luther den großen Altvorderen der Deutschen Gelehrtenrepublik darstellt.
Doch neben und nach den Sitzungen – und hier wird es interessant – gibt es auch noch die Abende. Hier werden manchmal weitere Geschichten erzählt, die neben dem Landtag spielen. Aber vor allem nutzt Klopstock diese Abende, um Exkurse anzubringen, die mit der eigentlichen Geschichte um die Gelehrtenrepublik keinen direkten Zusammenhang haben. Da finden wir ‚Rants‘ gegen die Freidenker ebenso wie Skizzen einer Klopstock’schen Etymologie oder Orthographie, dargestellt unter anderem auch in (echten?) Briefen eines Klopstock aus Kopenhagen. Anekdoten werden eingemischt und Aphorismen (bzw. im Sinne des Klopstock’schen Vorbilds La Rochefoucault: Maximen) eingestreut. Fiktion und Realität, Dichtung und wissenschaftliche Exkurse gehen nun im zweiten Teil munter durcheinander.
Zum Schluss kommt es durch das Aufheben einer weiteren Zunft, nämlich der der Drittler beinahe zu einem Volksaufstand. Das digitale Grimm’sche Wörterbuch kennt das Wort .Drittler‘ einerseits bei Fischart (wo es ein Scheltwort ist für eine Person niederen Ranges und Gesinnung) und dann noch – aus der Deutschen Gelehrtenrepublik:
die zunft der drittler. ihre benennung zeigt ihre beschaffenheit. es ist eine überaus grosze zunft. sie hat einen ganz besonderen gefallen daran, zahlreich zu sein. daher sie demnach jeden vielwisser mit lautem zurufe annimmt, welcher von der zunft der wisser, wegen seiner vergeszlichkeit in ansehung des wissenswürdigen, mit einsilbiger kälte abgewiesen ward [die Rechtschreibung ist die des Grimm’schen Wörterbuchs]
Nur der Umstand, dass sich zehn Jünglinge vordrängen und um eine Stimme im Landtag bitten, kann die Katastrophe für den Moment abwenden. Ob diese Jünglinge auf den Klopstock so ergebenen Göttinger Hainbund deuten? Ich weiß es nicht, weiß nur, dass die Geschichte des letzten Landtags der Gelehrtenrepublik hier endet, nachgerade abbricht. Klopstock plante eine Fortsetzung, ließ diese dann aber liegen. Was bleibt, ist die Frage, ob die Bezeichnung des geschilderten Landtags als letzter einfach nur temporal zu verstehen ist (der letzte bis heute, es können aber noch welche folgen) oder gar final (weil sich die Gelehrtenrepublik auflöst, was am Ende des Buchs nicht unwahrscheinlich scheint).
Alles in allem ist Klopstocks Deutsche Gelehrtenrepublik ein Werk, das – wenn wir vom barock-steifen Stil absehen – heute, nachdem uns die Romantik an das fragmentarische Schreiben gewöhnt hat, lesbarer und interessanter sein könnte als zu seiner Zeit, der Klopstock weit voraus war. (Als Fragmente bezeichnet Kai Kauffmann in seiner Klopstock-Biografie die aphoristischen Passagen – was stimmt, wenn wir das Wort ‚Fragment‘ in dem Sinn nehmen, den ihm der junge Friedrich Schlegel verliehen hat.) Allerdings scheint auch heute sich niemand mehr mit diesem doch seltsamen Werk Klopstocks wirklich auseinanderzusetzen. Selbst im allwissenden Internet finde ich keine nennenswerten Schriften über die Gelehrtenrepublik, das mag aber an meinem Unvermögen bei der Suche im Netz liegen. Auch Wikipedia versagt, kennt nicht einmal einen eigenen Artikel zu diesem Werk.
Da die von mir für den Messias verwendete Auswahlausgabe (Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Karl August Schleiden. Nachwort von Friedrich Georg Jünger. München: Carl Hanser Verlag, 1962) nur Auszüge aus der Gelehrtenrepublik enthält, habe ich mir noch Band 7 von Klopstocks sämmtlichen [sic] Werken besorgt, wie sie (in zweiter Auflage) 1839 bei Göschen in Leipzig erschienen ist. Der Verlag hat dabei Klopstocks Orthographie normalisiert; sie entspricht mit wenigen Ausnahmen bereits der heutigen.