Jerneja Jezernik: Alma M. Karlin – Mit Bubikopf und Schreibmaschine um die Welt

Alma Karlin… Ich gestehe, dass ich den Namen noch nie gehört hatte (oder sofort wieder vergessen), bis ich vor kurzem in einem Verlagsprospekt auf die nun hier zu besprechende Biografie von ihr gestoßen bin. Dabei liebe ich Reiseliteratur.

Karlin ist, ebenso wie der ziemlich genau um ein Jahr ältere Richard Katz, in ihrer Herkunft ein typisches Produkt der kaiserlich und königlichen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Karlin wie Katz gehörten einer deutschsprachigen Minderheit in ihrer Geburtsregion an: Katz der ökonomisch dominierenden deutschsprachigen Oberschicht Prags (die dort in etwa 10% der Bevölkerung ausmachte); Karlin kam 1889 im damals zu rund 75% deutschsprachigen Cilli zur Welt. Österreich-Ungarn stützte diese deutschsprachigen Enklaven, so lange es Bestand hatte. Aber Katz wie Karlin mussten erleben, wie ihre Heimatstädte nach dem Ersten Weltkrieg plötzlich zu Staaten gehörten, die dem nun definitiv in der Minderheit stehenden deutschsprachigen Bevölkerungsanteil mehr oder weniger feindlich gegenüberstanden.

Hier allerdings hören nun die Ähnlichkeiten der beiden Reiseschriftsteller auf. Karlin war im Gegensatz zu Katz in verschiedener Hinsicht „strukturell“ benachteiligt. Primär natürlich durch ihr Geschlecht. Dass Katz als Mann unverheiratet durchs Leben ging und beim Ullstein-Verlag Karriere machte, war schon fast selbstverständlich. Zumindest musste er sich dafür nicht rechtfertigen. Karlin hingegen war gezwungen, sich mehr schlecht als recht durchs Leben zu schlagen, indem sie – meist als Freelancerin – kurzfristige Jobs als Übersetzerin oder als Sprachlehrerin übernahm. Beides sind nicht Berufe, in denen man reich wird – und frau sowieso nicht. Katz hatte auch schon gleich zu Beginn die besseren Voraussetzungen. Als Mitglied der Prager Oberschicht in einem wohlhabenden, großbürgerlichen und weltoffenen Milieu aufgewachsen, waren ihm materielle und ideelle Gaben in die Wiege gelegt worden, die der Tochter eines pensionierten Offiziers und seiner aus kleinbürgerlichem, slowenischen Milieu stammenden Gattin verwehrt blieben – umso mehr als Karlins Vater schon früh in Almas Leben starb und ihr nur die kleinbürgerlich-eng denkende Mutter blieb.

Ich vermag nicht zu beurteilen, wie bekannt Karlin zu Lebzeiten wirklich war. (Das ganz grosse Defizit dieser Biografie: ihre Beschränkung beim Quellen-Material auf autobiografische Zeugnisse Alma Karlins – siehe weiter unten.) So viel lässt sich sagen: Karlin fehlte sicherlich die große Publikations- und Werbemaschine, auf die Katz als Ullstein-Mann zurückgreifen konnte. Sie musste in kleineren Verlagen und in kleineren Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichen. Das zumindest lässt sich aus der vorliegenden Biografie herauslesen.

Jezerniks Biografie ist interessant, weil Karlins Leben interessant ist. Nur wenige Frauen trauten sich in den Zwischenkriegsjahren alleine zu reisen – und nun gar um die ganze Welt. (Jezernik erwähnt unter anderen Marie von Bunsen, Annette Kolb und Annemarie Schwarzenbach.) Alma Karlin war hierin wiederum speziell, weil sie sich ihre Weltreise nur leisten konnte, indem sie unterwegs immer wieder Jobs als Lehrerin oder Übersetzerin annahm. Sie lebte von wenig und verbrachte die meiste Zeit in den Quartieren der Ärmeren und Ärmsten. (Wo sie dann vor allem von den dortigen Frauen sehr viel Liebe und Aufmerksamkeit erfuhr.) Karlins Verhältnis zu Männern hingegen war – gelinde gesagt – gestört. Zu einer Besserung dieses Verhältnisses trug es dann auch nicht bei, dass sie – gleich zu Beginn ihrer Weltreise, in Peru – einige Male nur knapp einer Vergewaltigung entging. Sie verließ denn auch Südamerika sehr rasch. Der Norden Amerikas, die USA, gefielen ihr so wenig wie ihrem ehemaligen Landsmann Katz. China und vor allem Japan (wo alle Männer höflich zu ihr waren!) gefielen ihr bedeutend besser. Australien und Neuseeland wieder weniger, die Südsee-Inseln und die indonesische Inselwelt wieder mehr. Am liebsten waren ihr – so oder so – Bibliotheken und Museen, in denen sie ihren ungeheuren Wissensdrang befriedigen konnte.

Dabei kann Jezernik nicht umhin, festzustellen, dass sich Karlin ihr Leben lang nicht von ihren rassistischen Vorurteilen trennen konnte – Vorurteilen, die sie einerseits sicher von ihrer kleinbürgerlichen Mutter, die, wie so viele Konvertiten (hier nicht religiös, sondern „völkisch“ gemeint), deutscher wurde als viele Deutsche. (Was das bedeutete, wird klar, wenn man weiß, dass die Deutschsprachigen in Slowenien praktisch alle zu fanatischen Nationalsozialisten wurden, als in Deutschland Hitler die Macht erhielt.) Karlins zwar buddhistisch angehauchter, aber in seiner Basis anthroposophisch-theosophischer, ideologischer Hintergrund (Blavatskys Theosophie kennt eine sehr detaillierte Rassenlehre, in der die Deutschen zu jener Zeit zuoberst standen!) wurde verstärkt bei ihrem ersten Aufenthalt in England, wo sie – zumindest indirekt – viel von den Lehren Gobineaus und Chamberlains aufnahm. Allerdings war Karlin zu keiner Zeit ihres Lebens militant, da sie ihre esoterisch-rassistische Einstellung paarte mit einer tief pazifistischen Haltung.

Letztere sollte zu Problemen führen, als Slowenien unter nationalsozialistische Verwaltung kam, da Karlin versuchte, den einen oder anderen Widerstandskämpfer dem Zugriff der regierenden Schergen zu entziehen. Ein oder zwei Mal entging sie offenbar selber nur knapp einer Deportierung in ein Konzentrationslager. Dennoch konnte sie den Zweiten Weltkrieg an ihrem Geburtsort überstehen. Sie erlebte es noch, wie das Königreich Jugoslawien, dem sie nach dem Zerfall Österreich-Ungarns als Bürgerin angehört hatte, als kommunistischer Staat wieder auferstand. (Nicht, dass sie dem Kommunismus gegenüber freundlicher eingestellt gewesen wäre, als gegenüber dem Nationalsozialismus!) Zum letzten Mal machten sich hier die strukturellen Unterschiede gegenüber Katz bemerkbar. Obwohl auch Katz‘ Karriere als Reiseschriftsteller durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland einen empfindlichen Knick erlitt, war es ihm doch möglich gewesen, den großen Teil seines Vermögens vor ihnen zu retten und ins Exil zu gehen, wo es ihm dann im Großen und Ganzen besser ging, als den meisten anderen Exilanten Deutschlands. Durch gelegentliche Publikationen in einem Schweizer Verlag war Katz beim deutschsprachigen Publikum nie ganz in Vergessenheit geraten und konnte nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs zumindest teilweise den abgerissenen Faden wieder anknüpfen. Karlins Versuche, während des Kriegs nach London auszureisen, waren nur schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil ihr alle Mittel dazu fehlten. Ihre Bücher (neben Reiseberichten auch – zum Teil recht esoterische – Romane und Gedichte) hatten ihr nie so viel eingetragen, dass sie davon hätte Reserven bilden können.

Und heute? Im deutschsprachigen Raum, vermute ich, kennt man Alma Karlin noch immer kaum oder gar nicht. In Jugoslawien wurde sie nicht zur Kenntnis genommen. Zunächst, weil sie auf Deutsch – der durch die nationalsozialistische Herrschaft verhassten Sprache – geschrieben hatte; dann, weil sie, da keine Arbeiterdichterin, tatsächlich in Vergessenheit geraten war. Erst seit der Unabhängigkeit Sloweniens, auf dessen Staatsgebiet Karlins Geburtsstadt Cilli heute (unter dem slowenischen Namen Celje) liegt, wird sie zumindest dort wieder entdeckt. Unabhängig von der Sprache, in der sie schrieb, gilt sie nun als Slowenin, und als eine der wenigen slowenischen Autorinnen von Weltrang. Dass es Hinweise auf Aussagen Selma Lagerlöfs gibt, Alma Karlin hätte den Nobelpreis für Literatur verdient, verstärkt diese slowenische Einschätzung. (Auch wenn Jerneja Jezernik, die Autorin der Biografie, zugeben muss, dass Lagerlöf ihren Worten offenbar keine Taten folgen ließ – sprich: Karlin ist nie nominiert worden, obwohl Lagerlöf, selber Preisträgerin, das durchaus hätte machen können.)

Ein paar Worte noch zur vorliegenden Biografie. Die Autorin Jerneja Jezernik ist Übersetzerin für Deutsch und Slowenisch und hat offenbar bereits das eine oder andere Werk Karlins ins Slowenische übertragen. Da auf den Vorsatzblättern nirgends ein Übersetzer oder eine Übersetzerin angegeben ist, vermute ich, dass sie ihre Biografie selber übersetzt oder gleich auf Deutsch geschrieben hat. Dabei sind ihr leider ein paar Inkongruenzen unterlaufen (falsch verwendete oder falsch angeschlossene Pronomen vor allem – Dinge halt, die eine Autokorrektur von Word nicht erfasst). Inhaltlich stützt sich das Buch vor allem auf Karlins eigene Schriften, unter anderem eine unveröffentlicht gebliebene Autobiografie. Das ist bedauerlich: Auch wenn eine eigentliche Karlin-Philologie noch fehlt (wohl, wie die Erfahrung z.B. bei Richard Katz zeigt, immer fehlen wird), so wäre es doch wünschenswert, wenn das eine oder das andere auch aus anderen Quellen zumindest bestätigt würde. Selbst der ehrlichsten Autobiografin wird in ihrer Autobiografie neben Wahrheit auch immer Dichtung unterlaufen. Ein anderer Wunsch betrifft die in der Mitte des Buchs eingefügten Fotografien. Sie sind, zeitbedingt, nicht immer von bester Qualität. Da kann man nicht viel machen. Aber ein paar Legenden zu den Bildern wären sehr hilfreich gewesen. So stehe ich als Leser nun vor ein paar Porträts Alma Karlins, ohne zu wissen, wann welches wo aufgenommen wurde. Auch wird immer mal wieder erwähnt, dass sich Karlin mit einigen Souvenirs ihrer Weltreise eine Art kleines Privatmuseum aufgebaut habe – eine Kollektion, die unterdessen in einem öffentlichen Museum in Ljubljana stehe. Das eine oder andere Bild eines Sammelstücks, vor allem von denen, die im Text explizit erwähnt werden, hätte ich mir schon gewünscht.

Ansonsten haben wir eine gute Einführung in Leben und Werk einer mir bisher unbekannten Autorin vor uns. Sie ist interessant, was natürlich auch daran liegt, dass das Leben Alma M. Karlins interessant ist.


Jerneja Jezernik: Alma M. Karlin – Mit Bubikopf und Schreibmaschine um die Welt. Eine Biografie über die Weltreisende, Polyglotte, Schriftstellerin und Antifaschistin Alma M. Karlin (1889-1950) aus Celje / Cilli, Slowenien. Klagenfurt: Drava Verlag, 2020.

Mit bestem Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

6 Replies to “Jerneja Jezernik: Alma M. Karlin – Mit Bubikopf und Schreibmaschine um die Welt”

  1. Lieber Blogger P.H., ich bedanke mich recht herzlich für Ihre vielfältige Rezension. Ich möchte dazu nur noch auf ein paar Unstimmigkeiten aufmerksam machen. Als Autorin der Biographie „Mi Bubikopf und Schrebmaschine um die Welt“ habe ich das Buch nicht ins Deutsche übersetzt, sondern auf Deutsch (Deutsch ist nicht meine Muttersprache) geschrieben und mit Hilfe des Lektors im Drava Verlag veröffentlicht. Sowohl habe ich aus dem Deutschen ins Slowenischen nicht „das eine oder andere“ Buch von Alma übersetzt, sondern bis dato 14, die meisten von allen Übersetzern. Manchmal habe ich bei Ihrer Rezension den Eindruck, dass Sie das Buch nicht ganz ausführlich gelesen haben, denn vieles unterscheidet sich (z.B. auch, dass die Ausstellung in Ljubljana zu sehen ist und auch andere Sachen) von dem, was im Buch steht und was Sie als Fakt in ihrer Buchbesprechung angeben. Aber das nur am Rande, sonst freut es mich riesig auf die Vielfalt Ihrer Gedanken zur Biographie. Beste Grüße aus Slowenien, Jerneja Jezernik

    1. Guten Morgen Fr. Jezernik

      Vielen Dank für Ihren ausfühlichen Kommentar. Es tut mir leid, wenn ich ein paar Fakten falsch wiedergegeben habe; normalerweise prüfe ich solche Dinge noch nach unter dem Schreiben. Manchmal allerdings, wenn ich sie für nebensächlich betrachte, vergesse ich das. Ihr Buch hat mir auf jeden Fall einen Einblick gewährt in das Leben eines Menschen und in eine Region, die ich bisher kaum kannte, vielen Dank dafür! Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Spass und viel Erfolg beim Übersetzen und beim Schreiben!

  2. Bitte um Veröffentlichung:

    Biographie zu Alma Karlin – Hinweise vom Lektor Carsten Schmidt

    Gern möchte ich auf die Rezension zur Biographie über Alma Karlin (Autorin Jerneja Jezernik) antworten. Da die Rezension ausführlich und tiefgründig ist, gestatte ich mir auch eine etwas tiefere Antwort.
    Die österreichischen Verlage Drava und Wieser beschäftigen sich seit über drei Jahrzehnten mit Literatur aus Osteuropa und teilweise auch darüber hinaus. Neben der Schwerpunktregion Balkan hat es dem zweisprachigen Verleger Lojze Wieser sowie der nun tätigen Verlegerin Erika Hornbogner auch immer am Herzen gelegen, sich für slowenische AutorInnen einzusetzen, die außerhalb ihrer Heimat wenig bekannt sind. So wie es im Süden Österreichs viele tausend Menschen gibt, die Slowenisch sprechen, ist auch auf der slowenischen Seite ein reger Austausch mit den deutschsprachigen Nachbarn nicht nur historisch gewachsen, sondern wird durch zahlreiche Projekte aufrechterhalten.
    Alma M. Karlin (1889-1950) ist eine in Slowenien nicht unbekannte, aber auch nicht berühmte Weltreisende gewesen, die Deutsch zwar gelernt hatte, aber im Laufes ihres Lebens sich mit so vielen Kulturen und Sprachen befasst hat, dass sie selbst im Deutschen vielleicht stilistisch nicht glänzte, aber dennoch so einfühlsam, individuell und originell von ihren Reisen berichtete, dass über viele Jahre Beiträge und ganze Bücher über ihre abenteuerlichen Erlebnisse erschienen.

    Die Rezension freut mich, weil sie sich intensiv und tiefgründig, aber auch kritisch mit dem nun bei Drava erschienenen Buch „Alma M. Karlin – Mit Bubikopf und Schreibmaschine um die Welt“ befasst. Die Autorin Jerneja Jezernik hat als Übersetzerin gearbeitet und spricht u.a. Slowenisch als auch sehr gutes Deutsch. Von Verlagsseite wurde mir die Aufgabe übertragen, die Autorin als Lektor zu betreuen. Es war eine intensive Arbeit, in der wir bis zuletzt darauf geachtet haben, sowohl der damaligen Sprache, der vielleicht in manchen Ohren eigentümlichen Tonalität, aber auch den für ein heutiges Publikum unverständlichen Begriffen Rechnung zu tragen. Weder Alma Karlin noch die Autorin Jerneja Jezernik wollen geschliffene Essayisten im Stil von Thomas Mann sein. Jerneja Jezernik wollte kein wissenschaftliches Buch schreiben, sondern anschaulich und unterhaltsam uns das Leben der Weltreisenden näherbringen. Dabei hat sie sich vor allem auf eigene Schriften zur Autorin sowie auf autobiographische Quellen gestützt. An einigen Stellen verrät Jerneja Jezernik ihrer Leserschaft durch indirekte Sprache sehr wohl, dass sie berichtet, uns teilhaben lässt und nicht immer alles zu 100 Prozent glauben muss.

    Jerneja Jezernik hat es mit ihrem Buch geschafft, die durchaus eigenwillige, sicher auch als Person nicht unkritisch zu betrachtende Person Alma Karlin bekannter zu machen – und bereits in kurzer Zeit hat sich eine große Aufmerksamkeit über Slowenien hinaus an ihr gezeigt, anscheinend ja auch bis ins schweizerische Winterthur. Wenn über die historisch original verwendeten sprachlichen Eigenheiten andere Fehler im Manuskript übriggeblieben sind, können diese – wie es üblich ist – bei kommenden Auflagen berücksichtigt werden, so wie auch die Hinweise zu den Bildunterschriften gern aufgenommen werden.
    Dr. Carsten Schmidt,
    Freier Lektor für den Drava Verlag

    1. Guten TAg Her Schmidt

      Vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar. Es ist selten, dass sich Lektoren derart für „ihren“ Text einsetzen. Das Buch und die Person der Alma M. Karlin sind ja tatsächlich sehr interessant; und es wäre natürlich schön, wenn die enthaltenen Fotografien noch mit einer Legende versehen werden könnten.

      Alles in allem kann man sich als Leser von Biografien und / oder Reiseberichten nur wünschen, dass der Verlag sein diesbezügliches Engagement beibehält.

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