François Rabelais: Le quart livre des faicts et dicts heroiques du bon Pantagruel

Wie zwischen der Veröffentlichung von Band Pantagruel und der des Tiers Livre, so liegen auch zwischen der Veröffentlichung des letzteren und der des Quart Livre, des vierten Buchs, wieder ein paar Jahre. Und wie sich der zeitliche Abstand zwischen den Büchern schon beim ersten Mal bemerkbar machte, so nun auch dieses Mal. Zwar ist dieses Mal der Titel, von der Nummerierung abgesehen, identisch. Aber inhaltlich haben wir abermals etwas ganz anderes vor uns. Das ist zum Teil wohl dem Umstand geschuldet, dass Rabelais schlussendlich dann doch Probleme bekam mit den Zensur-Behörden seines Landes und für einige Zeit seine Heimat verließ, um anderswo Schutz zu suchen. Das hat seine Spuren hinterlassen im Vorwort des Autors, wo Rabelais für sich in Anspruch nimmt, im Sinne des Arztes Hippokrates zu schreiben, der es für gut befunden habe, dass einer, der einen Patienten heilen wolle, eine heitere Miene annehme – woraus Rabelais offenbar schließt, dass es auch erlaubt oder gar notwendig sein könne, sich über den Patienten und sein Verhalten lustig zu machen. Im Folgenden sollen dann unter anderem auch Anekdoten zur Unterhaltung und Besserung des Patienten dienen. François Villon tritt zwei Mal auf, einmal lässt sich Pantagruel sogar eine Geschichte erzählen, in der der Teufel übers Ohr gehauen wird, ein anderes Mal eine, wie Zeus persönlich die Bescheidenheit eines Bauern belohnt und die maßlose Habgier seiner Dorfgenossen bestraft. Der pädagogische Zaunpfahl wird hier manchmal recht heftig geschwungen.

Zunächst zwar scheint das vierte Buch nahtlos ans dritte anzuschließen. Unsere Helden, Pantagruel und Panurge an der Spitze, brechen endlich zu ihrer Seefahrt auf, auf der Suche nach der göttlichen Flasche. Sogar auf den Lobgesang auf die Hanfpflanze, der das dritte Buch abschloss, nimmt Rabelais noch einmal Bezug. Doch schon das erste ‚Abenteuer‘ irritiert, wenn man eine bloße Fortsetzung erwartet. Im ersten Hafen nämlich bekommt Panurge Streit mit einem Händler auf einem benachbarten Schiff, der sich über Panurges Anzug lustig macht. Der hat sich nämlich schon im dritten Buch seiner Braguette, seiner Schamkapsel, entledigt und trägt auf seinem Hut eine Brille. Ein anderes Mitglied der Truppe rettet Panurge aus der Bredouille, denn es drohten zum Schluss sogar Schläge. Panurge aber rächt sich, indem er dem Händler einen seiner Schafsböcke abkauft und – ins Meer wirft. Die Herde folgt und bringt das Schiff des Händlers derart aus dem Gleichgewicht, dass es kentert und Mann und Maus ertrinken. Ein sehr seltsamer, hinterhältiger und hinterlistiger Charakterzug also, den Panurge plötzlich entwickelt. Überhaupt ist der tapfere Soldat des Buchs Pantagruel, der gewitzte Fechter mit Worten beider vorher gehender Bücher, plötzlich verschwunden. Zwei Mal kommt das Schiff in gefährliche Situationen; zwei Mal jammert Panurge, der in diesem vierten Buch zum Feigling mutiert hat. Ja, das zweite Mal macht er sich sogar wortwörtlich ins Hemd.

An Panurges Stelle als Hauptfigur tritt nun wieder Pantagruel selber. Er ist es, der am meisten mit den Einwohnern der verschiedenen Inseln spricht. Er, der zu Beginn noch auf einen besorgten und in einfachem (ich bin versucht zu sagen: altväterischen) Französisch gehaltenen Brief seines Vaters Gargantua, der sich erkundigt, ob die Reise seines Sohns bisher ruhig verlaufen sei – er, Pantagruel also, ist es dort noch, der in gestelztem, ciceronianisch angehauchten Französisch antwortet. Er ist es aber auch, der sich im Lauf des Romans entwickelt. Vom stoischen Zuschauer wird er im Lauf der Geschichte zu einem, der aktiv wissen und verstehen will. Er legt auch seine Liebe zum kabbalistisch-neupythagoreisch angehauchten Denken ab und findet zu einem gesunden Eklektizismus.

Es wird im vierten Buch immer noch viel mehr geredet als gehandelt. Aber die Reden finden jetzt zwischen Pantagruel und den Einwohnern der diversen Inseln statt, die das Schiff Pantagruels ansteuert. Rabelais kann sich darin der Satire über gewisse religiöse Erscheinungen der Zeit nicht enthalten; aber in weiser Voraussicht verschleiert er dieses Mal das Ziel seiner satirischen Pfeile besser als früher. So kommt es, dass das genaue Ziel in vielen Fällen heute Stoff für gelehrte Diskussionen ist, auf die ich mich aber nicht weiter einlassen möchte. Nur auf den einen Gott (oder Propheten?) namens Gaster will ich rasch hinweisen, der an seinem Festtag mit Essen verwöhnt wird (Rabelais bringt in alter Manier eine riesige Aufzählung der Speisen, die ihm geweiht werden). Denn, so die Einwohner jener Insel, es ist dieser Gott (oder Prophet?), der alles erfunden hat, was die Menschheit an Hilfsmitteln zum Überleben kennt. Denn alle Erfindungen dienen letzten Endes dazu, Lebensmittel (allen voran Korn) haltbar zu machen, zu lagern und diese Lagerstätten gegen Feinde zu sichern. In religionssatirischer Form haben wir hier also eine ökonomische Theorie in nuce vor uns.

Und so, wie Panurge an Wichtigkeit für die Fortsetzung verliert, verliert sich auch der Zweck der Fahrt, wie wir ihn im dritten Buch dargestellt fanden. Die göttliche Flasche wurde dort ursprünglich von Panurge gesucht, der wissen wollte, ob er bei einer Heirat zum Gehörnten würde. Von diesem Zweck ist im vierten Buch keine Rede mehr. Die Fahrt unserer Helden gleicht nun viel mehr der Suche nach dem Heiligen Gral aus mittelalterlichen Heldenepen. Und hinter den vielen Anspielungen auf das Goldene Vlies, die wir im Text finden, steckt natürlich ein ganz bestimmtes Heldenepos: die Argonauten-Saga, wie sie von Apollonios von Rhodos verfasst worden war. Schon die Route, die unsere Helden nehmen und die Rabelais im Detail schildert (sie ist allerdings so auf keiner Karte dieser Welt nachvollziehbar!), erinnert an den Weg, den die Argonauten genommen haben sollen. Allerdings wird die göttliche Flasche in Cathay, also in China, lokalisiert.

Im Grunde war Pantagruels Entwicklung mit dem Ende des vierten Romans abgeschlossen. Nur war der Gral noch gar nicht gefunden, die Helden immer noch unterwegs, und das war vielleicht der Grund, warum Rabelais trotz abgeschlossener Entwicklung seines Helden noch an einem fünften Teil zu werkeln begann.

Den Schluss übrigens des vierten Buchs macht abermals etwas völlig Fremdes und vielleicht gar Befremdendes. Nur lässt sich Rabelais dieses Mal nicht über die guten Eigenschaften der Hanfpflanze aus, sondern hängt als Appendix ein kleines Glossar einiger von ihm im Text verwendeter Begriffe an. Nur: Dieses Glossar bringt völlig aberwitzige Definitionen bei. Das ist witzig, aber den Grund für diesen Appendix kann ich nicht sehen. Ich vermute, dass gerade diese Grund- und Zwecklosigkeit der eigentliche Zweck und der tiefere Grund für diesen Anhang sind.

Summa summarum: Trotz (oder vielleicht auch wegen) des Umstands, dass Rabelais einmal mehr etwas völlig anderes geliefert hat als in den vorher gehenden Romanen, ist auch der vierte Teil der Saga um Gargantua und Pantagruel witzig und faszinierend.

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