Bis heute ist, wer etwas über die Geschichte des Teufelsglaubens in Europa erfahren will, auf dieses Buch aus dem Jahre 1869 angewiesen. Keiner hat vor oder nach Roskoff das Thema je halb so erschöpfend bearbeitet, oder auch nur aufgegriffen. (Erschöpfend: Immerhin umfasste die Originalausgabe in 2 Bänden rund 1000 Seiten. Vor mir liegt ein photomechanischer Nachdruck in einem Taschenbuch-Band, den Franz Greno in Nördlingen in seiner Taschenbuch-Reihe 10¦20 veröffentlichte. Genauer gesagt dessen 2. Auflage vom November 1987. Auch dieses Taschenbuch ist unterdessen nur noch antiquarisch erhältlich. Allerdings ist die Nachfrage offenbar gering; man erhält es für relativ wenig Geld.)
Roskoff schildert die Entstehung des Teufelsglaubens als eine Geschichte des Dualismus. Im Ersten Abschnitt seines Werks (Der religiöse Dualismus) zeigt er auf, dass schon die so genannten Naturvölker in ihren religiösen Anschauungen von einem Antagonismus zwischen den die Natur bewegenden Phänomene (Geister, Götter, Dämonen – wie auch immer) ausgegangen seien. Naturkräfte wurden mit Leben versehen (der sog. Animismus), und auch bei den so animierten Naturkräften galt sehr rasch: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. So entstanden die guten und die bösen Geister, die gegeneinander arbeiteten. In einer kenntnis- und detailreichen Tour de Force geht Roskoff von den Naturvölkern nach Ägypten, weiter über die Araber, Babylonier und Chaldäer zu den Phöniziern, von dort nach Kleinasien, den Ariern am Indus und am Ganges, den Buddhisten, den Persern, Griechen, Römer, Germanen, Slawen und Hebräern – um nur die wichtigsten Stationen dieser Reise durch Kontinente und Zeiten zu nennen. Nach nicht ganz 200 Seiten ist er dann beim Satan im Alten Testament. Von dort geht es über den Satan im Neuen Testament weiter in der christlichen Tradition zu den Kirchenvätern der ersten drei Jahrhunderte. Ein Schwenker zu Talmud und Kabbala bringt ihn zurück zum Christentum des 4. bis 6. Jahrhunderts. Im 7. bis 13. Jahrhundert sieht er dann den Teufel voll entwickelt und bereit, seine große Rolle in den Hexenverfolgungen der kommenden Jahrhunderte bis ungefähr zur Reformation zu spielen. Schon dieser summarische Abriss des ersten Bandes zeigt vielleicht, welches die Vorzüge und Nachteile von Roskoffs Werk sind: Er weiß sehr, sehr viel. Er bringt viele Fakten bei, zitiert viele Quellen. Aber irgendwann hat man als Leser den Eindruck, dass er diese Fakten nur noch aufeinander häuft. Er gewichtet nicht, schätzt nicht ein. Er verliert sich auf Nebenschauplätzen, so, wenn er Glaubensvorstellungen der Naturvölker referiert, in denen der Teufel noch nicht einmal vorkommt – einfach, um das Thema wirklich erschöpfend vorgestellt zu haben.
Der Zweite Abschnitt bringt nun die Factoren bei der Ausbildung und Verbreitung der Vorstellung vom Teufel. Roskoff müsste nicht Professor für Theologie an der evangelisch-theologischen Fakultät (in Wien) gewesen sein, wenn er nun nicht so ganz nebenbei der allumfassenden katholischen Kirche eins ans Schienbein wischen würde, und als Hauptfaktoren alles das geltend macht, was die Reformatoren seinerzeit der katholischen Kirche vorgeworfen hatten: ihr stetiger Zuwachs an weltlicher wie geistlicher Macht, ihr zunehmender Reichtum (erwirtschaftet u.a. aus dem Ablasshandel), was alles zusammen dazu führte, dass die Kirche mehr und mehr ein handfestes ökonomisches Interesse daran hatte, die Notwendigkeit ihrer Existenz zu beweisen, und sich dazu als einzige Trutzburg gegen die Macht des Teufels hinstellte, den sie gerade erst selber erfunden hatte. So kam es, dass der nun zusehends von einem gefallenen Engel – und damit keineswegs einem Ebenbürtigen Gottes – zu einem, ja dem personifizierten Darsteller des Übels allen Lebens mutierte, d.h. zu einer ganz konreten Person, die aus freiem Willen sich von Gott abgewandt hatte und nun zum Antagonisten Gottes geworden war; zu einem, dem Gott so ziemlich alles erlaubte, um den Menschen in Versuchung zu führen. Der dritte Abschnitt des Buchs ist dann ganz dem Unwesen der Hexenprozesse gewidmet. Roskoff vernachlässigt bei der Aufzählung von Fakten und Prozessen den Teufel abermals, wie schon bei der Schilderung der Religion der Naturvölker, so ziemlich, und er scheint es auch selber gespürt zu haben, lautet doch dann der Titel des vierten und letzten Abschnitts: Fortsetzung der Geschichte des Teufels. Abnahme des Glaubens an den Teufel.
Darin geht es dann auch wieder ganz schnell. Während Luther noch an einen persönlichen Teufel geglaubt hatte (was so direkt auszusprechen Roskoff allerdings vermeidet), Katholiken und Protestanten sich zunächst gegenseitig als vom Teufel besessen denunzierten, wird im Verlauf der Reformationszeit der Teufel nach Roskoff zusehends abstrakter. Jedes Laster wird von einem Teufel repräsentiert, und so gibt es Eheteufel, Spielteufel etc. Damit beginnt der Stern des Teufels zu verblassen. Mit den neuen Erkenntnissen der Astronomie, dem Wechsel vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild, ist es dann mit ihm mehr und mehr aus. Die Natur bewegt sich nach fest stehenden Gesetzen, diese nach Belieben zu brechen, und zum Beispiel einfach so in der Luft herumzufliegen, ist auch einem Teufel nicht möglich. (Der Theologe Roskoff unterschlägt hier – bewusst oder ist er wirklich auf diesem Auge blind? – dass die wissenschaftlichen Argumente, die dem Teufel den Garaus machten, gerade so gut gegen Gott und seine Engel angewendet werden konnten.) Der Deismus, ein Locke, ein Shaftesbury oder ein Hutcheson, nahmen sich noch zurück, was die Existenz Gottes betrifft. Leibniz und Wolff sowieso. Die französischen Aufklärer waren da schon radikaler. Rousseaus Theologie ist zwar heterodox, aber an einen Gott scheint auch er geglaubt zu haben. Bei Voltaire sind Zweifel angebracht, ebenso bei Diderot. Roskoff allerdings unterschlägt in seinem Text die atheistischen Ansätze jener Zeit. Die radikaleren Franzosen nennt er vorsichtshalber erst gar nicht. Er geht lieber über die deutschen Pädagogen Basedow, Campe und Pestalozzi – die durchaus aufklärerische Züge in ihrer Lehre trugen – weiter zum deutschen Idealismus, zu Goethe und Schiller, Wieland und Herder. Natürlich darf Kants Salto rückwärts in den Glauben nicht fehlen, Schleiermacher nicht und der späte Schelling nicht. (Es fehlt der angebliche Atheist Fichte. Ebenso, und das verwundert denn doch, war doch Roskoff Schüler eines Althegelianers: Georg Wilhelm Friedrich.) Einmal mehr also eine rasante Tour de Force – hier durch die Aufklärung und dessen spezifisch deutsche Form, den deutschen Idealismus.
Eine sehr kenntnisreiche, und darin, sowie an aufgebrachten Details, noch im Jahre 2020 unübertroffene Darstellung des Teufels im Laufe der Geschichte. Man würde sich wünschen, dass nach mehr als 150 Jahren jemand das Thema wieder aufnähme und mit neuer Sichtung der Fakten und besserer Einbettung der Teufelsgeschichte in die übrigen sozio-ökonomischen Fakten der europäischen Geschichte wieder aufbereiten würde. (Denn der Theologe Roskoff war naturgemäß vor allem an den dogmengeschichtlichen Implikationen des Teufelsglaubens interessiert.) Das meiner Ausgabe durch Greno in dankenswerter Weise hinzugefügte Verzeichnis weiterführender Literatur zeigt, dass offenbar bis 1987 nichts derartiges erschienen ist. Und daran hat sich in den 30 Jahren seit Erscheinen des Taschenbuchs, zumindest meines Wissens, auch nichts geändert.
3 Replies to “Gustav Roskoff: Geschichte des Teufels”