Friedrich Hölderlin: Der Tod des Empedokles

Hölderlin hat drei Anläufe genommen, um sein Drama Der Tod des Empedokles fertig zu stellen. Es ist ihm nicht geglückt. Man kann beinahe sagen: Je mehr er es versuchte, desto weniger glückte es ihm. So ist von den erhaltenen Versuchen der erste der am weitesten gediehene. Dass Hölderlin mit dem Drama nicht fertig wurde, lag wohl vor allem daran, dass er unter dem Schreiben seine Intentionen radikal änderte. Dabei hatte er schon im Hyperion sein Interesse am Stoff bekundet.

Der Reihe nach: Derste Entwurf ist noch stark von Hölderlins Sympathien für die Französische Revolution geprägt. Empedokles ist hier eine Mischung aus Jakobiner und Jesus – einer, der mit friedlichen Mitteln, aber ungeheurem Charisma, versucht, den Stadtstaat Agrigent auf Sizilien zu reformieren. Seine Gegner sind denn auch der politische Herrscher des Staats und dessen Oberpriester. Als sich Empedokles eines Tages wie Gott fühlt, erschrickt er vor sich selber und zieht sich völlig zurück – so, dass im Volk der Glaube entsteht, er sei völlig verschwunden, vielleicht gar entrückt. Es gelingt Politik und Kirche aber, ihn beim Volk zu diskreditieren. Zwar erscheint Empedokles noch einmal vor dem Volk und kann es umstimmen, ja sogar den Vertreter der Politik auf seine Seite bringen. Aber der Heilige ist ganz offenbar der Sache müde. Ohne Abschied – auch nicht bei seinem einzigen treuen Jünger – verschwindet er am Ende tatsächlich für immer.

Dieser erste Entwurf ist brav, aber weder sprachlich noch inhaltlich, was wir (heute) von Hölderlin erwarten. Das schien der Autor auch selber zu spüren. Ein zweiter Entwurf versuchte sich an einem eleganteren Versmaß. Aber auch dieser zweite Entwurf wurde nicht zu Ende geführt. Zu nah noch war er an der Handlung des ersten. Der dritte Entwurf – alle drei Entwürfe verfasste Hölderlin übrigens in der kurzen Zeit zwischen 1799 und 1800 – war sprachlich noch eleganter, aber noch kürzer als der zweite. Schon im zweiten hatte Hölderlin zusätzlich zum Handlungsfaden des ersten Entwurfs eine dialektische Gegenüberstellung von organischem Handeln und aorgischer Natur aufgestellt. Im dritten Entwurf wird daraus endgültig eine Poetik, ja ein allgemeine Kunsttheorie, in der der Künstler sozusagen zwischen den beiden Polen vermitteln sollte. Doch in dieser Form war der Stoff längst nicht mehr dramatisch; daran änderte auch der Umstand nichts, dass in allen drei Entwürfen eine junge Frau vorkam, die mehr oder weniger in Empedokles verliebt war. Denn diese Liebe kam nie so richtig zur Ausführung und blieb einigermaßen platonisch auf Seite der Frau, während Empedokles nicht einmal etwas davon bemerkte (bemerken wollte?).

Spuren auf den Blättern, auf denen Hölderlin versuchte, die dritte Version in einer Reinschrift zu erstellen, weise auf Tränen hin, die er darüber vergossen hat – ich vermute, aus ohnmächtigem Zorn und Frustration darüber, dass er unterm Schreiben einsah, dass Der Tod des Empedokles eine dramatische Totgeburt war. Die Fragmente wurden denn auch erst nach Hölderlins Tod veröffentlicht.

Und heute? Wir sind uns seit der Mitte des 20. Jahrhunderts experimentelle Dramen gewohnt, die das Seltsame von Hölderlins Der Tod des Empedokles bei weitem übertreffen. Als „misslungen“ oder „unaufführbar“ würden wir dieses Drama heute nicht mehr bezeichnen. (Und zumindest zum Film scheint sich der Stoff zu eignen; meines Wissens wurde er mindestens zwei Mal verfilmt.) Aber auf Grund seines fragmentarischen Charakters verlangt es selbst beim Lesen viel Aufmerksamkeit. Wenn man bereit ist, diese zu liefern, wird man nicht nur einen tiefen Blick in die Werkstatt und das Denken des Ausnahmedichters erhalten, der Hölderlin war, sondern auch eine in die Entwicklung der Dialektik im Hegel’schen Sinne. (Hölderlin hat Hegel seinen zweiten Entwurf geschickt. Der aber, noch mit anderem beschäftigt, scheint die dialektische Struktur des Dramas nicht erkannt, geschweige denn geschätzt zu haben.)

Eine durchaus lohnende Lektüre also.

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