Dass wir im deutschen Sprachraum den Romancier Stevenson kaum, und den Reiseschriftsteller praktisch gar nicht kennen, während gerade der Reiseschriftsteller Stevenson in seiner Heimat nach wie vor gelesen wird, habe ich vor kurzem erst hier festgehalten. Tatsächlich hat der Schotte seine schriftstellerische Karriere sogar mit einem Reisebericht begonnen – dem nun hier vorzustellenden An Inland Voyage. Wie der eine der beiden Titel, unter denen Stevensons Text in diesem Jahrtausend erst ins Deutsche übersetzt wurde, explizit macht, sind mit dem Inland des Originals die beiden Länder Belgien und Frankreich gemeint, die Stevenson mit einem Freund auf dem Fluss Oise von Belgien nach Frankreich unternommen hatte. Er war zum Zeitpunkt der Reise gerade mal 26 Jahre alt, zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buchs 28. Es ist in allem das Werk eines jungen Mannes also.
Auch wenn wir erste Spuren der späteren Kunst Stevensons bereits erkennen können, ist doch der Ton von An Inland Voyage noch ein ganz anderer, als wir ihn zum Beispiel bereits im nächsten seiner Reiseberichte finden, der Reise mit einem Esel durch die Cevennen, die nur ein Jahr später erschienen ist. Hier ist es noch der leicht, dandyhafte Ton des jungen Mannes, der sich, seine Reise, seinen Reisegefährten, aber auch Land und Leute kaum ernst nimmt. Sicher, er beklagt sich einige Male darüber, wie die beiden in vornehmeren Hotels oder Gaststätten abgewiesen wurden, wenn sie mit leichtem Gepäck und – nach einem ganz Tag Paddeln – wohl auch nicht immer ganz sauber eintrafen. Aber im Großen und Ganzen bleibt der Ton heiter; und zum Beispiel das ganz zu Beginn geschilderte Abenteuer mit dem Gaskocher und dem zerbrochenen Ei wirkte ganz klar vorbildhaft auf eine ganze Generation von (Reise-)Schriftstellern. Stevensons diesbezüglicher Meisterschüler war natürlich Jerome K. Jerome, der gleich drei Mann, dafür nur in einem Boot und auf der heimischen Themse losschickte. (Stevensons Vorbilder andererseits, ihn ihrer Verbindung von subjektivem Empfinden und objektiver Schilderung der Ereignisse um sie herum, waren vor allem Pepys und Boswell.)
Erst in einem Epilog wird Stevenson etwas ernster, wenn er schildert, mit welcher Willkür französische Beamte ihn behandeln, nur weil sie ihn für einen armen Kerl und vielleicht für einen deutschen Spion (die Reise fand 1878 statt, und der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 war noch nicht vergessen!) halten. Erst sein Reisegefährte, Sohn eines schottischen Baronets, kann ihn aus der Untersuchungshaft befreien. Hier zeigt sich bereits ein Thema, das Stevenson im Laufe der Jahre immer mehr beschäftigen wird. Und ja: Auch der Unterschied zwischen Protestantismus (vor allem seinem ursprünglich eigenen, schottischen, in dem er aufgewachsen ist, den er aber nun hinter sich zu lassen beginnt) und dem französischen Katholizismus beschäftigt ihn hier auch schon. Vor allem die Rituale des katholischen Gottesdienstes gefallen ihm fast wider Willen.
Wie heißt es so schön im Internet? Ach ja …: Wem Jerome K. Jeromes Drei Mann in einem Boot gefällt, dem wird auch das Vorbild, Robert Louis Stevensons An Inland Voyage, gefallen. (Was allerdings den Aufbau-Verlag geritten hat, der seiner 2011 erschienenen deutschen Version den Titel Das Licht der Flüsse. Eine Sommererzählung gab, wissen wohl nur deren Marketingmenschen. Licht kommt vor, das ist so weit richtig. Vor allem aber gibt es Regen – die Kanufahrt fand meist bei Regen statt, und wurde deshalb auch vorzeitig abgebrochen.)
Weil der Text doch ziemlich kurz ist, hat meine Ausgabe von An Inland Voyage (London: Folio Society, 2004) noch verschiedene andere kleinere Reise-Vignetten angehängt, die alle in Europa angesiedelt sind: Zwei Texte über die Maler-, oder besser Künstler-Kolonie, die in den 1870ern rund um Fontaineblau existierte, und als deren Mitglied (nicht als Maler, sondern als Autor) sich Stevenson eine Zeitlang fühlte und führte, zeigen uns noch einmal den Dandy aus An Inland Voyage, ohne dass wir Substantielles über die Kolonie erfahren würden – es sind vor allem Naturbeschreibungen aus der subjektiven Sicht des Autors. Eine ernstere Note schlägt Ordered South an, ein Essay über das Reisen in den Süden unter dem Schatten eines möglichen frühen Tods. (Es ist, nebenbei gesagt, ja schon fast ein kleines Wunder, was Stevenson, der schon als Kind an Tuberkulose erkrankt war, in Bezug aufs Reisen vollbracht hat – und nicht alle Reisen hat er freiwillig unternommen. Einige davon fanden auch statt, weil der Autor – wenn nicht Heilung, so doch – Linderung von seiner Krankheit suchte.) Ebenfalls unter diesem Aspekt steht der letzte Text meiner Ausgabe, eine kurze Schilderung seines Aufenthaltes in Davos, wo er sich – er war im Winter dort – eigentlich nur zwischen Bergen und Schnee eingesperrt fühlte.
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