Nikola Doll (Hrsg.): Museen in der Verantwortung. Positionen im Umgang mit Raubkunst

Auf giftgrünem Hintergrund ragt von links unten ein altomodisch verzierter Bilderrahmen aus Holz ins Bild. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Einige, geneigtes Publikum, mögen sich noch erinnern, dass ich vor etwas mehr als zwei Monaten die 1. Bodensee Buchmesse besucht und anschließend über meinen Besuch berichtet habe. Am Ende meines Berichts habe ich vermerkt, dass ich dort auch zwei Bücher gekauft hatte, über deren Lektüre ich bei Gelegenheit hier berichten würde. Nun ist es so weit. Ich werde heute hier das zweite Buch vorstellen (das ich, um genau zu sein, aber als erstes gekauft habe damals).

Das Thema der vorliegenden Aufsatzsammlung wird seit ein paar Jahren in der Schweizer Presse immer wieder erwähnt, genauer in dem (unterdessen winzigen) Teil von deren (als ganzes auch immer winziger werdenden) Feuilleton, der noch der bildenden Kunst gewidmet ist – meist versehen mit dem Schlagwort Raubkunst, das wohl auch deswegen den Untertitel dieses Buchs ziert.

Raubkunst, das sind Kunstwerke, die deren rechtmäßigem Eigentümer:innen in irgendeiner Form geraubt wurden. Das Wort Raubkunst klingt kurz und knackig; ich halte es persönlich aber für problematisch. Es suggeriert eine Form von physischer Gewaltausübung – die oft, aber eben nicht immer, stattgefunden hat. Grob gesagt, werden zwei Phänomene unter diesen Begriff subsumiert. Da sind auf der einen Seite die vielen (meist jüdischen) Flüchtlinge aus dem Dritten Reich und deren Kunstsammlungen, die entweder direkt von den Nazi-Schergen aufgelöst wurden (Stichwort: „entartete“, also meist expressionistische Kunst, aber auch die französischen Impressionisten, denn die waren wertvoll) oder dann von den Geflüchteten verkauft werden mussten, weil sie nur so ihren Lebensunterhalt oder ihre Flucht bezahlen konnten. Dieser Aspekt nimmt den großen Teil dieses Buchs ein. Ich komme gleich auf den Grund dafür. Der andere Aspekt von Raubkunst betrifft (archäologische) Artefakte, die man – meist in kolonialem Zusammenhang – aus ihren Ursprungsländern abtransportierte und die heute in diversen Museen der ersten Welt ausgestellt werden.

In beiden Fällen ist es so, dass im 21. Jahrhundert immer mehr rechtmäßige Besitzer:innen, bzw. deren Rechtsnachfolge, Anspruch erheben auf eine Rückgabe der gestohlenen Werke (= Restitution). Das vorliegende Buch enthält nicht ganz 20 Aufsätze von Spezialist:innen zu diesem Thema. Unter den Verfasser:innen befinden sich Kunsthistoriker:innen, Jurist:innen mit Spezialisierung auf Raubkunst, Mediator:innen u.ä. Sie alle beschreiben verschiedene Facetten des Umgangs mit Raubkunst, sei es der aktuelle Umgang damit oder der wünschenswerte. Das Schwergewicht liegt dabei auf dem Vorgehen von Schweizer Behörden und Institutionen wie Kunstmuseen und privaten Kunstsammlungen im Zusammenhang mit jenen Kunstwerken, die in der Weimarer Republik noch Bestandteil jüdischer Sammlungen waren. Der Grund dafür ist einfach: Die Herausgeberin ist Verantwortliche des Bereichs Raubkunst im Schweizer Bundesamt für Kultur; die meisten Autor:innen leben und arbeiten ebenfalls in der Schweiz; auch der Rotpunkt-Verlag, in dem diese Aufsatzsammlung dieses Jahr (2024) erschienen ist, ist ein Schweizer Verlag. Nun hatten die Schweiz und Schweizer Institutionen relativ beschränkten Zugang zu kolonialen Artefakten, weshalb dieser Aspekt von Raubkunst im Buch eine untergeordnete Rolle spielt. Er wird nicht ganz bei Seite gelassen – das Stichwort ist hier die Rückgabe der so genannten Benin-Bronzen aus den deutschen Museen. Ebenso wird auch der Umgang mit der NS-Raubkunst in der BRD kurz vorgestellt. (Was auch mein ein bisschen zu sehr auf Schweizer Verhältnisse fokussiertes Bild der Raubkunst korrigiert hat, das ich im Zusammenhang mit dem fiktiven Fall von Raubkunst in der BRD in Ruth Weiss’ Roman Miss Moores Geburtstag entwickelt hatte.)

Unter den Aufsätzen sind auch vier so genannte Fallstudien, d.h., kurze biografische Abrisse von Lebensläufen jüdischer Flüchtlinge aus dem Dritten Reich. Diese schildern stellvertretend für alle die Zwänge, unter denen jüdische Familien damals standen, als sie versuchten, ins Exil zu gehen. Oft waren ihre Sammlungen und ihr Vermögen bereits von den Nazis beschlagnahmt – völlig legal, wenn man nur den Maßstab der aktuellen deutschen Gesetzgebung anlegte, was gern vergessen geht. Manchen war es aber gelungen, mindestens einen Teil davon ins Ausland zu transferieren – meistens in die Schweiz, weil die relativ nahe lag und dort keine Nazis herrschten. Allerdings legten sowohl deutsche wie Schweizer Behörden diesen Flüchtlingen jede Menge Steine in den Weg. Nicht nur erhielten Menschen mit dem roten J im Pass (den die Schweizer Behörden eingefordert hatten!) keine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz, auch Eigentumsnachweise und / oder Geldtransfer wurde mit schikanösen Auflagen versehen. Meist waren diese Familien deshalb nun mittellos und mussten, was sie noch besaßen, so schnell wie möglich verkaufen, um weiterreisen zu können.

Ende des 20. Jahrhunderts würde eine Schweizer Experten-Kommission, gebildet aus Historiker:innen, dafür den Begriff des Fluchtguts prägen. Was als Hilfskonstruktion für die Geschichtsschreibung gedacht war, wurde von der Schweizer Regierung dankbar aufgenommen und ins Gesetz geschrieben, womit nun ein legaler Unterschied bestand zwischen eigentlich geraubter Kunst und ‚freiwillig‘ verkauften Kunstwerken. Eine Restitution von letzteren war denn auch nicht vorgesehen.

Dann kam aber 1998 die so genannte Washingtoner Erklärung. (Ich verweise der Einfachheit halber auf die zugehörige Seite von Wikipedia, wo auch kurz die nicht unwichtigen Nachfolgekonferenzen und Best Practices aufgeführt sind.) Damit gab es plötzlich ‚offizielle‘ internationale Dokumente. Die Schweiz gehört zu den Unterzeichner-Staaten. Das Ganze wird auch im vorliegenden Buch aus verschiedenen Perspektiven und viel ausführlicher als in Wikipedia beschrieben. Das Problem der Washingtoner Erklärung ist, dass sie „soft law“ darstellt, also nicht bindend ist. Die darin eingegangenen Verpflichtungen sind, wo sie nicht in lokale bindende Gesetzgebung übernommen wird, nur moralisch-ethisch verpflichtend. Hier hinkt die Schweiz als Staat weit hinterher.

Das führt dazu, dass aktuell in der Schweiz ein Flickenteppich an Vorgehensweisen existiert. Hat das Kunstmuseum Bern nach der Übernahme der Sammlung Gurlitt bei seiner Provenienzforschung die weitest mögliche Bedeutung von Raubkunst angewendet, so hat das Kunstmuseen Zürich bei seiner Ausstellung von Werken aus der Sammlung des Industriellen und Waffenherstellers Bührle ursprünglich einen bedeutend engeren Begriff verwendet und Fluchtgut de facto nicht ausgewiesen. Erst lautstarker Protest aus kunstinteressierten Kreisen erzielte ein leises Umdenken, aber noch heute wird kritisiert, dass bei problematischen Ausstellungstücken immer noch der Sammler Bührle im Zentrum steht und nicht dessen jüdische Vorgänger in der Weimarer Republik. Ergo: Es besteht noch immer Potential zur Verbesserung.

Alles in allem ein sehr interessantes Buch und allen Kunstinteressierten – zumindest den irgendwie mit der Schweiz verknüpften – nur zu empfehlen.

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