Heinrich Laube: Reise durch das Biedermeier

Biedermeier, Junges Deutschland, Vormärz sind alles Bezeichnungen für die Zeit der Restauration, der (versuchten) Wiederherstellung der alten, absolutistischen Weltordnung (zumindest in den mehrheitlich deutschsprachigen Ländern) nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Reichs. Dabei ist „Biedermeier“ der Blick auf diese Zeit aus der Sicht des größeren Teils der deutschen Bevölkerung – eines Teils, der es sich, so gut es ging, in der neuen alten Zeit bequem gemacht hatte, sich vor Politik und Polizei duckte (sofern er nicht selber daran partizipierte) und ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein ließ. „Junges Deutschland“ oder „Vormärz“ ist dieselbe Epoche aus der Sicht jener, die mit dieser Zeit nicht zufrieden waren, die literarisch oder politisch agitierten – bis es dann auch (eben im März 1848) zum Eklat kam.

Wenn im Titel dieses Buchs Laube das Biedermeier schildert, suggeriert der Herausgeber damit, dass er den durchschnittlichen Bürger seiner Zeit und dessen Leben darstelle. Ob dem im Original tatsächlich so ist, kann ich nicht sagen, weil ich es nicht gelesen habe. Denn die Reise durch das Biedermeier stellt einen Zusammenschnitt dar aus verschiedenen Bänden von so genannten Reisenovellen, die Laube über ein paar Jahre erstellte. Diese Reisenovellen beruhten zwar auf tatsächlich für den Text ausgeführten Reisen durch den deutschen Sprachraum; aber für meine Ausgabe wurde der literarisch-novellistische Teil heraus gekürzt und nur der Rahmen, die Schilderung von Land und Leuten, stehen gelassen. Die Reihenfolge der besuchten Städte und Landschaften wurde so geordnet, dass in etwa eine sinnvolle Reiseroute entstand.

Wenn wir nun diese Fassung lesen, fällt auf, dass Laube mit dem Ton beginnt, der genau dem der jungen Heine oder Börne entspricht. (Seltsamerweise sind es genau diese beiden, die Laube im Lauf der Erzählung nie nennt, während ansonsten praktisch alle noch Lebenden und auch ein paar Tote, Gutzkow und andere Zeitgenossen, als Reisegefährten oder besuchte Personen, in vollem Umfang figurieren.) Zu Beginn des Textes fällt auf, dass Laube sein erzählendes Ich sich nach jedem halbwegs hübschen weiblichen Wesen umsehen lässt, auch schon ein Streicheln der Hände oder gar einen flüchtigen Kuss zu erobern sucht. Mit dem weiteren Verlauf der ‚Reise‘ fällt das praktisch dahin. Einerseits ist mir das Verhalten eines rolligen Katers im ersten Teil doch etwas auf die Nerven gegangen; andererseits aber muss ich gestehen, dass der zweite Teil ohne dieses Benehmen nun jeden größeren Interesses entbehrte. Laube reist zu ungefähr derselben Zeit und zum Teil in genau denselben Gegenden wie Frances Trollope. Auch sie konnte kaum beobachten oder eine Landschaft schildern. Aber Laube kann es noch viel weniger. Wien zum Beispiel besteht für ihn offenbar aus ein paar Häuserzeilen, ein paar Gerüchten um das Verhältnis der Wiener / Österreicher zum ehemaligen König von Rom und zu Napoléon bzw. Metternich. So geht es überall. Laube trifft jede Menge berühmte oder auch nur bekannte Literaten. Er schildert bestenfalls deren Äußeres ganz kurz und lässt dann mehr oder weniger interessante Anekdoten aus ihrem Leben folgen. Die ganze deutsche Klassik lässt er so auftreten, inklusive Frau von Goethe und Frau von Schiller (alle in Jena!), die Frühromantik (ebenfalls in Jena), die Spätromantik (in Berlin). Man erfährt wenig oder nichts über Landschaft und Leute im Allgemeinen; aber auch über die näher geschilderten Personen erfährt man wenig. (Besuchte Orte bzw. Personen entnehme man bitte dem Stichwortverzeichnis. Im Buch kommen noch mehr, ich habe versucht die wichtigsten heraus zu filtrieren.)

Laube wurde später als Theaterdirektor in Wien und Leipzig berühmt. So darf es nicht verwundern, wenn er auch hier schon des öfteren Aufführungen, Schauspieler und Schauspielerinnen vorstellt. Aber auch hier erfährt man wenig Substanzielles. Laubes Nachruhm als Theaterdirektor reichte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Als Schriftsteller aus der zweiten oder dritten Garde des Jungen Deutschland – Festungshaft her oder hin – brauchen wir ihn aber heute nicht mehr zu lesen. Jedenfalls nicht in seinen ‚biedermeierlichen‘ Schriften. (Wobei ich ihm zu Gute halten will, dass meine Ausgabe das Original wohl ziemlich verfälscht hat, und dass sein Text nie als reiner Reisebericht gedacht war.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert