Robert A. Heinlein: Stranger in a Strange Land [Fremder in einer fremden Welt]

Mit diesem Roman schaffte Heinlein den Sprung aus dem Bezirk der reinen Science-Fiction-Literatur in den so genannten Mainstream. Er war bereits ein sehr bekannter Mann in der Science-Fiction-Community, vor allem in den USA natürlich. Nun nahmen ihn auch Nicht-Science-Fiction-Leser wahr. Das alles geschah aber keineswegs plötzlich – im Gegenteil: Im ersten Jahr seiner Existenz verkaufte sich der Roman gerade mal in 600 Exemplaren (und das auf dem immensen US-amerikanischen Buchmarkt), und nach zwei Jahren hatte er auch nur 2’500 verkaufte Exemplare aufzuweisen. Das Science-Fiction-Stammpublikum hatte (zu Recht!) das Gefühl, dass man es hier nicht mit ‘purer’, ‘echter’ Science Fiction zu tun hatte. Tatsächlich sind die Science-Fiction-Elemente der Geschichte einigermaßen spärlich verteilt.

Der Roman spielt zwar in einer unbestimmten Zukunft. Es hat ein Dritter Weltkrieg stattgefunden; als dessen Folge hat die UNO (bzw. deren Nachfolgeorganisation) die politische Oberherrschaft auf der Erde übernommen. Die Einzelstaaten existieren zwar noch, sind aber in jeder Beziehung der Weltorganisation untergeordnet. Noch vor dem Dritten Weltkrieg war eine Expedition der USA zum Mars gestartet. 25 Jahre und einen Weltkrieg später startet eine neue Expedition, um herauszufinden, was mit den alten geschehen ist, von der man nie mehr gehört hat. Die zweite Expedition entdeckt nicht nur, dass die Marskanäle künstlichen Ursprungs sind, sondern auch den einzigen Überlebenden der Expedition – genauer gesagt den Sohn zweier Teilnehmer derselben, der auf dem Mars zur Welt gekommen ist. Da seine Eltern schon kurz nach seiner Geburt starben, wurde er von den Bewohnern des Planeten Mars aufgezogen. Das ist ungefähr das am meisten an klassische Science Fiction erinnernde Stück des Romans, und das ist nur die Einführung. Daneben finden wir fliegende und automatisch gesteuerte „Automobile“, und Fernsehapparate, die Stereo-Bilder liefern. Damit haben wir so ziemlich alle Science-Fiction-Elemente des Romans aufgezählt – schon das Fernsehprogramm scheint sich nicht von dem zu unterscheiden, was bereits in den 1960ern in den USA gang und gäbe war.

Der Rest ist im weitesten Sinn weltanschaulich zu nennen. Heinlein liefert in Stranger in a Strange Land seine Vision der Entwicklung der USA – eine ziemlich dystopische Vision. Bestechung, Mord und Totschlag oder Lynchjustiz sind an der Tagesordnung in dieser Welt. Am schlimmsten sind die Kirchen, die jeden Tag neu aus dem Sand poppen.

Man wird mir nun vielleicht sagen, dass Valentine Michael Smith, der Marsmensch im eigentlichen Sinn des Worts (weil er zwar biologisch ein Mensch ist, in Sprache und Denken aber marsianischen Gepflogenheiten folgt), doch über einige typische Fähigkeiten verfügt, wie sie in den 1960ern häufig in Science Fiction zu finden ist. Vor allem auch jener Science Fiction der Pulp-Zeitschriften – und es ist natürlich korrekt, dass Heinlein in vielem noch den Gepflogenheiten folgt, die er sich im Laufe seiner Arbeit vor allem für Astounding Science Fiction von John W. Campbell angeeignet hat. Telepathie und Telekinese, rigorose Kontrolle über den eigenen Körper ebenso wie über den eigenen Geist: Das ist tatsächlich (auch) ein häufiges Motiv der Science Fiction jener Zeit. Aber diese geistige Disziplin ist im Grunde genommen ein Spiegelbild der Technik der Dianetik (später: Scientology) von Heinleins Freund L. Ron Hubbard (seinerseits, bevor er seine Pseudo-Religion und Pseudo-Wissenschaft erfand, ebenfalls Science-Fiction-Autor im Dunstkreis von Astounding Science Fiction). Und ob die sehr religionskritisch wirkende Darstellung der Kirche der Fosterites bzw. später dann der von Smith gegründeten Kirche eine Kritik an Hubbard, eigentliche Dystopie oder nur eine Warnung an seinen Freund sein sollte, wird sich wohl nie klären lassen.

In der Annahme, die Geistesdisziplin des Marsmenschen sei ein Echo der eigenen (vulgär-)buddhistischen Anschauungen, die sich unter den US-amerikanischen Hippies der 1960er herauszubilden begann, irrten diese als ebenso fundamental, wie genau dieser Irrtum in hohem Maß dazu beitrug, Heinlein außerhalb der Science-Fiction-Community bekannt zu machen. (Was ihn selber übrigens sehr irritierte.) Umgekehrt verdankt die Entstehung einer polyamoren Subkultur in den USA entsprechenden Darstellungen Heinleins wohl tatsächlich sehr viel.

Im Übrigen ist es immer interessant, feststellen zu können, dass sich in den 1960ern auch Romane, die wir eher der Trivialliteratur zurechnen würden, zumindest in den USA durchaus auch an ‘Hochgebirgsliteratur’ orientieren. Die Keimzelle des Romans ist ganz bewusst von Kiplings Jungle Books entlehnt, wo Mowgli von Wölfen erzogen wird, aber zurück zu den Menschen geht. Die Sprache der Priester jener seltsamen Kirchen wiederum ist in bewusster Anlehnung entstanden an den Slang der Automobilverkäufer, wie ihn Sinclair Lewis oder John Dos Passos in ihren Büchern geschildert haben. Dass eine völlig andere Sprache (wie die der Marsbewohner) ein völlig anderes Denken zur Folge hat, ist eine Auslegung der damals gerade virulenten Sapir-Whorf-Hypothese (von Heinlein m.W. nirgends ausgewiesen). Valentine Michael Smith wiederum erinnert in vielen Zügen an die Supermänner von Ayn Rand – der Prophetin des Libertarismus, dem ja auch Heinlein anhing. Auch sonst finden sich viele Spuren literarischer Bildung. Zum Thema ‘Mars’ wird natürlich auf H. G. Wells verwiesen; aber manchmal ist es auch nur ein Hinweis auf Shakespeare, den der Marsmensch liest bei seinem Versuch, zu einem normalen Erdenmenschen zu werden, und dessen Romeo und Julia er zunächst für einen Tatsachenbericht hält. Nicht alles hat Heinlein wohl auch selber gelesen; eine Bemerkung, die über Kant gefällt wird, erinnert eher an das Urteil eines Dritten, der Kant nicht ganz verstanden hat – ein Urteil, das Heinlein, bzw. einer seiner Protagonisten, wiederholt, ohne wahrscheinlich den unbekannten Dritten ganz richtig verstanden zu haben. Ähnliches gilt für Nietzsches Theorie des Dionysischen und Apollinischen (Nietzsche selber wird allerdings nicht erwähnt, so wenig wie Sapir oder Whorf). Casanova, Machen, Swift oder Pepys sind für die Protagonisten des Romans Haushaltsnamen und werden beiläufig erwähnt. Ebenso H. C. Andersen (bzw. sein Märchen von der Meerjungfrau), der (bzw. dessen Märchen) Teil sind eines Versuchs einer Kunsttheorie, den einer der Protagonisten unternimmt. Über den Titel seines berühmtesten Werks (Anatomy of Melancholy) bzw. über das Hauptmotiv seines berühmtesten Gedichts (der um den Hals gehängte Albatros) werden Robert Burton und Coleridge ins Spiel gebracht. Last but not least der Titel – im Englischen ist es ein Zitat aus dem 2. Buch Mose, Vers 22 der King James Bible, in dem es um die Flucht Moses aus Ägypten geht. Im Original lautet es: I have been a stranger in a strange land, was in meiner Zwingli-Übersetzung wie folgt wiedergegeben wird: Als Fremder wurde ich aufgenommen in einem fremden Land. (Gleichzeitig handelt es sich aber auch – vor allem beim Adjektiv – um ein unübersetzbares Wortspiel, heißt doch strange auf Deutsch nicht nur „fremd“, sondern auch „seltsam“ oder „merkwürdig“, und beides trifft auf die USA, in die Valentine Michael Smith versetzt wird, genau so gut zu.)

Ich hatte den Roman vor Jahren schon einmal in der gekürzten Version gelesen, die in den 1960ern erscheinen musste, weil einerseits die Langversion zu viele sexuell bedenkliche Anspielungen enthielt, andererseits dem Leser damals keine langen Science-Fiction-Romane zugemutet werden konnten (jedenfalls dachten die Verlage so). Jetzt habe ich das Erscheinen der Langversion bei der Folio Society zum Anlass genommen, das Buch wieder zu lesen. Leider ist mein Exemplar mit der Kurzversion in der Zwischenzeit verschwunden, so dass ich keine Vergleiche anstellen kann. Ich denke, dass vor allem die ersten zwei Drittel des Textes so ziemlich identisch sind. Das ist auch der eigentlich spannende Teil, in dem eine Geschichte um Mord und Totschlag voran getrieben wird, bevor dann gegen Ende der weltanschauliche Ton mehr und mehr überhand nimmt.

In der Schilderung der technischen Entwicklung ist das Buch größtenteils veraltet. In der Schilderung der möglichen Entwicklung der (westlichen) Gesellschaft in vielem aber immer noch eine beklemmende Dystopie. Als Roman misslungen, da Heinlein zu viel wollte (aber das ist auch Musil passiert). Für Fans des späten Heinlein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert