Robert Louis Stevenson: In the South Seas [In der Südsee]

Zeichnung: Auf blauem Hintergrund vorne zwei dunkle Gestalten in einem Auslegerboot auf dem Meer, rechts davon angedeuten der Sandstrand, darin ein paar Palmen (im Ausschnitt sieht man nur die Stämme) und als Hintergrund der Palmen kleine grüne Hügel. Links von den Hügeln ein Strich als Horizont, auf diesem Horizont ein Segelschiff (Zweimaster) vor Anker.

Untertitel: Being an account of experiences and observations in the Marquesas, Paumotus and Gilbert Islands in the course of two cruises, on the yacht Casco (1888) and the schooner Equator (1889). Erstmals erschienen 1890, vor mir liegt eine Ausgabe der Folio Society von 2004, mit Illustrationen von Nick Hardcastle.


Abgesehen von Stippvisiten in Australien und Neu Seeland verbrachte Stevenson die letzten Jahre seines Lebens auf diversen Inseln und Atollen der Südsee. Dies, weil er der Meinung war und auch die Erfahrung gemacht hatte, dass das dortige Klima seine Krankheit (Tuberkulose) zwar wohl nicht heilte, aber die damit verbundenen Beschwerden linderte. (Er starb dennoch jung, mit 44 Jahren – allerdings an einer Hirnblutung. Ob das eine mit dem anderen in ursächlichem Zusammenhang stand oder stehen könnte, entzieht sich meiner Kenntnis.) Alles in allem unternahm Stevenson drei Reisen in der Südsee, die beiden im vorliegenden Buch beschriebenen und dann noch eine dritte, auf der Janet Nicoll. Er wollte eigentlich darüber ein weiteres Buch veröffentlichen, kam aber nicht mehr dazu. Erst 1914 erschien Fannys Tagebuch A Cruise of the Janet Nicol [sic!], nunmehr auch nach ihrem Tod. Die Stevensons aber ließen sich am Ende dieser dritten Reise endgültig auf Samoa nieder.

In the South Seas stellt eine Mischung dar aus eigentlichem Reisebericht und (politischem) Essay. Stevenson präsentiert nicht einfach die landschaftlichen Schönheiten – das tut er zwar auch, und sogar sehr gut –; er präsentiert nicht nur die aus der Sicht eines viktorianischen Briten oft bizarren, ja abstoßenden Sitten der Einheimischen – als äußerst abstoßend empfindet er vor allem die noch immer unterschwellig existierende Sitte des „Kannibalismus“, wie er sich ausdrückt –; er präsentiert nicht nur mehr oder weniger außergewöhnliche Exemplare der einheimischen Bevölkerung – auch das kommt häufig vor (und er weiß, wie Anekdoten zu erzählen sind!): Er studiert und analysiert auch immer das Verhältnis der Einheimischen untereinander und zu den Weißen. Er vergleicht, was er auf den Südsee-Inseln vorfindet mit den Ereignissen in seiner Heimat Schottland, wo vor gar nicht so langer Zeit alte und einigermaßen funktionierende Clan-Strukturen von externen Mächten (den Engländern in diesem Fall) zerstört wurden, indem die Clan-Rivalitäten angestachelt und größere oder kleinere Bürgerkriege generiert wurden, bis die Wehrhaftigkeit des Landes erschöpft war. In der Südsee sind es die Briten und Franzosen, die die Clans vereinnahmen und sie Stellvertreter-Kriege führen lassen, was Stevenson schon im vorliegenden Werk anprangert.

Dabei ist der Schotte auch ein guter Beobachter und bildet sich in jedem Fall seine eigene Meinung. Anders als Gerstäcker ein halbes Jahrhundert früher auf Tahiti, der die Missionierung der (französischen) katholischen Kirche anprangert, lobt Stevenson den Einfluss dieser Kirche. Genau betrachtet ist es allerdings nur der Einfluss eines einzigen, bei Stevensons Besuch bereits gestorbenen Bischofs gewesen, der offenbar mit sehr viel gesundem Menschenverstand nicht nur seine Diözese regierte, sondern auch die weltliche Macht über ein paar Inseln inne hatte. Stevenson gibt zu, dass er nichts gegen eine Administration dieser Inseln durch kirchliche Herrscher hätte, den weltlichen Bürokraten Frankreichs gegenüber aber kein Vertrauen empfinde.

Doch bei all diesem ist nicht abzuleugnen, dass auch Stevenson letzten Endes der weiße Viktorianer blieb, der sich gegenüber den Indigenen durchaus im Recht fühlte, wenn er zum Beispiel verlangte, dass der Brunnen vor seinem Haus vom herrschenden Häuptling für „tabu“ erklärt werden solle, damit die Dorfbewohner nicht mehr darin baden dürften, weil sie ihm das Trinkwasser verschmutzten.

Last but not least sind noch die Geschichten zu erwähnen, die Stevenson erzählt werden und die er in seinem Bericht nacherzählt – Geschichten von Toten, die zurückkommen, im Fleisch, aber bereits verwesend. Stevenson vergleicht diese Untoten mit Vampiren; wir würden heute wohl eher von „Zombies“ sprechen. Diese Geschichten weisen bereits in der simplen Nacherzählung einen hohen Gruselfaktor auf; sie sollten die Grundlage werden von etlichen kurzen Schauergeschichten, die Stevenson als seine letzten vollendeten Werke noch veröffentlichen konnte.

Es lohnt sich also, diesen Reisebericht zu lesen. Er wird zwar selbst im Englischen stiefmütterlich behandelt; im Deutschen gibt es offenbar seit diesem Jahr einige elektronische Reproduktionen bzw. Lesungen einer Übersetzung von 1947, ich wage aber deren Qualität anzuzweifeln. Englische Ausgaben sollten aber greifbar sein.

1 Reply to “Robert Louis Stevenson: In the South Seas [In der Südsee]”

  1. Ich habe hier einen hübschen Band „In der Südsee“, Verlag Neues Leben, Berlin 1972, demnach als Geschenk der Ost-Verwandtschaft erworben, der enthält die Erzählungen „Der Strand von Falesa, Der Flaschenteufel, Die Insel der Stimmen“ sowie den „leicht gekürzten“ Reisebericht. Die farbigen Illustrationen sind offensichtlich von Gauguin inspiriert und stimmig (von Wolfgang Würfel, „einem der produktivsten Buchgraphiker der DDR“, Wikipedia ist dein Freund und Helfer), auch Papier und Druck sind vorzüglich. „Ins Deutsche übertragen von Günter Löffler“, insbesondere der rauhbeinige Ton des erzählenden Händlers in der ersten Geschichte wirkt sehr gut getroffen. (Auch den Übersetzer kennt Wikipedia, wobei mir jedoch die Auskunft „In einem Kriegsgefangenenlager in den Vereinigten Staaten hatte er die Möglichkeit, seine Sprachkenntnisse in Englisch und Russisch zu vertiefen“ nicht unmittelbar einleuchtet, was das Russische betrifft.)

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