Erich Mühsam: Das seid Ihr Hunde wert!

Mit Bleistift gezeichnetes "Selbstporträt" von Erich Mühsam: Wild zu Berge stehende Haare, Brille. Schwarz auf braunem Karton gedruckt. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

„Träumer“ nannte Volker Weidermann in seinem gleichnamigen Buch (das wir hier vorgestellt haben) jene Handvoll Männer, allesamt Künstler und Anarchisten, die sich im Frühling 1919 an die Spitze des Freistaats Bayern stellten. „Träumer“, weil keiner von ihnen vorher irgendein politisches Amt inne gehabt hatte. „Träumer“, weil sie in Bayern das anarchistische Ideal einer Räterepublik verwirklichen wollten. Der Traum hielt nicht lange an; schon nach wenigen Tagen übernahmen die Kommunisten die Macht. Dies, und auch das Vorgehen der SPD-Spitze gegen die Räterepublik, zeigten schon damals die fatale Tendenz der Linken, sich in Positions- und Richtungskämpfen selber zu eliminieren, womit sie es Leuten wie Hitler oder Franco erst ermöglichten, an die Macht zu kommen.

Einer dieser „Träumer“ war Erich Mühsam. Ich hatte bisher noch nichts von ihm gelesen und deshalb zugegriffen, als die Büchergilde dieses Jahr (Frühling 2023) die vorliegende Auswahl-Ausgabe in Lizenz veröffentlichte. (Das Original ist 2014 im Verbrecher Verlag in Berlin erschienen.) Es enthält chronologisch geordnet Texte Mühsams aus den Jahren 1901 bis 1934. Darunter sind literarische Texte (Lyrik, Kabarett), Essays und politische Pamphlete sowie Auszüge aus Mühsams Autobiografie Unpolitische Erinnerungen, seinen Briefen und Tagebüchern. Ergänzend fanden auch Verhörprotokolle und Schilderungen seiner Frau Zenzerl Eingang, dies vor allem natürlich in seinen letzten Jahren, als es ihm nicht mehr möglich war, selber zu schreiben. Ausgewählt, zusammengestellt und herausgegeben wurde dieses Lesebuch (so der Untertitel) von Markus Liske und Manja Präkels. Die Auswahlausgabe soll, so ihr erklärtes Ziel, eine Art (diesmal eben auch politische und / oder intellektuelle) Autobiografie bilden.

Mühsam stand schon früh quer in der politischen Landschaft. Wegen seiner Aufsässigkeit musste er das Gymnasium in Lübeck verlassen, um dann in Mecklenburg die Mittlere Reife zu absolvieren. Danach treffen wir ihn in der Bohème zunächst Berlins, dann Münchens. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs werden die Proteste des Pazifisten Mühsam immer direkter, seine frühere satirische Ader scheint zu vertrocknen. (Diese Schilderung von Mühsams Entwicklung entspricht natürlich dem Bild, das Liske und Präkels von ihm zeichnen; ich habe, wie gesagt, keine anderen Texte von ihm gelesen, obwohl verschiedene ‚große‘ Werk- und Gesamtausgaben existieren – auch der Tagebücher.)

War Mühsam ein „Träumer“? Ein politischer Denker war er jedenfalls nicht. Wo er sich zum Anarchismus äußert, bleibt er – obwohl er Proudhon zitiert, Kropotkin oder Bakunin – sehr unpräzise. Politisch gesehen, ist er ein Bauchmensch – nicht im Sinne eines Genussmenschen, sondern eines, der viele Entscheidungen aus dem Bauch heraus fällt, wie man so schön sagt. Immerhin hat ihm sein Bauch offenbar sehr deutlich das für kurze Zeit in Bayern existierende Machtvakuum aufgezeigt, in das vorzustoßen die Münchner Anarchisten versuchten. Danach aber konnte ihm sein Bauch nicht mehr weiterhelfen.

Kein großer Literat, kein außergewöhnlicher politischer Denker. Aber es ist die Stimme eines kleinen Mannes, der versucht, gehört zu werden, und eines der frühen Opfer des Nationalsozialismus, der ihm seine verbalen Ausfälle gegen Hitler nicht verzeihen konnte. Insofern bemerkens- und lesenswert.

PS. Der Titel ist eine Zeile aus einem satirischen Gedicht, in dem sich das lyrische Ich vorstellt, es werde zu Geld kommen, um dann – wie von so vielen Angreifern formuliert: „Du bist nur neidisch, wenn du selber reich wärest, würdest du auch …“ – sich im selben Ton wie alle andern an die Unterdrückten zu wenden.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 2

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