Johann Gottfried Herder: Briefe. Siebenter Band. Januar 1793-Dezember 1798

Auf zwei Zeilen, etwas rechts von der Mitte, dunkelbraun auf beige, stehen die Worte: "JOHANN GOTTFRIED // HERDER". - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Band 7 von Herders Briefen umfasst für einmal Tag-genau die Jahre 1793 bis 1798, weshalb wir denn dieses Aperçu zu Band 7 auch Tag-genau am 1. Januar 2025 platziert haben. Was Herder vor 232 Jahren, am 1. Januar 1793, gemacht hat, erfahren wir aus den vorliegenden Briefen zwar nicht (der erste stammt vom 3. Januar und betrifft Amtliches), aber ich halte dieses plötzliche Einhalten ganzer Jahre für Zufall, denn ich werde den Eindruck nicht los, dass die Begrenzungen der einzelnen Bände sich nicht nur am Umfang ausrichten sondern durchaus auch Lebensabschnitte Herders eingrenzen. so verändert sich zum Beispiel in den vorliegenden sechs Jahren Herder zwar äußerlich wenig oder nichts, aber im Hintergrund doch einiges – und nicht alles zum Besseren.

Im Privaten ist es zunächst einmal die Zeit, in der seine drei ältesten Söhne die Schule abschließen und eine Ausbildung beginnen. Dazu verlassen sie zumindest zeitweise das Elternhaus und wir finden denn auch viele väterliche Briefe mit Ermahnungen und Ratschlägen. Wir finden aber auch – nicht gegenüber den Söhnen selbstverständlich – Klagen über die Kosten der Ausbildung. Wie jeder Briefband enthält auch dieser hier einen Anhang mit Briefen, die nur Caroline geschrieben hat. Dieses Mal finden wir sehr viele darunter, die sie – wie sie den Adressaten auch mitteilt – ohne Wissen ihres Mannes geschrieben hat. Sie sind auf ihre Weise sehr berührend, denn Caroline – mehr noch als ihr Mann – wehrt sich gegen die Behandlung der Familie durch den Herzog. Sie schreibt nicht nur an ihn sondern auch an Goethe, an die Herzogin Luise und an Anna Amalia. Es geht immer um dasselbe: Als Herder beschloss, nunmehr in Weimar zu bleiben, dann auch darum, weil der Herzog ihm – so jedenfalls sehen es die Herders – versprochen hat, sich mit beträchtlichen Summen an der Ausbildung der Söhne zu beteiligen. Dieses Geld aber traf nicht ein. Caroline hat zumindest teilweise Erfolg mit ihren Briefen, aber Herders Wohlbefinden in Weimar wird durch diese Auseinandersetzung doch stark in Mitleidenschaft gezogen. Ich will nicht behaupten, dass seine häufigen und teilweise schweren Erkrankungen darauf zurück zu führen sind, aber besser machen diese Streitigkeiten seine Lage kaum.

Dass ihn, der bisher Ziele und Vorgehen der Französischen Revolution befürwortete, die von der französischen Nationalversammlung in die Wege geleitete Hinrichtung von Ludwig XVI. zu deren Gegner machte, war zwar typisch für die meisten deutschen Intellektuellen der Zeit (auch Schiller wendete sich in diesem Moment von der Revolution ab), aber das Vorgehen der Revolutionäre stellt natürlich eine herbe Enttäuschung für ihn dar.

Am belastendsten war aber, vermute ich, dass er in der schönen Literatur den Anschluss verlor. Während Schiller aus seinem philosophischen Schlummer wieder in vollem Elan zum Dichter erwachte und mit seinen Zeitschriften (allen voran die legendär gewordenen Horen) Furore machte, ja mit seiner neu gewonnen Energie auch Goethe mitriss, blieb Herder stecken. Wohl brachte er für den ersten Jahrgang der Horen noch einiges ein, aber dann versiegte seine poetische Ader, wie er in mehreren Briefen an Schiller beklagte. (Dass er die sich rasch vergrößernde Diskrepanz zwischen ursprünglichem Anspruch der Horen und der einsetzenden Realität sehr wohl sah, zeigt die Tatsache, dass er einen ersten Schub Gedichte, den ihm Friederike Brun für die Horen zuschickte, an Wieland sendete für dessen Merkur, in dem sie, wie er der Autorin erklärte, besser aufgehoben seien. Wie Brun ihm aber später noch einmal Gedichte zur Veröffentlichung schickte, empfahl er sie bereits an Schiller für die Horen …) Die Xenien nun, das leuchtende Bild der neuen Zusammenarbeit zwischen Goethe und Schiller, konnte er nur gegenüber Dritten säuerlich kommentieren. Erste Entwürfe zur Farbenlehre, die ihm Goethe präsentierte, versah er mit Kommentaren, die seinem ehemaligen Freund sehr gegen den Strich gehen mussten. (Auch wenn er, Herder, methodologisch betrachtet Recht hatte.) Zwar durfte Herder miterleben, wie Friedrich Schlegel, zunächst noch ein Mitstreiter der Klassiker, sich nicht nur gegen Schiller sondern auch gegen ihn wandte, aber unterm Strich war es doch so, dass er, der er mit seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit die später so genannte Deutsche Klassik überhaupt erst auf die Beine stellen geholfen hatte, plötzlich das dritte Rad am Wagen war.

Seine nunmehr voll erblühte Freundschaft zu Jean Paul half da auch nicht – im Gegenteil. Jean Paul wurde weder von Schiller-Goethe noch von dem sich bildenden Zirkel der Frühromantiker ernst genommen. Mit Wieland war das Verhältnis aktuell sehr freundschaftlich, aber dieser hatte literarisch schon immer sein eigenes Ding durchgezogen.

Was Herder blieb, war in gewissem Sinn der Rückzug auf Altbewährtes. Namen, die seit Jahren nicht mehr auf der Tagesordnung gestanden hatten, tauchen wieder auf. Bei Salomon Gessner gab es zugegeben einen äußeren Umstand: Gessners Sohn, der Buchhändler in Zürich, kam nach Weimar, um eine Tochter Wielands zu heiraten und es war Herder, der das Paar zusammen gab. Lavater berührte auf einer Reise in den Norden Weimar ebenfalls wieder. Man sah sich, grüßte sich, saß ein wenig zusammen und plauderte von alten Zeiten – die Physiognomie war längst vergessen, aber eine neue Freundschaft ergab sich dennoch nicht.

Sentimentalere Gefühle löste wohl eine Anfrage aus, Lessings Briefe für eine Weile haben zu dürfen, weil eine Ausgabe der Lessing’schen Briefe geplant war. Andere Freunde fragten nach Hamanns Briefen in Herders Besitz. Daneben blieb natürlich Gleim aktuell, wurden die Stolbergs wieder aktuell, aber auch mit Klopstock und Uz zwei Autoren der empfindsamen Väter-Generation.

Herder wird ‚retro‘, weil er weder Schiller-Goethe noch den Romantikern mehr folgen kann.

Alles in allem eine eher bedrückende Lektüre, die Briefe aus den Jahren 1793 bis 1798.

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