Thornton Wilder: Theophilus North

Mit starkem Weichzeichner fotografiert, von links: Grüne Pflanzenblätter (Salbei?), zwei rote Rosen (angeschnitten), ein Long Drink-Glas mit einer roten Flüssigkeit darin (angeschnitten), zwei grüne Äpfel - angeschnitten (Granny Smith?). - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Wilder habe ich damals am Gymnasium kennen gelernt, als eine auf Schulaufführungen spezialisierte Truppe für die ganze Schule Our Town (Unsere Stadt) aufführte. Natürlich hatten wir vorher das Stück im Unterricht besprochen, und wir waren ganz stolz darauf, ein (na ja: einigermassen) „modernes“ Stück gelesen, besprochen und gesehen zu haben. Denn Our Town galt damals als Speerspitze der Moderne – jedenfalls bei uns an unserem provinziellen Gymnasium. (Wobei das Stück genau die Kleinstädterei an den Pranger stellte, der wir selber ausgeliefert waren – ohne es natürlich wahrhaben zu wollen.) Ausser diesem Stück kennt man von Thornton Wilder wahrscheinlich noch Die Brücke von San Luis Rey. Das ist ein kurzer Roman über Untergang und Tod und behandelt die Frage, ob es so etwas wie ein bestrafendes Schicksal gibt.

Schwere Themen also. Theophilus North oder ein Heiliger wider Willen wirkt dagegen wie ein Leichtgewicht. 1973 als letztes Werk Wilders erschienen (die deutsche Übersetzung von Hans Sahl ein Jahr später), hat das Buch im deutschen Sprachraum nur wenig Echo ausgelöst. Im englischen Sprachraum ist immerhin 1988 ein Film nach dem Buch gedreht worden – was ich davon allerdings gesehen habe, war wenig überzeugend.

Für einmal kann man bei einem Alterswerk (Wilder starb zwei Jahre nach der Veröffentlichung, 1975, im Alter von 78 Jahren) tatsächlich von Altersmilde und Altersweisheit reden. Das Buch ist in der 1. Person geschrieben. Wilder selber sprach einmal davon als von einer Autobiografie. Tatsächlich weisen die groben biografischen Daten, die wir vom Ich-Erzähler Theophilus North erfahren, Parallelen auf zu denen Wilders. Allerdings schränkte Wilder seine Aussage insofern ein, als er von einer Art fiktiver Autobiografie redete, ein Leben, wie er es unter Umständen gelebt haben könnte – er, oder genauer sein bei der Geburt verstorbener Zwillingsbruder, der Theophilus geheissen hätte, hätte er überlebt.

Der Roman erzählt in Episoden die Erlebnisse des jungen Ex-Lehrers Theophilus North in der Hafenstadt Newport in Rhode Island. North ist ein gescheiter Mann und voller Ressourcen, was rasch dazu führt, dass er in eine Reihe verschiedenster Abenteuer verwickelt wird, bei denen er dieses oder jenes wieder zurecht rückt – vor allem in Fragen von familiären oder ehelichen Beziehungen. Er macht sich damit nicht nur beliebt, bleibt aber dabei recht heiter. Dabei wollte er zu Beginn nur eine ad hoc gebildete Theorie für sich selber beweisen. Ein zweiter Schliemann vor Troja (auf den er sich explizit bezieht), will er nachweisen, dass auch Newport aus neun verschiedenen Städten besteht – nur, dass seine Städte vor allem dadurch gebildet werden, dass verschiedene Quartiere der Stadt von unterschiedlichen sozialen Klassen bewohnt werden. Dass ihm bei seinen Abenteuern alles gelingt, er immer einen Trick kennt, könnte auf Dauer langweilen – Wilder verhindert dies, indem er seinen Ich-Erzähler mit einer gehörigen Portion Selbstironie ausstattet. Deshalb verzeiht man dem Buch auch, dass es nicht nur haarscharf am Kitsch vorbei schrammt, sondern sich auch immer wieder einmal gemütlich darin suhlt.

Buchhandlungen kennen die Kategorie „Wohlfühlbücher“, und dass dieser Roman hier nicht immer und immer wieder aufscheint und in eben dieser Kategorie verkauft wird, ist mir ein Rätsel. Immerhin: Die neueste deutsche Ausgabe stammt von 1991 (ein Fischer-Taschenbuch, letzte Auflage 2014) und ist immer noch erhältlich. Und so will ich denn, ausnahmsweise, den Werbetext des Verlags noch hier einrücken, denn besser kann ich es auch nicht ausdrücken:

›Theophilus North‹ ist Thornton Wilders siebenter und letzter Roman und es ist sein autobiographischster, sein menschenfreundlichster. Der Held und Ich-Erzähler ist ein Weiser von dreißig Jahren, ein ›Heiliger wider Willen‹. Kein Entwicklungsroman also, denn der Held ist fix und fertig und mit fabelhaften Fähigkeiten begabt. Neun Träume sind es, denen Theophilus nachhängt: er wollte Heiliger werden, dann Anthropologe, Archäologe, Detektiv, Schauspieler, Zauberer, Liebhaber, Schurke und schließlich »ein freier Mensch«. Ausgerechnet in Newport auf Rhode Island, dem Sommerparadies amerikanischer Millionäre, wohin er sich nach dem Streß in Yale und als Sprachlehrer für einen Feriensommer zurückzieht, verwirklicht er fast alle diese Träume, sogar den vom »Heiligen«. Überall, wo er auftaucht, gelingt es ihm auf wundersame Weise, die Dinge ins Lot zu bringen. Er befreit eine junge Millionenerbin von einem Mitgiftjäger, rettet einen Millionär aus den Klauen lauernder Erben, stiftet oder kittet Ehen, heilt Kranke und entlarvt eine Fälscherbande. Es ist der alte Traum von Thornton Wilder, das Märchen vom guten Menschen, der in Gestalt von Theophilus North im Amerika von 1926 Frieden stiftet.

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