Barry Loewer (Hrsg.): Philosophie in 30 Sekunden

Als ich dieses Buch auf dem Grabbeltisch einer Buchhandlung gesehen habe, war ich erst misstrauisch. Bücher mit solchen Titeln haben meist wenig brauchbaren Inhalt. Für dieses Mal aber kann ich Entwarnung geben. Das Buch ist nicht nur von Fachleuten geschrieben, es ist auch klug gemacht und die Einträge sind im Großen und Ganzen korrekt. Natürlich kann man in 30 Sekunden keine philosophische Abhandlung lesen, bzw. mit 300 Zeichen, denn das war offenbar die Vorgabe, eine solche verfassen, aber manchmal liegt auch in der Kürze die Würze. Das Buch ist auf Englisch bereits 2009 erschienen, unter dem Titel 30-Second Philosophies. Diese Herkunft aus dem englischen Sprach- und Philosophie-Raum ist dann vielleicht auch die größte Schwäche des Buchs. Ich komme noch darauf. Neben dem Herausgeber Loewer (er ist Professor für Philosophie an der nicht unbekannten Rutgers University in New Jersey), der selber einige Artikel verfasst hat, haben als Autoren Julian Baggini, Kati Balog, James Garvey und Jeremy Strangeroom mitgewirkt. Wo mir bei einzelnen Texten Schwächen auffielen, konnte ich sie nicht immer derselben Person zuweisen; die Texte sind ziemlich einheitlich.

Inhaltlich haben wir, neben Vorwort, Einleitung und einem Pep-Text (Wie man zum Philosophen wird) zum Beginn, und den Autorenverweisen, Quellentexten, einem Index und Fotonachweis am Schluss, sieben Großkapitel vor uns, mit einer unterschiedlichen Anzahl von Unterkapiteln. Diese Unterkapitel sind zum einen die in 30 Sekunden zu lesenden philosophischen Erklärungen zu diversen Problemen, Fragestellungen oder Aussagen von PhilosophInnen der westlichen Welt seit Sokrates bis etwa in die Mitte des 20. Jahrhunderts, zum andern wird man in allen Großkapiteln zu Beginn ein Glossar der im Folgenden verwendeten Begriffe finden und ungefähr in der Mitte einen kurzen biografischen Abriss zu einem (bzw. zu dem) wichtigen Philosophen dieses Großkapitels. Das Ganze ergibt so einen kurzen, thematisch sortierten Abriss der Geschichte der westlichen Philosophie.

Folgende Großkapitel finden wir:

  • Sprache & Logik
  • Wissenschaft & Erkenntnistheorie
  • Geist & Metaphysik
  • Ethik & Politische Philosophie
  • Religion
  • Große philosophische Momente
  • Europäische Philosophie

Dazu in der Reihenfolge, in der sie aufgeführt werden, die Kurz-Biografien von Aristoteles, Popper, Descartes, Kant, Thomas von Aquin, Wittgenstein und Nietzsche.

Unter Sprache & Logik finden wir Texte zu logischen Aussagen von Aristoteles, Frege, Russell und Gödel, den kretischen Lügner von Epimenides und den Haufen von Eubulides. Wissenschaft & Erkenntnistheorie beginnt mit Decartes‘ „Ich denke, also bin ich“, stellt Popper und Hume vor, sowie Kuhns Wissenschaftliche Revolutionen. In Geist & Metaphysik finden wir unter anderem noch einmal Descartes (die Verbindung von Leib und Seele – der Text spricht von Körper und Geist, meint aber dasselbe), Brentanos Intentionalität, Fodors ‚Mentalese‘, das Zombie-Paradoxon und die Paradoxa von Zenon, Kants linke Hand (eigentlich eine Diskussion einer Auseinandersetzung zwischen Newton und Leibniz, in der Kant die Partei Newtons ergriff), Theseus‘ Schiff (einer der schwächeren Texte im Ganzen, es wird nicht ganz klar, was das philosophische Problem hinter diesem Begriff tatsächlich ist), den Laplace’schen Dämon (also eine Diskussion – so weit das bei 300 Zeichen möglich ist – von Determinismus und Willensfreiheit), sowie Ryles Geist in der Maschine. Bei Ethik & Politische Philosophie beginnt das Buch natürlich mit der Ethik des Aristoteles, stellt dann die Problematik von Naturzuständen und Gesellschaftsverträgen vor; Kants kategorischer Imperativ darf ebenso wenig fehlen wie Mills Utilitarismus; Marx und das Straßenbahnproblem schließen das Kapitel. Bei Religion starten wir mit Thomas von Aquin, sehen dann Anselms ontologischen Gottesbeweis an; Epikur und der viel spätere Uhrmacher-Gott dürfen nicht fehlen, ebenso wenig Hume und last but not least Pascals Wette. (Letzteres der wohl schwächste Beitrag, indem als Problematik der Wette angegeben wird, dass der liebe Gott mich wohl kaum mögen wird, wenn ich nur an ihn glaube auf Grund einer Wette – dass die Wette gar keinen Sinn ergibt, wird verschwiegen. Ich vermute hier, wie im ganzen Großkapitel die typisch angelsächsische Beißhemmung in Fragen der (christlichen) Religion, indem sich niemand so richtig traut, eine auch nur andeutungsweise atheistische Position einzunehmen, da so etwas alldorten im Allgemeinen kaum der Karriere hilft.) Große philosophische Momente stellt dann die erste Restpostenverwertung dar, indem hier so wichtige philosophische Momente vorgestellt werden wie die Sokratische Methode (allerdings ein bisschen allzu patzig dargestellt), Platons Höhlengleichnis (da merkt man, dass gewisse Dinge halt doch nicht in 300 Zeichen halbwegs korrekt und erschöpfend erklärt werden können), Aristoteles‘ Ursachenlehre, Lukrez‘ Atomismus, Berkeleys Idealismus, Kants synthetisches Apriori, Hegels Dialektik, James‘ Pragmatismus, Moores Common-Sense-Philosophie und zuletzt Wittgensteins Abbildtheorie der Sprache – alles Dinge, die sich offenbar nur schlecht klassifizieren ließen. Die zweite Restpostenverwertung, Europäische Philosophie, zeigt zum Schluss, was sich dem US-Amerikaner und dem Engländer (denn es sind englische Autoren dabei) offenbar als typisch (kontinental-)europäisch präsentiert: Nietzsches Übermensch, Derridas Dekonstruktion, Heideggers Nichts und – als Beitrag zum Existenzialismus – etwas zur Unaufrichtigkeit à la Sartre.

Die einzelnen Kapitel umfassen durchs Band genau zwei Seiten. Eigentlich sogar nur eine, weil die rechte Seite jeweils mit einer großflächigen Grafik gefüllt ist, die – mehr oder weniger akkurat – das vorgestellte philosophische Problem illustrieren soll. Die linke Seite ist wiederum in drei Spalten aufgeteilt – links und rechts zwei schmalere, eine breitere in der Mitte. Links wird zunächst in einem Satz der Grundgedanke zusammengefasst, den das Kapitel vorstellen will. Darunter jeweils als zweiter Abschnitt der Spalte ein Punkt Weitergedacht, der zum Beispiel spätere Kritik am vorgestellten Gedanken präsentiert. Das ist im Normalfall auch der schwache Punkt dieser Seite, indem hier oft in eine Richtung weitergedacht wird, die in dieser Form in der Philosophiegeschichte kaum zu finden ist. Die mittlere Spalte enthält dann, in wie gesagt maximal 300 Zeichen, eine Zusammenfassung der vorgestellten Argumentation. Dieser Teil ist – angesichts der Beschränkung, wie ich gestehen muss, wider mein Erwarten – meist ganz gut gelungen. Die Spalte rechts bietet zunächst einen Hinweis auf Verwandte Themen, also andere, Kapitel dieses Buchs, die ähnliche Themen aufgreifen. Es folgt eine Auflistung der Denker, der Persönlichkeiten also, die Wegweisendes zum vorgestellten Problem geäußert haben und die im Haupttext genannt wurden. (Die Schlagwörter zu diesem Aperçu führen diese Leute auf und enthalten ebenso eine Liste der philosophischen Probleme, die vorgestellt werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.)

Wenn ich hier einzelne Kritik angebracht habe, soll dies, wie gesagt, nicht heißen, dass das schmale Büchlein nicht doch – gerade als Einführung und Nachschlagewerk für Laien oder beginnende PhilosophInnen – seine Berechtigung hat und dass die Texte nicht im Großen und Ganze korrekt sind.


Philosophie in 30 Sekunden. Die wichtigsten Strömungen und Begriffe aus der Geschichte der Weltanschauungen. Herausgegeben von Barry Loewer. Mit einem Vorwort von Christian Suhm [dem Übersetzer]. Kerkdiel (NL): Librero IBP, 2021. [Wahrscheinlich eines dieser Bücher, die direkt fürs moderne Antiquariat, a.k.a den Grabbeltisch, gedruckt werden. Dafür würden Druckort (China!) sowie der bezahlte Preis (CHF 13.90) sprechen.]

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