Ingeborg Bachmann / Max Frisch: »Wir haben es nicht gut gemacht.«

Ausschnitt aus Buchcover mit der Schrift »Wir haben es nicht gut gemacht.« auf der rechten Seite.

Gut editierte und gut kommentierte Ausgaben von Briefwechseln, pflege ich jeweils zu sagen, können eine Biografie ersetzen. Dass ich dabei in erster Linie an Gesamtausgaben von Briefen eines Autors / einer Autorin denke, versteht sich hoffentlich von selbst. Der Briefwechsel nur von zwei Briefpartnern kann zwar eine ähnliche Funktion erfüllen, ist aber problematischer, insbesondere, wenn es sich – wie im vorliegenden Fall – bei den beiden Schreibenden um ein (zumindest zeitweise) Liebespaar handelt.

Zunächst bin ich, offen gestanden , davor zurückgeschreckt, dieses Buch zu lesen. Es hing für mich zu viel Voyeuristisches daran – was von der Verlagswerbung mit ihrem Klappentext (intime Mitteilungen) ja noch gefördert wurde. Natürlich dringen wir mit der Lektüre eines jeden Briefwechsels mehr oder weniger in die Intimsphäre der Briefpartner ein. Weniger zum Beispiel bei einem wie Arno Schmidt, der seinen Briefwechsel mit Hans Wollschläger von Anfang an auf Öffentlichkeit ausrichtete, oder bei Lichtenberg, der sich hütete, allzu Intimes in seinen Briefen auszuplaudern, weil er wusste dass das früher oder später ganz Göttingen erfahren würde. Mehr schon bei Gottfried August Bürger, der seine Liebeskalamitäten zumindest bei einigen seiner Freunde recht offen schilderte. Nicht allerdings bei Heinrich Christian Boie, von dem wir ja auch den Briefwechsel mit seiner Freundin, späteren Verlobten, späteren Frau, Luise Justine Mejer, besitzen, in dem aber (außer einer schüchternen Andeutung eines ménage è trois) nichts wirklich Intimes besprochen wird. Auch Goethe wusste sich bedeckt zu halten. Dass ich mir bei Bachmann und Frisch dennoch als Voyeur vorgekommen bin, liegt wohl weniger an irgendwelchen intimen Mitteilungen (deren sind nur wenige), sondern an der Tatsache, dass ich die beiden noch lebend kannte – soweit ein Gymnasiast und ein Student halt literarische Größen kennt: aus regelmäßig erscheinenden neuen Werken, aus Interviews in Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen.

Da ich weder Bachmann- noch Frisch-Spezialist bin, war ich mir auch nicht dessen bewusst, dass – vor allem auf Seiten der Bachmann-Interpretation – einiges an Ressentiments gegenüber Frisch existiert, dem man die alleinige Schuld am Bruch der Beziehung der beiden gab und damit am psychischen und physischen Zusammenbruch Bachmanns; seither gilt er für viele als kaltblütig und bösartig. Ein Narrativ, das Bachmann im Laufe der Zeit, vom beginnenden Bruch an, immer mehr pflegte, und das die Forschung übernommen hat. In diesem Buch nun entpuppen sich beide als (wie man heute sagen würde) psychisch labile Gestalten. Oft halten sie (beide!) nur Alkohol und / oder Psychopharmaka bzw. Schmerzmittel auf den Beinen. Hier wurden auch und gerade von befreundeten Ärzten verantwortungslos große Dosen verschrieben. Das führte zu Abhängigkeit (besonders dann bei Bachmann) und zur (damals noch ungenügend bekannten) paradoxen Situation, dass der Körper auf die übermäßige Einnahme von Schmerzmitteln reagierte – mit Schmerzen, gegen die man dann noch mehr Mittel einnahm.

Insofern ist dieser Briefwechsel ein notwendiges Korrektiv, da wir hier den Ablauf ziemlich genau rekonstruieren können. Es war eine Beziehung, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Wir haben hier zwei ungeheuer sensible Menschen vor uns, die noch dazu beide großen Stimmungsschwankungen unterworfen waren. Hätten sich diese Hochs und Tiefs gegenseitig ausgeglichen, hätte es sogar noch funktionieren können. Das war aber natürlich nicht so. Vor allem wenn beide in einem psychischen Tief waren, wurde die Katastrophe unausweichlich. Man trennte sich örtlich, weil man die physische Nähe nicht mehr ertrug. Man ertrug aber auch die Trennung nicht. Also schrieb man sich, aber die geschriebenen Worte wurden vom jeweils anderen anders verstanden, als sie die Schreibenden gemeint hatten, und verletzten. Man verlangte nach Explikationen und verletzte dadurch nun das Gegenüber, welches seinerseits … ein Teufelskreis, den Bachmann und Frisch nicht zu durchbrechen wussten. Ich weiß nicht, ob Bachmann Virginia Woolf kannte, aber selbst Ein Zimmer für sie allein hätte hier keine Lösung gebracht.

Was heutigen Lesenden auffällt: Beide formulieren ihre Briefe gewandt und gekonnt. Wenn man vom Inhalt abstrahiert, ist es ein Genuss, sie zu lesen. Wenn wir den Inhalt anschauen, stehen wir vor einer Tragödie in antikem Maßstab. Dass die Beziehung scheiterte, dass sie – sagen wir es offen – brutal scheiterte, war von Anfang an unausweichlich. Man verspürt, wenn man das Buch zuklappt, eine unendlich große Trauer.


Ingeborg Bachmann / Max Frisch: »Wir haben es nicht gut gemacht.« Der Briefwechsel. Mit Briefen von Verwandten, Freunden und Bekannten. [Nur wenige, vor allem zum Schluss, als die Beziehung längst in Scherben liegt und von beiden Seiten auch Dritte hinein gezogen werden. – P. H.] Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle, Barbara Wiedemann. Koordination: Barbara Wiedemann. Berlin, Zürich: Piper & Berlin: Suhrkamp, 2022. [Der Band ist zugleich Teil der Salzburger Bachmann Edition.]

Ausgestattet mit allem, was sich das Herz von einer guten Edition wünscht: Neben den eigentlichen Briefen allgemeine Kommentare und spezielle Stellenkommentare (da hätte ich mir freilich gewünscht, dass die Stellenkommentare unmittelbar auf die Briefe folgen, nun muss man ständig hin und her blättern), eine Zeittafel, Bibliografie, ein Werkregister von Bachmann und von Frisch, sowie ein Personenregister. Zum Schluss Porträts der beiden und Faksimiles von Briefen und anderen Dokumenten. Die Faksimiles leider zu klein reproduziert, und – da mit gewöhnlichem Rasterdruck aufs normale Buchpapier gebracht – schwierig zu erkennen oder gar zu lesen. Geradezu angsteinflößend ist in der Reproduktion von zwei Seiten des SPIEGELS vom 18. Juni 1958 das dort enthaltene Porträt von Ingeborg Bachmann, auf dem sie Blick und Mimik einer Untoten hat …

Ein kleines PS: Ich kenne von Max Frisch nur Bilder, auf denen er eine Pfeife in der Hand oder im Mund führt. In diesem Briefwechsel wird immer wieder erwähnt, wie ihm Freunde aus der Schweiz nicht nur Tabak nachschicken, den er in Italien nicht erhält, sondern auch Dannemann-Zigarren, die Frisch offenbar gern und viel raucht. Ist es Zufall oder hat Frisch sein Bild gegenüber der Öffentlichkeit sehr genau gesteuert, so, dass er nur mit der ‚intellektuellen‘ Pfeife sichtbar war, nicht aber mit einer (Ende der 1950er schon als ‚kapitalistisch‘ geltenden) Zigarre?

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