William James ist der Sohn des swedenborgianischen Priesters (so etwas gab es damals in den USA) Henry James sr. Dieser war nicht nur Swedenborgianer sondern auch mit Ralph Waldo Emerson befreundet, sodass William James dessen Philosophie des Transzendentalismus gut kannte. Die Spuren sowohl von Swedenborg wie von Emersons Philosophie in William James’ Pragmatismus zu finden, wäre interessant, ist aber hier nicht Thema.
Vorliegendes Buch geht zurück auf eine Vorlesungsreihe, die William James von Dezember 1906 bis Januar 1907 an der Columbia University in New York hielt. Die Vorlesungen wurden noch 1907 als Buch veröffentlicht, und ebenfalls noch im gleichen Jahr erschien die deutsche Übersetzung von Wilhelm Jerusalem, die bis heute auch die einzige geblieben ist.
Den Begriff ‚Pragmatismus‘ ist, wenn ich das richtig sehe, vom US-amerikanischen Mathematiker und Semiotiker Charles Sanders Peirce geprägt worden; auch James gibt ihm die Ehre des Erfinders. Pierce hat später seine Philosophie in ‚Pragmatizismus‘ umbenannt, um sich von den übrigen Pragmatikern abzugrenzen, deren Philosophie seiner Meinung nach oft in simples Nützlichkeitsdenken abflachte.
Und obwohl William James selber in der vorliegenden Vorlesungsreihe versucht, sich sowohl vom Utilitarismus wie von einer Common-Sense-Philosophie abzugrenzen, gelingt ihm das nicht überall sauber. Pragmatismus ist lösungsorientiert, ohne gleich auf einen (vorher) bestimmten Zweck zu zielen; er ist aber auch mehr als Common-Sense-Philosophie, da er durchaus metaphysische Fragen metaphysisch zu beantworten sucht.
Am Besten ist James dort, wo er den Pragmatismus als Erkenntnistheorie bzw. Wissenschaftstheorie zu positionieren versucht. Jedenfalls sind das die Punkte, in denen seine Theorie am besten funktioniert. Jede Erkenntnis ist nach James eine vorläufige, die aber (meist ohne Nachdenken) als wahr akzeptiert wird, bis eine eventuelle neue Erkenntnis diese ablöst. Es ist die klassisch gewordene Theorie des wissenschaftlichen Fortschritts, nach der eine Theorie so lange akzeptiert und angewendet wird, bis dies auf ein Problem stößt und die Wissenschaftsgemeinde nachdenken und sich neu orientieren muss. Das heißt für James nicht, dass es nicht in weiter Entfernung eine absolute Wahrheit gebe – im Gegenteil: Sie ist die conditio sine qua non pragmatistischen Denkens, denn auf sie hin ist alle Erkenntnis und alles Suchen gerichtet. Wir sehen: Hier schleicht sich durch die Hintertüre der Utilitarismus eben doch ein. Mehr noch (und James widmet diesem Thema in diesem Buch eine ganze Vorlesung): Gott und ein religiöser Glaube sind pragmatistisch mögliche und akzeptierte Ideen, denn sie können das Ziel der Wahrheitssuche sein (oder zumindest ein Schritt auf die Wahrheit hin). Damit aber wird der Pragmatismus als Philosophie entweder problematisch oder er begibt sich in jene seichten Gefilde, in denen Voltaire gewildert hat, als er schrieb: Si Dieu n’existait pas, il faudrait l’inventer.
Dabei sind in James’ Pragmatismus durchaus Ansätze zu finden, die auch im 21. Jahrhundert Verwendung Gültigkeit haben. Dazu muss ich nun auch den Übersetzer Wilhelm Jerusalem ins Boot holen und das Aperçu, das scheichsbeutel vor ein paar Jahren zu dessen Einleitung in die Philosophie verfasst hat. Er hat dort festgestellt, dass Jerusalem (der nicht von ungefähr zum Übersetzer James’ wurde, seine eigene Philosophie ist stark vom US-amerikanischen Pragmatismus beeinflusst) in seiner Erkenntnistheorie erste Ansätze zu einer evolutionären Erkenntnistheorie zeigt, wie sie heute in der Philosophie existiert. Ähnliches gilt auch für William James, ja, er verwendet im vorliegenden Buch sogar einmal den Begriff einer genetischen Erkenntnistheorie, und zeigt auch sonst im Text zumindest ansatzweise in die Richtung einer evolutionären Erkenntnistheorie.
William James: Der Pragmatismus. Ein neuer Name für alte Denkmethoden. Übersetzt von Wilhelm Jerusalem. Mit einer Einleitung herausgegeben von Klaus Oehler. Hamburg: Meiner, 1977 [Meines Wissens noch heute im Handel erhältlich.]