Hugo von Hofmannsthal: Gedichte und Prosa

Gedichte und Prosa liefert einen Querschnitt durch Hugo von Hofmannsthals nicht-dramatisches Werk, angefangen bei den Gedichten des Gymnasiasten Loris bis zu den späten Essays und Reden. Dazu kommt ein Anhang mit – unter anderem – Anmerkungen, einem Nachwort der Herausgeber und Ausgewählter Forschungsliteratur. Zielpublikum ist demnach eindeutig der Student oder die Studentin der Literaturwissenschaft.

In dieser ihrer Konzeption liefert die kleine Werkauswahl auf nicht ganz 900 Seiten eine repräsentative Übersicht über Hofmannsthals Schaffen. Nicht alles ist dabei von gleich hoher Qualität. In gewissem Sinne würde ich den 1874 geborenen Hugo Laurenz Hofmann, Edler von Hofmannsthal sogar als „frühvollendet“ bezeichnen, als einen, der zwar nicht seinem frühen Ruhm nachtrauern musste – vor allem als Dramatiker behielt er ihn bei und galt als so etwas wie der ungekrönte „Poeta laureatus“ zumindest des deutschsprachigen Habsburgerreichs –, aber er sollte nie wieder die Höhe erreichen, die er als ganz junger Mann gehabt hatte. Denn die Gedichte stellen meiner Meinung nach den Höhepunkt in Hofmannsthals Schaffen dar. Er sollte nirgends sonst die Leichtigkeit und die Stimmung wieder herstellen können. Sie zeigen den großen Einfluss des französischen Symbolismus ganz klar auf – vor allem Baudelaire, aber auch Verlaine und Mallarmé sind zu finden. Und der auch von Baudelaire verehrte Poe, oder die deutschsprachigen Zeitgenossen George und Rilke. Das Motiv des Todes zieht sich wie ein roter Faden durch viele seiner Gedichte, aber auch durch seine Novellen. Der Tod und der Doppelgänger.

Hofmannsthals Prosa-Werk weist eine Vielzahl von Einflüssen auf. Goethes Märchen wäre da an vorderster Front zu nennen, oder auch der (seinerseits von Goethe beeinflusste) Novalis und Wielands Märchen. Die – ihrerseits märchenhaften – Memoiren Casanovas. Von 1001 Nacht ganz zu schweigen (auch wenn gerade das im Titel daran erinnernde Märchen der 672. Nacht zu den Erzählungen gehört, die eher weniger von dieser arabisch-persischen Sammlung von Erzählungen und Märchen beeinflusst sind). Weitere Einflüsse und Anregungen entnehme der geneigte Leser, die geneigte Leserin, den unten angefügten Schlagwörtern.

Der Band enthält auch einige von Hofmannsthals theoretischen Schriften (wenn man seine Essays so nennen darf). Prominent natürlich der sog. Chandos-Brief, ein fiktiver Brief eines fiktiven Lord Chandos aus dem 16. Jahrhundert, in dem dieser seinem Förderer Francis Bacon erklärt, warum er als Dichter verstummt ist, nämlich weil er sich nicht mehr auf seine Sprache, auf die Sprache schlechthin, verlassen kann. Hofmannsthal hat darin seine eigene Schaffenskrise verarbeitet. Auch die Briefe eines Zurückgekehrten thematisieren dieses Problem. Überhaupt werden viele seiner literaturtheoretischen bzw. poetologischen Gedanken unter einer literarischen Verkleidung geliefert. So lässt er über das Thema der Charaktere im Roman und im Drama Balzac und Hammer-Purgstall sich ein imaginäres Gespräch liefern. Ein Gespräch über Gedichte liefert Hofmannsthals Theorie des Symbolismus. Man unterhält sich über den »Tasso« von Goethe usw.

Hofmannsthals Reiseprosa (wie dieser Teil seines Schaffens in dieser Auswahl genannt wird) ist weniger Reisebericht; es handelt sich vielmehr um impressionistische Eindrücke, die Hofmannsthal unterwegs aufgelesen hat, Begegnungen vor allem, die sich aber im Grunde genommen gerade so gut wo anders, gerade so gut zu Hause, hätten ereignen können. Nicht umsonst heißen dann die kurzen Texte Südfranzösische Eindrücke oder Augenblicke in Griechenland. Auch die Reise im nördlichen Afrika lässt uns weder Land noch Leute kennen lernen – nur Hofmannsthal selber. Das gilt mutatis mutandis für alle hier versammelte Reiseprosa, auch Sizilien und wir, wo das Hauptaugenmerk weniger Hofmannsthals Wanderung auf Viktor Hehns Spuren ist, sonder auf dem „Wir“ liegt.

Unter dem Abschnitt Reden und Aufsätze finden wir vor allem Gedanken Hofmannsthals zu Dichter-Kollegen: Swinburne, Gabriele D’Annunzio, Wilde (den Wilde im Exil, nachdem er seine Haftstrafe verbüsst hat und als gebrochener Mann unter dem Pseudonym Sebastian Melmoth in Paris lebt), Balzac, Jean Paul. Aber auch über konkrete Werke anderer spricht Hofmannsthal, so z.B. finden wir Aufsätze über die schon erwähnte Sammlung »Tausendundeine Nacht«, oder Goethes »West-östlichen Divan«.Er lässt sich gerne – übrigens auch in seinen Gedichten – über Schauspieler und deren Kunst aus. Und natürlich über bekannte und berühmte Dramatiker: Molière ebenso wie Shakespeare und Lessing, Nestroy ebenso wie Raimund und Grillparzer.

Bedenklich wird es, wo Hofmannsthal historische Figuren bespricht. Hofmannsthal neigte – um es gelinde zu sagen – zu nationalistisch-rechtskonservativen Ansichten. Er war Kakanier, aber ohne das zweite „K“, denn Ungarn war ihm herzlich egal. Er verehrte offenbar recht unreflektiert Maria Theresia oder stellte dem Österreicher den Preußen gegenüber. Seine Idee Europa war eine Idee, die am kakanischen Wesen genesen sollte. Man ist versucht zu sagen, dass sein relativ früher Tod (Hofmannsthal starb 1929 mit nur 55 Jahren) für ihn ein Glück war, weil er ihn davor bewahrte, die Konsequenz solcher Ansichten am eigenen Leib erleben zu müssen – war er doch, obwohl katholisch in der zweiten Generation, jüdischer Abstammung und hatte eine Jüdin geheiratet.

Auch finden wir – ganz offensichtlich von seiner Lektüre beeinflusst, nämlich Josef Nadlers Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften – einen Aufsatz über Österreich im Spiegel seiner Dichtung, wo er vor allem die österreichischen Realisten in den Himmel hebt. Um eine genügende Anzahl davon zu haben, muss er allerdings sekundäre und tertiäre Gestalten erwähnen: Rosegger und Anzensgruber. Nur Stifter und Grillparzer sind wirklich Autoren von Weltrang. Bei allen aber rühmt er deren Herkunft aus der handwerklich-bäuerlichen Provinz und will dies als Merkmal der österreichischen Dichtung gesehen haben – zusammen mit einem an Kant erinnernden Pflichterfüllungsethos, das z.B. Stifter dazu brachte, im Schulministerium tätig zu sein. Hierbei nun kann Hofmannsthal aber nicht anders, als an Kellers Tätigkeit als Zürcher Staatschreiber zu erinnern – Österreichs Alleinstellungsmerkmal so zugleich aufbauend und niederreißend. (Im Übrigen finde ich es immer wieder seltsam, dass gerade ein Stadtmensch und Ästhet wie Hofmannsthal diese Faszination fürs Ländliche empfindet – eine Faszination, die von jeder persönlichen Erfahrung in concreto offenbar völlig unbeleckt ist. Jeder, der schon einmal ins wirkliche Landleben – auch ins heutige – geblickt hat oder gar darin tätig ist oder war, wird vor allem harte, schmutzige und stinkende Arbeit finden, die dazu noch nur bescheiden entlohnt wird. Ich vermute, Stifter wie Rosegger und Anzensgruber waren mehr als nur froh, diesem Milieu entronnen zu sein.)

Wo Hofmannsthal die bildende Kunst anspricht, ist es neben Vincent van Gogh der englische Kunsttheoretiker John Ruskin, auf den er sich bezieht und die von diesem beeinflussten Präraffaeliten. Obwohl seine eigenen Novellen impressionistisch-mystisch angehaucht sind, scheint sich Hofmannsthal wenig um die zeitgenössische impressionistische Malerei gekümmert zu haben. Musikalisch ist es Beethoven, nicht etwa Mozart, dem seine Liebe gehört.

Am Schluss dieser Werkauswahl finden wir eine Sammlung von Aphorismen und Lesenotizen in Form von Zitaten aus anderen Autoren, in denen der Impressionist Hofmannsthal zum Pointillisten wird. Kurze autobiografische Notizen schließen die Sammlung ab.

Man wird Hofmannsthal durch diese Ausgabe recht gut kennen lernen. Dafür braucht es den zweiten Teil – in dem u.a. seine Dramen figurieren – nicht einmal.


Hugo von Hofmannsthal: Gedichte und Prosa. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Dieter Lamping. Mit Anmerkungen und einer Zeittafel von Frank Zipfel. Düsseldorf, Zürich: Patmos, 2003. In einer Lizenzausgabe für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

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