Als Untertitel zu diesem Buch steht schon auf dem Schutzumschlag: Die neue Biographie. Was zur – von Flasch nicht beantworteten (jedenfalls habe ich keine Antwort gefunden) – Frage führt: Welches wäre denn die alte gewesen? Vielleicht Roskoff, den er in den Literaturangaben zur eigenen Einleitung aufführt, dann aber nirgends zitiert, wenn ich das richtig gesehen habe – gut, Flasch zitiert vor allem Primärliteratur? Jedenfalls ist der Begriff ‚Biographie‘ zumindest teilweise ironisch gemeint. Denn ‚natürlich‘ hat der Teufel keine Biographie im Sinne dessen, wie wir das Wort für einen Menschen verwenden. Der Teufel wurde nicht geboren, seine Taten sind umstritten und gestorben wie ein Mensch ist er auch nicht. Oder doch?
Was Flasch mit seinem Untertitel andeutet (und dann im Buch ausführt), ist die Tatsache, dass auch der Teufel (bzw. die menschlichen Vorstellung von dessen Wirken und Gestalt) sich historisch entwickelt hat. Zunächst ist festzuhalten, dass sich Flasch in seinen Ausführungen strikt auf die Darstellung des westeuropäisch-jüdischen Denkens beschränkt – will sagen: an das römisch-katholische (später dann noch protestantische) Denken über den Teufel und dessen jüdische Wurzeln im Alten Testament. Schon die Ost-Kirchen lässt er beiseite; das antike Denken streift er dort, wo es um den Begriff des Dämons geht; außereuropäische Kulturen werden nicht berücksichtigt – wo wir dort vom Teufel sprechen, geschieht dies auch meist in Analogie zum christlich-europäischen Vorbild.
Innerhalb dieser Grenzen aber hat sich der Teufel tatsächlich entwickelt; man kann gar sagen, dass es einen Moment gegeben haben muss, als er zur Welt kam. In ganz früh entstandenen Abschnitten des Alten Testaments nämlich finden wir noch keinen Teufel. Wir haben wohl alle einmal in der Sonntagsschule oder sonst wo gelernt, dass der Teufel sich damals im Paradies als Schlange verkleidet habe, um Eva den Apfel vom Baum der Erkenntnis anzudrehen. Das Bild sitzt fest in unseren Köpfen. Flasch weist zu Recht darauf hin, dass die Erzählung, die wir zu Beginn des 1. Buch Mose finden, gar keinen Teufel aufweist. Die Schlange ist einfach ein sprechendes Tier, wie wir es häufig in Legenden und Sagen finden. Das ist nicht das einzige Mal, dass dort, wo wir aus heutiger Sicht einen Teufel erwarten, die alten jüdischen Texte noch keinen haben. Wenn wir im 1. Buch Samuel finden, dass Jahwe den ersten König der Volkes Israel, Saul, dazu auffordert, eine Volkszählung durchzuführen, nur um ihn zwei Kapitel später dafür zu bestrafen, so zeigt das, dass die Figuren des Verführers und die des Bestrafenden in der alten jüdischen Theologie identisch waren – Jahwe. Das blieb nicht so. Das viel jüngere Buch Hiob kennt bereits die Figur des Satan (auf die verschiedenen, bereits in den jüdischen Texten zu findenden Ausdrücke für den Teufel geht zwar Flasch ein, ich werde das hier aber nicht auch noch darstellen). Satan, wörtlich übersetzt ‚der Widersacher‘, ist dort aber offenbar eine Art Teil des Hofstaats von Jahwe, mit dem dieser kühl und neutral das Geschick und die Glaubenskraft Hiobs diskutiert. Im Lauf der Erzählung, wenn er seinen göttlichen Auftrag, seine verführerisch-zerstörerische Aufgabe, erfüllt hat, verschwindet er aus der Geschichte. Offenbar haben seine Taten für ihn keine Konsequenzen.
Zur Zeit des Jesus von Nazaret war das jüdische Teufelsbild bereits wieder ein anderes. In den synoptischen Evangelien tritt Satan auf als der (zumindest de facto) Herrscher der Welt, der dem von Gott Gesandten eben diese versprechen kann. Jesus seinerseits wird in diesen Evangelien als Dämonenaustreiber vorgestellt. Der Dämonen aber gibt es so viele, dass eine ganze Schweineherde sie gerade mal so aufzunehmen im Stande ist. Anders gesagt: Es gibt bereits Teufel oder dem Teufel ähnliche (untergeordnete?) Wesen in der Mehrzahl, vielleicht gar ein höllisches Reich mit hierarchischer Organisation. Und diese Dämonen sind bereits, wenigstens andeutungsweise, personifizierte Einzelwesen.
Die Entwicklung des Teufels im spätantiken und mittelalterlichen Christentum bzw. dessen Philosophie, ist dann recht gut dokumentiert, und hier liegt auch das Hauptgewicht von Flaschs Buch. Da war zunächst noch Origenes, der einen allgütigen Gott annahm und deshalb auch postulierte, dass selbst Satan, nach einer Zeit der Buße, wieder in den Himmel aufgenommen würde. Augustinus, in seinem Kampf gegen den Manichäismus, verwarf diesen Gedanken – von da an war der Teufel in der westlichen Kirche der für immer Böse, für immer Gestrafte. Flasch legt großen Wert darauf, dass sowohl die Patristik wie die Scholastik – sprich: das Mittelalter – sich nicht nur intensiv über die Qualitäten Gottes gestritten hatten sondern ebenso intensiv über die des Teufel (der also keineswegs bloß eine Figur ungebildeter Leute war, die sich damit gegenseitig Angst einjagten). Nachdem Augustinus die Grundlagen gelegt hatte, würde Thomas von Aquin die Teufelsfigur noch einmal – wenig nur – überarbeiten. Dieser augustinisch-thomistische Teufel war nun der aktive Versucher der Menschen, der Herrscher über ein ganzes Heer von gestürzten Engeln, der immer gegenwärtige Antagonist Gottes. Natürlich wurde nach wie vor an Details gefeilt. Nachdem der Teufel bei Augustinus noch einen physischen Körper besessen hatte, wenn auch nur aus Luft bestehend, wurde ihm dieser im Laufe der Zeit gänzlich abgesprochen. Aber ob er nun schon jetzt, also vor dem Jüngsten Gericht, in der Hölle angekettet ist und die Strafe für seinen Aufstand gegen Gott erleidet oder ob das bis zum Jüngsten Gericht warten sollte, war umstritten. Ebenso umstritten war die Strafe, die Satan und seine Engel in der Hölle erleiden sollten: So lange er noch einen Luftkörper besaß, war eine Bestrafung durch ein physisches Höllenfeuer einigermaßen einleuchtend. Wie aber kann ein reiner Geist durch Feuer bestraft werden? Man einigte sich darauf, dass das Höllenfeuer ein physisches Feuer sei, aber nicht so, wie wir es kennen …
Dass die Reformation keineswegs einen Ausweg aus den dunklen Gefilden des Teufelsglaubens anbot, sondern im Gegenteil einen Rückschritt darstellte, wird von Flasch fast nebenbei erwähnt – ebenso die Tatsache, dass sich Katholiken und Protestanten gegenseitig als vom Teufel Verführte, wenn nicht gar als eigentliche Teufel apostrophierten.
Wichtiger ist für ihn der Umstand, dass der augustinisch-thomistische Teufel auch an der Quelle der Inquisition steht, insbesondere der Hexenverfolgung. Der Hexenhammer in seiner unsäglichen Brutalität stützt sich durchaus auf scholastisch-theologisch-philosophische Spekulationen, und so kommt es, dass durchaus nicht das ‚finstere Mittelalter‘ die Epoche war, in der am meisten Hexenverbrennungen durchgeführt wurden.
Dennoch nahte mit der Neuzeit auch das Ende des Teufels – zumindest in den aufgeklärten Kreisen Westeuropas. Die eigentliche, philosophische Aufklärung (vor allem in Frankreich und England) hatte natürlich ihren Teil daran, war aber nicht die einzige Ursache. Mehr und mehr hatte sich der philosophische Dialog um den Teufel in einen um die Problematik des freien Willens verschoben und um die Rechtfertigung eine gütigen Gottes angesichts des Umstands, dass diese Welt voller Leiden und Qualen steckt. Leibniz’ Theodizee war wohl der letzte große Wurf, der versuchte, Gott rechtfertigen zu können. Der Teufel hatte sich unterdessen zu einem praktisch äquivalenten Gegenspieler Gottes entwickelt – wenig fehlte, und man wäre wieder bei jenem Manichäismus gelandet, gegen den sich 1’000 Jahre zuvor Augustinus so vehement gewendet hatte.
Doch nun traten dem Teufel auf verschiedensten Gebieten menschliche Widersacher entgegen. Da war auf philosophischem Gebiet Spinoza, dessen „Deus sive Natura“ keinen Platz mehr ließ für einen Antagonisten zu Gott – schon gar nicht für einen derart mächtigen, wie es der Teufel unterdessen geworden war. Da war aber auch – ganz banal – die Politik. Im Zeitalter des Absolutismus, wo jeder dahergelaufene kleine Graf sein „L’état c’est moi!“ in die Welt hinausrief, war ein allmächtiger Gott, der sich seine Allmacht mit dem Teufel zu teilen hatte, ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Natürlich verlief diese Entwicklung mit Überwerfungen – die sogar innerhalb derselben Person stattfinden konnten: Der große Theoretiker des absolutistischen Staats, Jean Bodin, war gleichzeitig vehementer Vertreter des Glaubens, dass der Teufel seine männlichen und weiblichen Hexen durch Geschlechtsverkehr zum Bösen verführte, und damit ein Verfechter der Hexenverfolgung. Aber auch auf dem Gebiet eben dieser Hexenverfolgungen verlor der Teufel an Terrain. Zunächst wurde rein theoretisch darüber nachgedacht, wie ein reines Geistwesen überhaupt körperlichen Sex mit einem Menschenwesen haben könnte. Das führte zur Anschlussfrage, warum denn ein Geisteswesen so verrückt nach körperlichem Sex sein könne, von dem es wahrscheinlich weder Genuss noch Profit ziehe. An den eigentlichen Hexenprozessen entzündete sich ebenfalls mehr und mehr Kritik. Zum einen gab es immer mehr Juristen, die den korrekten Verlauf eines Inquisitionsprozesses anzweifelten – von der Anschuldigung des Verkehrs mit dem Teufel über die Beweisführung durch Folter bis hin zur Straffindung. Und dann kamen die Mediziner, die die angebliche Besessenheit durch den Teufel als Krankheit betrachteten und als solche behandelt sehen wollten. Den Todesstoß – in Westeuropa – versetzten dem Teufel dann die Emanzipationsbewegungen, als sich die Frauen weigerten, weiterhin als sexuelles Objekt und Einfallstor des Bösen angesehen zu werden.
Soweit Flasch. Das Buch stammt von 2015. Ich bin – auch und gerade in Bezug auf Westeuropa und die USA – nicht ganz so optimistisch wie Flasch, dass wir den Teufelsglauben tatsächlich ausgerottet haben. Das Aufkommen fundamentalistischer Christen in den USA, von Blut- und Bodenmythen in Europa, allgemein von Ideologien, die wieder im anderen das absolute Böse sehen, lassen mich zweifeln.
In seiner philosophiegeschichtlichen Aufarbeitung des Themas ‚Teufel‘, von der ich nur einen kurzen Abriss geben konnte, halte ich das Buch dennoch für … wie sagt man so schön … unverzichtbar.
Kurt Flasch. Der Teufel und seine Engel. Die neue Biographie. München: C. H. Beck, 32021.