Thomas C. Starnes: Christoph Martin Wieland – Leben und Werk. Band 3: »Der Dekan des deutschen Parnasses«, 1800-1813

Portrait Christoph Martin Wieland gemalt von Ferdinand Jagemann, 1805. Heute im Wieland-Museum im Wittums-Palais in Weimar. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Wie ich auf diese Publikation aufmerksam wurde, welches die Intentionen von dessen Autor waren, warum dieser davon als von einer Mischung von Biografie und Tagebuch spricht, weshalb ich die drei Bände, aus denen sie besteht, einzeln vorstelle – das alles habe ich bei der Vorstellung des ersten Teils bereits erklärt. Ich füge hier noch um der Klarheit willen hinzu, was der Verlag auf dem Klappentext des zweiten Bands schreibt:

Auch im zweiten [und – a fortiori – im dritten / P.H.] Band hat der Verfasser alles, was Tun und Treiben Wielands, die Kontakte mit seinen Mitmenschen und den Ausdruck seiner Gesinnungen und seiner Meinungen betrifft, aus Urkunden, Matrikeln, Protokollbüchern, Fourierbüchern, zeitgenössischen Zeitungs- und Zeitschriftenberichten, der Korrespondenz, den Tagebüchern und den Memoiren seiner Freunde und Bekannten sowie aus dem eigenen Briefwechsel des Dichters gesammelt und chronologisch geordnet.

Klappentext von Band 2

Abermals ergibt das ein Bild auch der täglichen Routinen Wielands, seiner Freuden, aber vor allem auch seiner wiederkehrenden Nöte und Sorgen.

Die letzten rund 12 Jahre seines Lebens sollten geprägt sein von vielen Abschieden. Am einschneidensten war wohl 1801 der Tod seiner Frau Anna Dorothea. Hatte sich Wieland bei der Eheschließung gegenüber Freunden diesbezüglich noch recht flapsig geäußert, so entstand hier im Lauf der Jahre eine ganz große Liebe. Wieland trauerte monatelang. Um ihn ein wenig abzulenken, lud ihn Anna Amalia immer wieder für Wochen in ihre Wittums-Palais in Weimar oder nach Tiefurt ein. Schon 1800 war Sophie Brentano gestorben, Wielands liebste Enkelin seiner Jugendgeliebten Sophie von La Roche, und Wieland ließ sie auf dem Gut Oßmannstedt begraben, das er zu der Zeit noch besaß.1) Seine Frau sollte einen Platz neben ihr erhalten – so, wie er später auch. 1803 starb Herder, nachdem sich die vier Klassiker zu Beginn des 19. Jahrhunderts endgültig in zwei Parteien getrennt hatten – hie Schiller und Goethe, da Herder und Wieland. Schiller starb dann 1805. 1807 starben seine Jugendliebe von La Roche, Anna Amalia und Luise von Göchhausen, 1809 Herders Witwe Caroline. 1803 verkaufte er das Gut Oßmannstedt – zum einen erinnerte ihn dort wohl zu viel an seine verstorbene Frau, zum andern musste er zu viel Geld hineinstecken; Geld, das er nicht mehr hatte, seit Der Teutsche Merkur (oder, genauer: Der Neue Teutsche Merkur, denn schon 1790 hatte er ihn zusammen mit Bertuch auf neue Füße gestellt) nur noch wenig abwarf und Wieland auch immer weniger Lust bezeugte, mit dieser Zeitschrift etwas zu tun zu haben. 1810 musste er sich denn auch davon verabschieden, die Zeitschrift ging ein.

Was blieb, waren die Sorgen um die Kinder – die Söhne vor allem. Und da tat sich zunächst einmal Ludwig (auch ‚Louis‘ genannt) hervor. Die beiden ältesten Söhne hatten im Prinzip beide eine Ausbildung als Gutsverwalter erhalten, aber beide waren nicht in der Lage, diesen Beruf auszuüben und / oder zum Beispiel das väterliche Oßmannstedt aus der Verlustzone zu bringen. Ludwig wollte denn auch Buchhändler werden, worauf ihn der Vater nach Bern schickte, wo sein Schwiegersohn, der Sohn seines verstorbenen Zürcher Freundes Salomon Gessner, unterdessen versuchte, seine Verlagsbuchhandlung wieder aufzustellen. Vielleicht war er nicht der ideale Lehrmeister. Schon bald nach Ludwigs Heimkehr musste Wieland senior einen anderen Schweizer Schwiegersohn aufbieten, der abklären sollte, wie sehr Gessner junior tatsächlich in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Es stellte sich heraus: sehr. Bis zum Hals. Nein, eigentlich schon über die letzten Haarwirbel hinaus. Schon Gessner senior war ja nicht der geborene Buchhändler gewesen; dass die Buchhandlung florierte, war einzig seiner Frau zu verdanken, die – ebenfalls aus einer Buchhändlerfamilie stammend, den Buchhandel sozusagen im Blut hatte, so die Buchhandlung mit Umsicht und Energie führend. Gessner junior hätte einer ähnlichen Frau bedurft wie es seine Mutter gewesen war; aber auch Wielands Töchter zeichneten sich im Großen und Ganzen nicht gerade durch energisches und umsichtiges Handeln aus. Als Vater und Erzieher war Wieland wohl eher ein Misserfolg. Ludwig Wieland, um auf diesen zurück zu kommen, lernte also in Bern blutwenig und erreichte nur, dass er – zusammen mit Heinrich von Kleist, mit dem er sich dort befreundet hatte – aus der Stadt verwiesen wurde. (Kleist, nebenbei, besuchte dann später Vater und Sohn in Oßmanstedt, wo ihn Wieland senior dringend aufforderte, seinen Robert Guiskard fertig zu schreiben. Auch von Kleists Tod sollte Wieland noch erfahren müssen.) Wieland bezahlte im Übrigen seufzend seines Sohnes nicht geringe Schulden in Bern und ließ ihn nach Wien ziehen, wo er Schriftsteller werden wollte. Nachdem Christoph Martin Wieland nur wenig später abermals einen beträchtlichen Schuldenberg seines Sohnes begleichen musste, sagte er sich hochoffiziell von diesem Sohn los.

Last but not least waren dann da noch die Feldzüge, mit denen Napoléon Europa überzog, und unter denen auch die Bevölkerung von Weimar litt. Zunächst nur indirekt, weil Teile des preußischen Heers in Weimar stationiert wurden, um die Stadt vor Napoléons Truppen zu schützen – mit dem Resultat, dass zunächst statt der Franzosen die Preußen den Einwohnern Weimars das Futter wegfraßen, nur um sich dann in der Schlacht von Jena als völlig nutzlos zu erweisen. Wieland kam bei der folgenden Besetzung der Stadt glimpflich davon; die drei Soldaten, die sein Haus plündern wollten, waren zufrieden damit, sich an seinem Wein gütlich zu tun, und am folgenden Tag erhielt er einen Offizier zum Schutz. Es ist faszinierend zu lesen, wie völlig unaufgeregt Wieland darüber (und auch über sein späteres Zusammentreffen mit Napoléon) berichtet – vor allem, wenn man es mit der dramatischen Version vergleicht, die Goethe von seinem Treffen mit den Franzosen verbreiten sollte (und von seinem Gespräch mit Napoléon). Wenn wir dann noch vergleichen, dass beide vom französischen Kaiser denselben Orden, vom russischen Zaren Alexander (der seit kurzem familiäre Bindungen mit Weimar hatte: seine Tochter hatte den Erbprinzen geheiratet) aber Goethe den Annen-Orden erster Klasse, und Wieland nur den zweiter Klasse, so sieht man hierin auch, wie sich im 19. Jahrhundert das Gewicht der beiden Klassiker zu verschieben beginnt. War im ausgehenden 18. Jahrhundert Wieland noch der bei weitem bekannteste Autor deutscher Zunge in Europa, so holte Goethe nun in der Aufmerksamkeit des Publikums auf – umso mehr, als er und nicht Wieland der Liebling der Romantiker war, die mehr und mehr in ganz Europa die literarische Welt bestimmten.

Nicht, dass wir uns Wieland als verbitterten alten Mann vorstellen müssen. Im Rahmen seiner Möglichkeiten (die bis zu seinen letzten Tagen immer noch groß waren) genoss er sein Leben durchaus. Während er empört war darüber, dass ein Gerücht ihn zu den Illuminaten zählte (die er als Schwärmer abtat), trat er mit 76 Jahren noch der Freimaurer-Loge von Weimar bei. Er ließ sich zwar vom normalen Kursus dispensieren und wurde so in einer speziellen Sitzung nur mit den Beamten in einem Zug vom Lehrling zum Gesellen und zum Meister erhoben, war dann aber noch längere Zeit fleißiger Besucher der Sitzungen, hielt auch Reden dort und war wohl nicht immer der erste, der nach Hause ging. Mit der Gräfin zu Solms-Laubach entspinnt sich ein reger Briefwechsel. Wieland sollte seine Briefpartnerin nie zu Gesicht bekommen, aber er fand in ihr, was er für sein Wohlbefinden offenbar brauchte: eine weibliche Vertraute. Last but not least fällt auf, dass sich seine Weinbestellungen häufen. Nun hatte Wieland noch bis ins hohe Alter immer ein offenes Haus, auch wohnten (fast immer: mehrere) Söhne und Töchter noch bei ihm, und vielleicht ist diese Häufung auch nur dem Zufall der Überlieferung geschuldet, aber, wie gesagt, es fällt auf.

Literarisch, dies noch zum Schluss, schreibt Wieland wenig eigenes Neues mehr. Ein paar Novellen, wie es Starnes nennt, sind alles. Daneben wird immer noch an der Werkausgabe bei Göschen poliert. Die verunglückte Aufführung in Weimar des Ion von August Wilhelm Schlegel nach einem Drama von Euripides, zieht Wieland nicht nur ein böses Schreiben des Theaterleiters Goethe zu des Inhalts, er solle gefälligst dafür sorgen, dass der Verriss Bertuchs nicht im Teutschen Merkur erscheine, sondern lenkt auch seine Aufmerksamkeit auf den antiken griechischen Dramatiker, und er übersetzt ein paar seiner Stücke (darunter – natürlich! – den Ion …). Als beste Ablenkung aber von den Wirrnissen und Mühseligkeiten der Zeit entpuppt sich die Übersetzung der Briefe von Cicero. Noch einmal wendet Wieland sein gesamtes Latein und seine gesamte Philosophie (und natürlich sein, ich bin versucht zu sagen: perlendes Deutsch) an einen antiken Autor. Es ist für ihn mehr als nur ein Zeitvertreib, die ersten Bände wird er noch in der Verlagsbuchhandlung seinen Schweizer Schwiegersohns veröffentlichen lassen – fertig wird er damit nicht mehr. Am 20. Januar 1813 stirbt er in Weimar, wahrscheinlich an den Folgen einer verschleppten Erkältung.

Somit bin ich am Ende einer sehr interessanten Publikation zu Wieland. Seinerzeit verfasst, um die noch fehlende Biografie wenigstens ein bisschen zu ersetzen, ist sie, auch nachdem nun Reemtsma dieses Jahr die biografische Lücke gefüllt hat, nach wie vor auf Grund ihrer Fülle an Material und Informationen unentbehrlich. Hier noch die bibliografischen Angaben zum dritten und letzten Band:

Thomas C. Starnes: Christoph Martin Wieland – Leben und Werk. Band 3: »Der Dekan des deutschen Parnasses«, 1800-1813. Sigmaringen: Jan Thorbecke, 1987


1) Was, nebenbei, bitterböse Reaktionen auslöste bei Sophies Geschwistern Clemens (der sich auch eine Zeitlang auf Gut Oßmannstedt aufgehalten hatte, dann aber Besuchsverbot erhielt) und Bettina (die wiederum Wieland zwar in Weimar traf, aber viel lieber mit Goethe tändelte).

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