1939 wird der 34-jährige polnische Schriftsteller Witold Gombrowicz eingeladen, die Jungfernfahrt auf dem neuesten polnischen Transatlantik-Passagierschiff mitzumachen. Ziel der Reise ist Buenos Aires, wo man denn auch wohlbehalten ankommt. Dort aber erreicht Crew und Passagiere die Hiobsbotschaft: Hitler-Deutschland hat Polen überfallen. Fast alle beschließen, sofort zurück zu reisen, um irgendwie nach Polen zu kommen. Gombrowicz gehört zu den wenigen, die darin keinen Sinn sehen – zu schnell ist Polen kollabiert. Er bleibt in Buenos Aires, muss sich dort allerdings nun einen Job suchen, ist er doch von seinen bisherigen finanziellen Quellen abgeschnitten.
Soweit die Realität, die aber auch das Handlungsgerüst darstellt des vorliegenden kurzen Romans. Auch hier kommt ein Schriftsteller namens Witold Gombrowicz in Buenos Aires an und erfährt vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Aber auch wenn der Roman autobiografisch ist (bzw. ein Schlüsselroman, wie es im Nachwort meiner Ausgabe heißt), so ist er zugleich mehr, viel mehr.
In barocker Sprache und auch sonst in barocker Manier überwuchern in Trans-Atlantik völlig absurde bzw. satirisch überhöhte Ereignisse den eigentlichen Handlungsstrang. Man fühlt sich (auch in Bezug auf den bissigen Humor des Erzählers) erinnert an die großen Romane von Rabelais, Cervantes, Fielding, Sterne oder Swift.
Ich will gar nicht erst versuchen, den Roman zusammen zu fassen – mehr als das nackte und bereits zu Beginn gegebene biografische Gerüst kann nicht sinnvoller Weise gebildet werden.
Der Roman konnte erst 1953, und auch dann nur in Paris, veröffentlicht werden. Vor mir liegt eine Neu-Übersetzung ins Deutsche von Rolf Fieguth, erschienen im Kampa Verlag, Zürich, in diesem Jahr (2024). Sie ist Teil einer deutschsprachigen Neuausgabe der Werke des Autors. Fast die Hälfte der 315 Seiten, die das Buch umfasst, sind aber nicht dem Roman als solchem gewidmet, sondern Materialien verschiedener Art. Einerseits finden wir verschiedene Essays von und zu Gombrowicz, die noch in den 1930ern verfasst wurden. Eine wichtige Rolle spielen darin nicht nur poetologische Überlegungen Gombrowicz’ sondern auch seine Auseinandersetzung mit dem immer prominenter werdenden polnischen Nationalismus. Dieser Diskussion voran stehend, diverse Vorworte von Gombrowicz zum Roman, auch Einführungen von Dritten – alles Versuche, den Roman irgendwie einzuordnen.
Dass er aber an und für sich gar nicht einzuordnen ist, zeigt dann ein Blick auf diese Essays. Wer und was wird da nicht alles zur Hilfe gezogen: Joyce und seine Auseinandersetzung mit irischen Nationalismus (in A Portrait of the Artist as a Young Man) wird in Parallele gesetzt zu Gombrowicz’ Auseinandersetzung mit dem polnischen Nationalismus. Doch auch inhaltlich und formal werden berühmte Namen genannt, teils als Beispiele ähnlicher Schreibweise, teils gerade als Gegensätze. Neben den oben schon Genannten finden wir zum Beispiel (in den 1950ern fast unumgänglich) Camus und den Existenzialismus oder Kafka (ebenfalls unumgänglich!). Surrealisten wie Éluard erscheinen, aber auch – der Himmel bzw. der jeweilige Rezensent, weiß, warum – Lautréamont, Broch, Pascal, Valéry oder Uwe Johnson. Borges in der Phantastik als Beispiel einer dann doch angepassten Glattheit im Schreiben, ganz anders als die unangepasste Wildheit Gombrowicz’. Und natürlich darf in den 1950ern auch die allgegenwärtige Suche nach der Wahrheit in der Literatur nicht fehlen.
Das Ganze zeigt aber im Grunde genommen nur die Hilflosigkeit auf Seiten der Literaturkritik gegenüber diesem kleinen Monster hier. Der Roman steht in seiner Art einzigartig da. Man muss sich auf diesen wilden, wohl auch mal abstrusen Husarenritt voll verzweifeltem Humor einlassen und – ganz einfach genießen. Jede Interpretation, die darin nach einem metatextlichen Sinn sucht, wird zwangsläufig ins Leere laufen. Ich mag solche Literatur ja sehr.
An Gombrowicz bin ich schon früh geraten, über die „Akzente“. Walter Höllerer hatte ein Faible für ihn und hat ihn wohl auch während seines Aufenthalts in Berlin betreut. Zu der Zeit traf ihn François Bondy, der berichtet, dass „es Witold Gombrowicz garnicht liegt, geistige und literarische Verwandtschaften festzustellen. Einmal nannte ich ihm im Café Zuntz in Berlin in diesem Zusammenhang Robert Musil und Elias Canetti und er antwortete erbost: ,Wollen Sie mir vielleicht gleich das ganze Telephonbuch vorlesen?‘“ Das scheint mir was für sich zu haben. So habe ich zwar seine Romane und Erzählungen sowie das Tagebuch gelesen, alles durchaus interessant, bin aber an solchen „Materialien“ desinteressiert.