Selbst das ansonsten beinahe allwissende Internet schweigt sich zu Wilhelm Moock so ziemlich aus. (Vielleicht habe ich auch die falschen Fragen gestellt. Das Internet ist eine Diva – oder, neutraler formuliert, ein Orakel – wo die Antwort von der genauen Fragestellung abhängt.) Was ich herausgefunden habe, ist sein Geburtsjahr (1881), seinen Geburtsort (Helsen / Waldeck) und seinen Beruf (Lehrer). Schon sein Todesjahr ist nicht zu finden. Was den Beruf betrifft, habe ich den Verdacht, dass er (auch?) (Haus-?)Geistlicher war, wahrscheinlich Mitglied eines Ordens, eventuell der Jesuiten. Letzteres schließe ich aus wiederholten sehr positiven Erwähnungen der Jesuiten und Loyolas, seine Religionszugehörigkeit aus der Tatsache, dass er im vorliegenden Buch immer wieder stramm katholische Ansichten vertritt.
Das einzige, was das Internet bei der Suche nach Wilhelm Moock ausspuckt, sind verschiedene Bücher, als deren Autor er aufgeführt wird. Allen voran wird das hier vorliegende Aufbau der Kulturen immer wieder von diversen Antiquariaten angeboten. Dort, wo die Antiquariate Fotografien des Buches beilegen, sieht es immer genau gleich aus – genau gleich auch wie meines: hellbraun-beiges Leinen mit dunkelbraunem Buchrücken, auf dem vorderen Buchdeckel eine Zeichnung von einem Baum, an dem ein Schäfer lehnt, neben ihm ein Jäger mit einem Speer, unter den beiden (auf dem Ausschnitt, den ich oben als Titelbild angefügt habe, fehlt sie) eine Frau mit nacktem Oberkörper, die offenbar ein Feld besorgt – jedenfalls buddelt sie an einer Pflanze herum. Das Bild ist eine Zusammenfassung des Inhalts, muss also extra für das Buch erstellt worden sein. Leineneinband, eigens erstellte Titelvignette, und auch sonst keine billige Verarbeitung: Die Herstellung des Buchs muss relativ teuer gewesen sein. Der Umstand, dass bis heute so viele Exemplare zirkulieren, weist meiner Meinung nach auf eine ziemlich hohe Auflage hin. Da hat jemand ziemlich viel Geld in die Hand genommen. Ein einfacher Lehrer hätte das wohl nicht geschafft.
Im Übrigen gibt es keine Verlagsangabe, nur eine der Druckerei – Bonifacius-Druckerei in Paderborn, Copyright 1937. Die Druckerei gibt es bis heute, einen angeschlossenen Verlag ebenfalls. Und ja: Der Verlag führt ein katholisches Programm, auch heute noch.
1937, habe ich oben gesagt, und das führt natürlich in Anbetracht des Themas sofort zur Frage: Wie hat es der Autor mit dem Nationalsozialismus? Um es gleich vorweg zu nehmen: Er laviert. Er verwirft zwar den 1937 gängigen Rasse-Begriff als zu einfach, führt den Begriff Rasse aber dennoch im Munde bzw. in der Feder, wenn auch erst in zweiter oder dritter Linie seiner Darstellungen. Auch gibt es in den Anmerkungen am Schluss des Buchs mindestens eine, in der er zustimmend aus einem Artikel zitiert, der in der Nationalsozialistische[n] Parteikorrespondenz vom Juni 1936 erschienen ist. Last but not least ist der Begriff der Kultur, wie Moock ihn verwendet, dem der Rasse nahe verwandt.
Zusammengefasst versucht der Autor in diesem Buch, die Herkunft der verschiedenen Kulturen aus drei grundlegenden Kulturkreisen zu erklären: dem patriarchalisch orientierten Hirtentum, das die Vielweiberei kennt; einem Pflanzertum, das matriarchalische Strukturen kennt (bzw. kannte) und die Vielmännerei; sowie einem Jägertum, das strenge Hierarchien kennt und bildet – vulgo Städte und Staaten. Diese Jäger sind sozusagen die Intellektuellen der Menschheit, die, die Probleme erkennen, analysieren und Lösungen finden. (Und die sich deshalb auch von Gott lossagen!) Ganz am Anfang aller Kulturen stand aber eine, die nicht nur die Monogamie kannte sondern auch einen Monotheismus, gleichberechtigte Partner in einer Ehe (mit einem leichten natürlichen Vorteil des Mannes!), die an einen Gott glauben. Moock, der sich auf ethnologische, paläontologische und linguistische Erkenntnisse zu stützen vorgibt, glaubt letzten Endes als frommer Katholik doch an ein Anheben der Menschheit mit Adam und Eva. Er verwirft auch die Evolutionstheorie Darwins und postuliert eine zielgerichtete Entwicklung der Arten. Nein, er postuliert sie nicht – er glaubt sie bewiesen.
Eine kleine philosophische Neckerei nebenbei: Moock sieht seine drei grundlegenden Kulturkreise in drei griechischen Philosophen verkörpert: das patriarchale Hirtentum in Aristoteles, die Bauern und Pflanzer in Platon und die Intellektuellen in – Demokrit. Die Jägerkultur ist es, die einen zerstörerischen Einfluss auf die Menschheit ausübt. Kein Wunder, kennt doch der Atomist Demokrit nur die Materie … (Dass ein ähnlich konservativer Denker wie Jacob Burckhardt den zerstörerischen Einfluss des Intellekts bei Sokrates festmachen zu können glaubte, beweist, wie willkürlich solche Analogien aufgebaut werden.)
Und noch eine weitere, philosophisch-theologische Neckerei: Moock glorifiziert das katholische Mittelalter. Er nennt zwar Novalis nirgends, aber seines ist genau das platte, wörtliche Verstehen von Die Christenheit oder Europa, das auch behauptete, dass Novalis katholisch war oder werden wollte. Den dialektischen Fortschritt, den Novalis‘ Geschichtsphilosophie postulierte, sieht Moock nicht.
Moocks meistzitierter ethnologischer Zeuge ist dabei ein gewisser P. W. Schmidt. Ich habe einen Moment gebraucht, bis ich begriffen hatte, dass das P. hier für ‚Pater‘ steht, und damit der katholische Ordensmann und Ethnologe Wilhelm Schmidt gemeint sein musste. Schmidt war einer der bekanntesten Vertreter der Kulturkreistheorie, die ursprünglich von Leo Frobenius in die Wissenschaft eingeführt wurde, und die so viel besagt, wie dass eine fortschreitende chronologische Weiterentwicklung der menschlichen Kultur existiert. Frobenius selber gab diesen Gedanken relativ rasch wieder auf (und wird dafür von Moock harsch kritisiert!), aber andere, darunter eben Schmidt, werkelten weiter daran. Schmidt, der an der Universität Wien lehrte, wurde übrigens 1938, beim Anschluss Österreichs ans Reich, für kurze Zeit verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Er kaum auf Intervention des Vatikans wieder frei und emigrierte über Rom in die Schweiz, wo er 1941 an der (damals mehr noch als heute stockkatholischen) Universität Fribourg einen Lehrstuhl erhielt.
Eine genauere Schilderung von Moocks Theorien lohnt sich nicht, zumal er sich hie und da auch mal widerspricht. Seine Kulturen sind Abstrakta, die einer genaueren wissenschaftlichen Untersuchung nicht standhalten. Ich habe das Buch vor Jahren für meine Abteilung ‚Curiosa‘ gekauft, werde es nun aber weitergeben. Oder fortwerfen, ich weiß noch nicht.
Eine Leserin, die schlauer ist als ich, hat unterdessen im Netz einen Nachruf gefunden. Danach ist Wilhelm Moock 1948 gestorben. Das passt, denn ungefähr im gleichen Jahr ist sein letztes Buch erschienen.