Klopstock mit Ausrufezeichen – beim Titel von Kai Kauffmanns Biografie handelt es sich um ein Zitat, wie der Autor solchen wie mir, die sich nicht jede Sentenz aus den Werken deutscher Klassiker merken können, netterweise gleich im Vorwort mitteilt. Es stammt aus einem Werk ausgerechnet jenes Autors, der Klopstock, kaum hatte der den Olymp der deutschen Literatur erklommen und sich auf Jupiters Thron gesetzt, wieder herunterstürzen sollte. Und das Werk ist ausgerechnet jenes, mit dem der Thronfolger den Sturz in die Wege leiten sollte. Wir sprechen von Johann Wolfgang Goethe und seinem Werther. Dort heißt es am 16. Junius:
-Wir traten ans Fenster. Es donnerte abseitwärts, und der herrliche Regen säuselte auf das Land, und der erquickendste Wohlgeruch stieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie stand auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick durchdrang die Gegend; sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte: „Klopstock!“ — Ich [erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und] versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ausgoß.
Der hier in eckigen Klammern gesetzte Teil wurde erst in der zweiten Auflage des Werther von 1787 eingesetzt; Goethe ging da offenbar schon nicht mehr davon aus, dass ihm alle folgen könnten. Bei der herrlichen Ode, die Werther in den Sinn gerufen wird, handelt es sich um Die Frühlingsfeier, in der ebenfalls ein Gewitter beschrieben wird. (Kauffmann, nebenbei, vergleicht Klopstocks Gewitterbeschreibung mit der etwas älteren von Brockes, um Klopstocks komplexere Versform der einfachen des Älteren vorzuziehen. Er übersieht dabei die lautmalerischen Qualitäten des Brockes’schen Gewitters, die Klopstock wiederum nicht aufweist.)
Es ist einigermaßen mutig von Verlag und Autor, im 21. Jahrhundert noch eine Klopstock-Biografie auf den Buchmarkt zu werfen. Klopstocks Messias gilt seit langem als unlesbar; seine Oden wurden im Zuge des Lüftens unter den Talaren der 68er ebenfalls dem Vergessen anheim gestellt. (Nicht ganz zu Unrecht; es gibt bei Klopstock Oden, die mit Hilfe von blonden, blauäugigen Mädchen das deutsche Wesen verherrlichen; ein nach einer solchen Ode von Angelika Kauffmann gemaltes Bild hing in Hitlers Amtsräumen und wurde bei der Zerstörung des Reichstagsgebäudes im Zweiten Weltkrieg mit zerstört.)
Kauffmann rechtfertigt seine Biografie damit, dass Klopstock, mehr noch als Goethe, der große Neuerer der deutschen Literatur(sprache) gewesen ist. Tatsächlich verdanken wir Klopstock die Befreiung des deutschen Verses aus den Jamben, in die Martin Opitz sie verbannt hatte. Klopstocks virtuoser Umgang mit Hexametern und anderen antiken Versmaßen öffnete die Tür für Goethes freie Verse ebenso wie für Hölderlins Lyrik. Allerdings entschied sich die deutsche Literaturgeschichte dann doch dafür, im Großen und Ganzen weniger komplexe Verse zu bevorzugen – für Kauffmann steht hier archetypisch Heinrich Heine. (Und ich vermute, dass Kauffmann – auch wenn er ihn nicht zitiert – bei seiner Heine nicht gewogenen Darstellung den guten Karl Kraus im Hinterkopf hatte: Heinrich Heine hat der deutschen Sprache so sehr das Mieder gelockert, daß heute alle Kommis an ihren Brüsten fingern können.)
Unser Biograf legt ein weiteres Hauptgewicht in seiner Darstellung auf die drei Frauen, die Klopstock liebte. Da ist im jugendlichen Alter seine Cousine Maria Sophia Schmidt, die er in seinen Gedichten als Fanny einführt. Fanny scheint unseren Klopstock hinzuhalten, aber so richtig be- und verurteilen will Kauffmann sie nicht. Dann folgt Margareta („Meta“) Moller (Cidli in seinen Gedichten, auch dem Messias). Der Anfang zwischen den beiden harzt, denn beide haben sie offenbar noch andere Lieben im Kopf bzw. Herzen, Klopstock immer noch die zu seiner Fanny, Meta zu einem heute (und vielleicht auch Klopstock) Unbekannten. Die beiden heiraten aber schließlich doch. Meta wird bei der Geburt des ersten Kindes (eine Totgeburt) sterben. Klopstock gibt postum ihre dichterischen Werke heraus, für Kauffmann ein Zeichen, dass er, zumindest in der Dichtkunst, durchaus etwas von Gleichberechtigung der Geschlechter hielt. Im Alter würde Klopstock dann noch einmal heiraten, eine Witwe, in deren Haus er nach Metas Tod schon wohnte, als ihr Mann (der Klopstocks Freund war) noch lebte.
Die klassischen Anekdoten aus Klopstocks Leben dürfen natürlich nicht fehlen. Seine Sorgfalt bei der Herstellung seiner Bücher (Typen, Papier etc.) brachte seine Verleger regelmäßig in Verlegenheit. Und dann ist da natürlich die Geschichte, wie es sich Klopstock als junger Mann bei seinem Aufenthalt in Zürich mit seinem Mentor Bodmer verdarb, weil er an einer Bootsfahrt auf dem See teilnahm, an dem auch Frauen dabei waren – Frauen, notabene, die mit keinem der teilnehmenden Männern verheiratet waren. Der fromm-bigotte Bodmer war darüber genau so entsetzt, wie er es später sein sollte als sein anderer deutscher Liebling, Wieland, anfing, anakreontische Geschichten zu erzählen.
Klopstock seinerseits hatte daraus nicht gelernt. Dafür sollte er büßen, als er nun seinerseits glaubte, einen jungen Kollegen, nämlich Goethe, tadeln zu müssen, weil der sich in den Anfangsjahren in Weimar in erster Linie damit amüsierte, zusammen mit dem Herzog Carl August mit den Pferden über die Felder der Bauern zu hetzen und abends in den Dorfkneipen die jungen Bauernmädchen besoffen zu machen und sie zu beschlafen. Später würde Goethe vor allem die Zerstörung der Felder bedauern, aber auf den mahnenden Brief Klopstocks reagierte er damals äußerst kühl. (Zur Entschuldigung Klopstocks dürfen wir sagen, dass er es aus seiner Schulzeit in Schulpforta kannte, dass die älteren Schüler einem jüngeren nicht nur als Zimmergenosse zugeteilt wurden, sondern auch das Amt eines Mentors und Sittenwächters bei diesem zu übernehmen hatten. Dies beim reichen Bürgersöhnchen Goethe zu versuchen, der nie den Zwang einer Schule gekannt hatte, war allerdings ein riesiger psychologischer Patzer. Auch Friedrich den Großen schulmeisterte Klopstock und hielt ihm das Anzetteln des Klopstocks Meinung nach ungerechtfertigten und moralisch verwerflichen Siebenjährigen Kriegs vor.) Dennoch wird man finden, dass sich Goethe als Schriftsteller seine Leben lang an Klopstock reiben musste. (So, wie sich später die Romantiker an ihm rieben. Da die deutsche Romantik keinen zweiten Goethe und keinen zweiten Klopstock hervorbrachte, fehlt der nächsten Generation diese Reibemöglichkeit gänzlich, was ihr zusätzlich das Gefühl des Epigonentums vermittelte.)
Kauffmann erzählt das Leben Klopstocks nicht immer chronologisch. Manchmal beendet er ein Thema bzw. fasst es in einem Kapitel zusammen, auch wenn es verschiedene Epochen in Klopstocks Leben umfasst. Das ist legitim und wird in vielen Biografien so gehalten, weil es natürlich den Lesenden das Verständnis erleichtert. Andererseits aber verlieren viele Ereignisse so den äußerlichen Zusammenhang, der halt doch nicht immer nur ein zufälliger, zu vernachlässigender ist. Das Buch ist solide geschrieben und gut lesbar, und auch für solche, die sich mit der Literatur vor Goethe (oder vor dem 21. Jahrhundert!) nicht besonders auseinandergesetzt haben, gut verständlich.
Kau Kauffmann: Klopstock! Eine Biographie. Göttingen: Wallstein, 22014.
Korrektur zu meinem eigenen Kommentar. Statt „Hermanns Tod“ müsste es richtig heißen: „Hermanns Schlacht“. Bitte korrigieren!
Herzlichen Dank für die Besprechung meiner Klopstock-Biographie. Nur eine kleine Korrektur: Das Gemälde von Angelika Kauffmann, das in Adolf Hitlers Arbeitszimmer in der Reichskanzlei hing, ist nicht nach einer Ode, sondern nach einer Szene aus Klopstocks Drama „Hermanns Tod“ gemalt. Und dass der Weimarer Herzog Carl August zusammen mit Goethe wiederholt Bauernmädchen, die doch dem Landesherrn hilflos ausgeliefert waren, „besoffen“ gemacht und dann „beschlafen“ haben, sollte man nicht in dem vom Autor des Blogs angeschlagenen, leicht frivolen Ton als genialisches Treiben junger Männer beschönigen und Klopstocks Kritik als prüde Schulmeisterei hinstellen. Auch und gerade nicht im Jahre 2024!
Besten Dank für den Hinweis. Es war nicht meine Absicht, die Handlungen von Goethe und seinem Herzog zu beschönigen. Ich habe weder „besoffen“ noch „beschlafen“ als frivol empfunden. Da dies aber offenbar so interpretiert werden kann, möchte ich ganz klar festhalten, dass ich weder frivol sein wollte, noch die Handlungen der beiden gut heißen. Auch Klopstocks Schreiben wollte ich nicht disqualifizieren.
Dann sind wir uns ja einig, was mich freut. Und dass Klopstock im Jubiläumsjahr ein beachtliches Interesse findet, freut mich für diesen fast vergessenen Dichter. Vielleicht gelingt es, wieder eine Auswahl seiner Oden in den Buchhandel zu bringen. Denn das vergriffene Reclamheft wird nicht wieder aufgelegt, und die sogenannte Studienausgabe mit den ersten drei Gesängen des „Messias“ wird von Reclam abverkauft.
Selber gehöre ich ja zur ersten Generation derer, die ohne Klopstock „groß geworden“ sind. Die wenigen Reaktionen, die ich auf meinem Beitrag bisher erhalten habe, scheinen aber darauf hinzudeuten, dass gerade Klopstocks Oden bei den Enkeln und Urenkeln der 68er wieder auf Interesse stossen. (Allerdings ist er – für die Verlage – mit dem Fluch des vergessenen Klassikers beladen, dass man in praktisch jedem Antiquariat (Auswahl-)Ausgaben in rauen Mengen und für lau kriegt.)
Voraussichtlich wird es im kommenden Jahr eine Auswahlausgabe von Oden und Briefen Klopstocks im Wallstein Verlag geben, von Ute Pott und mir herausgegeben und kommentiert. Mal sehen …
Darauf würde ich mich freuen und das würde ich lesen und hier vorstellen. (Dann stelle ich mal meine tentativ angedachte Oden-Lektüre bis dahin zurück.)