Thomas C. Starnes: Christoph Martin Wieland – Leben und Werk. Band 2: »Der berühmteste Mann in Teutschland«, 1784-1799

Portrait Christoph Martin Wieland gemalt von Anton Graff, 1794. Heute im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar.

Wie ich auf diese Publikation aufmerksam wurde, welches die Intentionen von dessen Autor waren, warum dieser davon als von einer Mischung von Biografie und Tagebuch spricht, weshalb ich die drei Bände, aus denen sie besteht, einzeln vorstelle – das alles habe ich bei der Vorstellung des ersten Teils bereits erklärt. Ich füge hier noch um der Klarheit willen hinzu, was der Verlag auf dem Klappentext des zweiten Bands schreibt:

Auch im zweiten Band hat der Verfasser alles, was Tun und Treiben Wielands, die Kontakte mit seinen Mitmenschen und den Ausdruck seiner Gesinnungen und seiner Meinungen betrifft, aus Urkunden, Matrikeln, Protokollbüchern, Fourierbüchern, zeitgenössischen Zeitungs- und Zeitschriftenberichten, der Korrespondenz, den Tagebüchern und den Memoiren seiner Freunde und Bekannten sowie aus dem eigenen Briefwechsel des Dichters gesammelt und chronologisch geordnet.

Abermals ergibt das ein Bild auch der täglichen Routinen Wielands, seiner Freuden, aber vor allem auch seiner wiederkehrenden Nöte und Sorgen.

Da ist die Herausgabe des Teutschen Merkur, auch wenn er diese Sorgen mit Bertuch teilt. Da ist die Französische Revolution, die er für eben diesen Merkur sorgfältigst verfolgt – er wird der einzige sein im deutschsprachigen Raum, der so regelmäßig berichtet, noch dazu unabhängig und neutral. Nein, er mag die Entwicklung, die die Revolution nimmt, auch nicht, wie aus privaten Äußerungen hervorgeht. Aber er berichtet.

Da sind seine Kinder. Er war wohl tatsächlich eher ein Mädchenvater. Jedenfalls kann man zwischen den Zeilen seiner Briefe lesen, dass ihm seine Söhne, allen voran Louis, in ihrer Unstetigkeit immer wieder Sorgen bereiten. Auch die Töchter bereiten ihm Sorgen, aber vor allem dadurch, dass er sie – nachdem er sie der Reihe nach an alle halbwegs elegiblen Männer der Gegend verheiratet hat – doch wieder zurück nehmen muss, weil die Männer frühzeitig verstorben sind. So wird eine seiner Töchter hochschwanger im Alter von 19 Jahren zur Witwe. Eine andere verheiratet er mit dem Sohn seines alten Zürcher Freundes Gessner – nur, um erleben zu müssen, wie diese vor den eindringenden französischen Truppen flüchten müssen, und Todesängste auszustehen.

Da sind die unvermeidbaren Reibereien zwischen den unterdessen definitiv auf die Zahl von vier angewachsenen Weimarer ‚Klassikern‘. Nachdem es zuerst mit Schiller gut läuft, kommt auch da die unausweichliche Entfremdung, die zuletzt so weit geht, dass Schiller bei der Lancierung seiner Horen gegenüber Cotta damit prahlt, wie rasch doch diese seine Literaturzeitschrift den Teutschen Merkur vom Markt fegen würde. Wie wir wissen, kam es anders.

Ähnliches gilt für die aufstrebenden Romantiker. Nachdem Wieland zunächst vor allem mit A. W. Schlegel durchaus freundschaftlich verbunden war, sogar dessen neue Shakespeare-Übersetzung zu fördern versuchte, indem er beim Sohn seines mittlerweile verstorbenen Freundes Gessner (der zugleich sein Schwiegersohn war – siehe oben …) nachfragte, ob man diese denn nicht im Zürcher Verlag, an dem Gessner jun. beteiligt war, publizieren könnte. Vergessen wir nicht: Auch Wieland hatte Shakespeare übersetzt und hätte durchaus Interesse daran haben können, seine eigene Übersetzung wieder aufgelegt zu sehen. Als Schlegel sich mit dem jungen Gessner nicht über das Honorar einigen konnte, schlug er seinem Schwiegersohn vor, statt dessen die Übersetzung von – Eschenbach neu aufzulegen. Die beiden Schlegel dankten ihm im Übrigen seine Bemühungen um sie, indem sie einen wahren Literaturkrieg gegen ihn entfesselten. Noch vor Schiller war es Wieland, den sie ins Visier nahmen. Wieland war enttäuscht, aber nicht überrascht.

Dafür tritt Jean Paul auf die Bühne. Zunächst als einer von vielen Beiträgern zum Teutschen Merkur, einer, den Wieland nicht näher kennt. Dann besucht Richter Weimar und freundet sich mit ihm und mit Herder an. Auch das Verhältnis zu Herder wird in der Zeit von 1784 bis 1799 wieder enger.

Was sein Schaffen betrifft, so hat Wieland zwar in den ersten 50 Jahren seines Lebens (und damit in Band 1 von Starnes’ Werk) seine berühmtesten Schriften schon geschrieben. Was er nun schreibt, wird weniger berühmt – auch wenn vieles davon zum Besten gehört, das Wieland überhaupt geschrieben hat (und damit zum Besten der deutschen Literatur überhaupt, und damit wiederum zum Besten der Weltliteratur). Starnes spricht einmal davon, dass Wieland nun historische Romane geschrieben habe. Cum grano salis genommen, stimmt das; allerdings ist zu sagen, dass wir hierunter nicht den trivialen historischen Roman des 21. Jahrhunderts verstehen dürfen. In Wielands Romanen figurieren zwar historische Gestalten, aber es handelt sich um vorsokratische Philosophen, nicht um irgendwelche Bierbrauerinnen und Hebammen des Mittelalters.

Die hier vorgestellte Epoche ist auch die, in der Wieland sein Gut in Oßmannstedt gekauft hat. In Weimar wurde es ihm zu laut; auch grenzte sein Wohnhaus rückseitig an einen Stall und da stiegen denn des öfteren wenig angenehme Gerüche in Wielands Arbeitszimmer. Das Verhältnis zu seinem ehemaligen Zögling, nunmehrigen Herzog von Weimar, Carl August, hatte sich auch sehr gelockert. Im Grunde genommen – und das musste selbst Goethe erfahren – standen dem Fürsten das Soldatenwesen und seine Geliebten näher als alle bürgerlichen Freunde und Bekannten. So erlebte auch Wieland, dass er sein Wohnhaus hätte verlassen müssen, weil Carl August das Haus, in dem Goethe damals wohnte, für seine aktuelle Geliebte requirieren wollte (denn so wohnte sie näher am Schloss!), während Goethe in Wielands Haus umquartiert werden sollte und Wieland – schauen konnte, wo er blieb. Dass dies zum Schluss unterblieb, lag an Goethes Verzicht auf Wielands Haus, nicht an Carl August. Dass auch Oßmannstedt nicht das Gelbe vom Ei darstellte, merkte Wieland aber dann auch sehr rasch. Nicht nur verweigerte ihm der Herzog das Recht, auf dem eigenen Grund Holz schlagen zu lassen – er war im Winter, bei schwierigen Wegen nicht nur von Weimar sondern gleich von der ganzen Welt abgeschnitten. Auch eignete sich der Stubenhocker Wieland so gar nicht zum Landmann …

Während er mit seinen bisherigen Verlegern – seinen Freund Gessner inbegriffen – doch immer wieder Ärger hatte wegen schleppender Herausgabe seiner Schriften und schleppender Zahlung, fand er in dieser Zeit in Göschen nicht nur einen Freund sondern auch einen verlässlichen Verleger. Zusammen gaben sie in vier Versionen gleichzeitig eine Ausgabe der Wieland’schen Werke heraus, für die der Autor sämtliche seiner Texte noch einmal durchsah und nötigenfalls verbesserte – dieselbe, deren Reprint ich hier schon in extenso vorgestellt habe. Neue Übersetzungen wurden in Angriff genommen – diesmal von den Dramen des Aristophanes. Auch Cicero taucht in diesem Zusammenhang zum ersten Mal auf.

Ansonsten ist es tatsächlich so: Wenn Fremde nach Weimar kommen, um berühmte Dichter zu sehen, ist es allemal Wieland, der zuoberst auf ihrer Liste steht. Das gilt auch für Franzosen und Engländer. Er war zu jener Zeit wirklich Der berühmteste Mann in Teutschland. Wenn Goethe den Begriff ‚Weltliteratur‘ geprägt hat, so war Wieland der erste in Deutschland, der sie geschrieben hat.


Thomas C. Starnes: Christoph Martin Wieland – Leben und Werk. Band 2: »Der berühmteste Mann in Teutschland«, 1784-1799. Sigmaringen: Jan Thorbecke, 1987

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